Text: Christina Brunner, Fotos: Bente Stachowske
Hinterm Maisfeld geht’s weiter. Die staubige Straße durch das Dorf im Norden Tansanias ist längst zu Ende. Es geht nur noch zu Fuß voran. Und das ist das Problem für Kelvin. Denn Kelvin kann nicht gehen.
Der Sechsjährige ist seit seiner Geburt schwer behindert. Als Schwester Adalbera Makure zu Besuch kommt, trägt seine Mutter den Jungen aus der Hütte und setzt ihn in einen selbstgezimmerten niedrigen Stuhl. Die Ordensfrau streicht ihm behutsam über den Kopf: „Hallo Kelvin, schön dich zu sehen!“ Der Kleine dreht mühsam den Kopf zu ihr hoch, lächelt scheu. Schwester Adalbera kommt nicht oft. Aber im Blick hat sie ihn immer. Und heute kann sie vielleicht einen Hoffnungsschimmer in den Augen seiner Eltern aufleuchten lassen. Denn Kelvin soll zur Schule gehen.


„Wie soll das gehen?“, fragt seine Mutter Juliana skeptisch. Die Schule ist kilometerweit weg. Der Hocker ist kein Rollstuhl; und Kelvin kann sich nicht festhalten, wenn ihn jemand auf dem Motorrad transportiert. „Die Schule nimmt sowieso keine Behinderten“, meint der Vater. Dennis Tarimo, der mit Schwester Adalbera gekommen ist, bleibt optimistisch: „Er muss etwas lernen, sonst hat er gar keine Chance. Die Schule muss ihn nehmen, und Mister Honori wird dafür sorgen!“
Honori Kalisti ist einer von 28 Freiwilligen, die für das Tumaini Center in Tansania arbeiten. 20 Männer und Frauen, „Unterstützer“ genannt, schauen in ihren Dörfern nach denen, die allzu leicht unter die Räder kommen: Alte, Behinderte, Kranke, Waisenkinder. Honori Kalisti ist für Kelvin und dessen Familie zuständig. Den Schulbesuch des behinderten Jungen zu organisieren, wird nicht leicht für den ernsten Mann aus dem Dorf, der ein wenig hilflos zuhört, wie Dennis Tarimo Pläne entwickelt. Aber er sieht auch: Ohne ihn hat Kelvin keine Chance.


Die Familie bleibt in Tansania immer in der Pflicht
Hilfe zur Selbsthilfe – das hat sich das Tumaini Center auf die Fahnen geschrieben. „Tumaini heißt auf Suahili Hoffnung. Und das sind wir: ein Ort, wo Menschen Hoffnung bekommen“, erklärt Schwester Adalbera. Seit drei Jahren leitet die Schwester von Unserer Lieben Frau von Kilimanjaro das Hilfswerk in Rombo im Norden von Tansania. Dennis Tarimo, ein Englischlehrer, ist ihr ehrenamtlicher Projektmanager. Dazu kommen sieben Mitarbeiter, die für die Schweine und die kleine Bäckerei sorgen und Unterstützer wie Honori Kalisti beraten.
„Es ist wichtig, Waisen nicht aus ihren Dörfern herauszuholen“, erklärt der Projektmanager. „In unserer Kultur muss ein Vater jedem Kind ein Stück Land geben, auf dem es seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Wenn er stirbt, übernimmt der Onkel diese Pflicht. Aber wenn die Kinder anderswo versorgt werden, muss er das nicht.“

Nachbarn setzten sich ein
So entstand in den Hügeln von Rombo ein kleines Sozialzentrum, in das die Kinder kommen und sich Rat und Hilfe holen können. Auch die erwachsenen Freiwilligen, „Unterstützer“ genannt, treffen sich hier regelmäßig mit Schwester Adalbera, um über ihre Erfahrungen zu sprechen und Lösungen für die Probleme zu suchen, mit denen sie täglich konfrontiert werden.
Ordensfrauen in Tansania stehen im Mittelpunkt des Afrikatags 2025. https://www.missio-hilft.de/mitmachen/afrikatag-2025/
Denn das Tumaini-Team baut vor allem in den Dörfern selbst Hilfestrukturen auf. Gesucht werden Männer und Frauen, die ihre Nachbarschaft kennen und bereit sind, sich für andere einzusetzen. Einfach ist das nicht: Die Wege zu den Bedürftigen sind weit, das Benzin für den Motorroller ist in Tansania teuer. Das nächste Krankenhaus ist sieben Kilometer entfernt. Und irgendwie müssen sie auch ihre Familien durchkriegen, Wasser holen, das Schulgeld für die eigenen Kinder verdienen.
Die Freiwilligen entdecken ihre Stärken
„In meinem Dorf lebt ein Waisenkind, das niemand haben will, weil es HIV-positiv ist. Also habe ich es genommen“, erzählt Lucy Avelin Mrina. Früher ist sie drei Mal pro Woche zu den Bedürftigen gegangen, heute ist sie froh, wenn sie es einmal im Monat schafft. „In der Zwischenzeit kann viel Schlimmes passieren“, sagt sie. Einen neunjährigen Jungen, der nicht gehen und nicht sprechen konnte, fand sie eingeschlossen in der Hütte seines Vaters. „Ich habe alles versucht, ihn da rauszuholen und zur Schule zu bringen, aber der Vater war dagegen. Er will seinen Sohn zum Betteln nutzen.“ Weil alles nichts half, schaltete Lucy Mrina schließlich den Dorfvorsteher ein. Die 38-Jährige ist stolz auf das, was sie leistet: „Ich habe gespürt, wie viele Fähigkeiten ich habe, von denen ich gar nichts wusste!“



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