Text: Jörg Nowak
Wenn die Sonne aufgeht, glitzert es auf dem staubigen Boden von Morarano im Süden Madagaskars: als wäre ein Spiegel in tausend Teile zersprungen und würde das Licht in alle Himmelsrichtungen reflektieren. Wo immer dieses Glimmern zu sehen ist, weist es auf wertvolle Vorkommen von Mica hin. Obwohl das Mineral kaum bekannt ist, kommen doch fast alle Menschen damit in Berührung. Denn Lippenstifte und Nagellacke, Puder, Duschgel, Schminke und Zahnpasta enthalten das glänzende Mica. Wegen seiner Hitzebeständigkeit wird es zudem in Elektro- und Elektronikgeräten wie Bügeleisen und Kaffeemaschinen, Handys und Computern verwendet, aber auch in Autolacken oder Farben für Flugzeuge und Schiffe.

Die Mica-Mine gleicht einer Mondlandschaft aus Geröll
Morarano ist ein vertrockneter Flecken Erde, eine Mondlandschaft aus Stein, Geröll und Kratern, die rund 300 verzweifelte Menschen angelockt hat. Durch die verheerendste Dürre seit vier Jahrzehnten sind in der Gegend die Ernten ausgefallen. Viele Familien haben deshalb nach anderen Möglichkeiten zu überleben gesucht – zum Beispiel in den Mica-Minen.
Mit dem Sonnenaufgang um fünf Uhr stehen die siebenjährige Moma Sorage und ihre Mutter Christine mit dem kleinen Geschwisterchen auf. Moma geht nicht in die Schule, sie muss in die Morarano-Mine. Denn eines hat sie gelernt: Wenn sie heute essen will, muss sie in der Hitze schuften und Mica sammeln. „Gestern habe ich so viel zusammen bekommen, dass ich mir schon mittags eine Banane kaufen konnte. Ich hatte sooo einen Hunger“, erzählt das Mädchen.


Mit dem Baby in die Mica-Mine
Auch ihre Mutter, Christine Sorage, schürft den ganzen Tag Mica. Ihr Baby hat sie immer dabei. „Wenn ich mein Kind in der Hütte lasse, kann es herauskrabbeln und in eins der Löcher stür- zen. Das würde ich mir niemals verzeihen“, sagt sie, hebt den Säugling auf ihren Rücken und bindet ihn mit einer Stoffbahn fest. Bis zum Mica-Schacht sind es nur wenige Meter. An der Öffnung geht sie auf die Knie und klettert dann langsam nach unten – barfuß, ohne Sicherung und ohne jeden Schutz. Mit ihrem ganzen Gewicht presst sie die Fußsohlen gegen das scharfkantige Gestein. In der stickig-heißen Luft flimmern Staub und kleine Mica-Partikel. Der Atem stockt, das Baby hustet, aber Christine So- rage muss tiefer klettern. Wenn sich nur ein Stein löst und sie ausrutscht und stürzt, würde ihr Baby mit dem Kopf gegen den Felsen prallen.

Als Père Christian Rakotosolofo von der Situation der Familien in der Mine hört, ist er schockiert. Der 43-Jährige ist Pfarrer in der 120 Kilometer entfernten Stadt Ihosy. Er weiß, dass die Menschen in den entlegenen Regionen der gleichnamigen Diözese besonders unter Armut leiden und von niemandem Hilfe bekommen. Der Weg dorthin ist weit, gefährlich und mit einem normalen Wagen nicht zu bewältigen.
„Das schaffe ich nur mit dem Geländemotorrad“, sagt der Priester zu seinem Teamkollegen Alexis Ramose, der in der Diözese die Hilfsprogramme für Familien in Not unterstützt. „Los, lass uns aufbrechen.“ An den Flussläufen hält Père Christian an, denn es gibt keine Brücken. Vorsichtig geht er ins Wasser. Er hält Ausschau nach einer Stelle, wo es nicht zu tief ist und kein Geröll die Durchfahrt blockiert. Sein Blick sucht die Wasseroberfläche ab. „Hier gibt es Krokodile. Da müssen wir vorsichtig sein“, sagt er zu Ale- xis. Dann gibt er Gas, das Wasser spritzt auf, und sie erreichen sicher das andere Ufer.

Kein Strom, kein Wasser, keine Toiletten
Nach drei Stunden kommen sie in Morarano an. Dort treffen sie Christine Sorage, deren Tochter Moma und die anderen Familien. Moma sitzt vor ihrem Zuhause, einer windschiefen Hütte aus Stroh und Ästen. Nachts schläft das Mädchen mit einer dünnen Decke auf dem nackten Boden. Der Seelsorger nimmt sich Zeit für die Menschen, hört ihnen zu und fragt nach.
„Hier gibt es keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine Toilette“, klagen die Minenarbeiter. „Wer kauft euch das Mica ab?“, fragt Père Christian. „Die chinesischen Händler, und die zahlen uns so gut wie nichts. Früher gab es bis zu 250 Ariary pro Kilogramm, inzwischen manchmal nur 100“, sagen sie. Umgerechnet entspricht das etwa zwei bis fünf Cent. „Davon kann niemand überleben. Dafür bekommt man höchstens eine Handvoll Reis. Das ist Sklaverei!“, sagt der Pfarrer und verspricht: „Als erste müssen die Mütter und Kinder hier raus. Ich werde wiederkommen und Hilfe organisieren.“




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