Schwester Katharina, weshalb ist Notfallseelsorge wichtig?
Die ersten Stunden nach einem schlimmen Ereignis sind oft entscheidend dafür, wie Menschen nach dem Schock mit der Trauerarbeit anfangen können. Es ist, als ob ein Puzzle, das schön dalag, auf einmal auf den Boden fällt und in tausend Teile zerbricht. Dass es wieder zusammengesetzt wird, ist aber notwendig. Natürlich fehlt ein wichtiger Teil für immer, der Mensch, der gegangen ist. Aber damit der Betroffene später in seinem Tempo den Rest seines Lebenspuzzles wieder herstellen kann, helfen wir schon einmal, den Rahmen zu setzen. Um Halt zu geben und zu ermöglichen, dass jemand wieder handlungsfähig werden kann.
Dürfen die Betroffenen Sie auch später noch kontaktieren?
Nein, wir geben keine privaten Handynummern weiter. Wir sind wirklich nur für die Akutsituation da, um Menschen auf Spuren und Wege zu führen, wo sie für sich selbst feststellen können: Was brauche ich jetzt? Wo gewünscht, verweisen wir aber auf weiterführende seelsorgerische Angebote oder psychotherapeutische Beratung.
Warum engagieren Sie sich seit zwei Jahren in der Notfallseelsorge?
Ich bin schon länger unterwegs, als Frau und Seelsorgerin meinen Platz in der Kirche zu finden. Zum ersten Mal bin ich über das Thema „Notfallseelsorge“ beim Lesen eines Krimis gestolpert. Wenig später berührte mich dann der Satz eines Bekannten, der sagte: „Seelsorge bedeutet, dass mir die Seele des anderen nicht egal ist.“ Ein ausführliches Gespräch mit einem Notfallseelsorger hat mich weiter darin bestärkt, dass dies ein Betätigungsfeld für mich sein könnte. Als Ordensschwestern, die ihr Leben miteinander teilen, bekommen wir auch das Sterben voneinander mit. Es ist vielleicht eine Möglichkeit, anderen beizustehen, die diese Erfahrung noch nicht machen konnten.
Viele Menschen reagieren mit großer Hilflosigkeit auf Schicksalsschläge. Sie setzen sich ihnen in Ihrer Rolle als Notfallseelsorgerin bewusst aus. Was ist dabei essenziell?
Da sein, da bleiben – auch in der größten Hilflosigkeit! Unser Motto lautet ja: „Hingehen, da sein, aushalten“. Auch Schweigen ist gut und richtig, manchmal sogar besser als wohlgemeinte Floskeln. Das gilt für die Betroffenen und die, die dabeistehen. Jeder Mensch reagiert anders auf Extremsituationen. Es ist wichtig, das im Hinterkopf zu haben. Es gibt kein Gut und Böse, Richtig oder Falsch.
Man muss mit allem rechnen?
Ja, genau. Neulich habe ich innerhalb kürzester Zeit während eines Großbrandes Menschen mit völlig unterschiedlichen Reaktionen angetroffen: Eine Person redete unentwegt. Eine andere stand wie versteinert da. Und bei einer dritten hatte ich den Eindruck, sie tritt die Flucht in die Höhle an. Es sind alles normale Reaktionen in einer völlig unnormalen Situation.
Was denken Sie über das sprichwörtliche „Trauerjahr“?
Es gibt keine Regel, wie lange Trauer dauern darf oder wie intensiv sie sein muss. Wir versuchen, den Betroffenen und Angehörigen bewusst zu machen, dass sie nicht funktionieren müssen. Und dass jeder mit Verlust unterschiedlich umgeht.
Wie schützen Sie sich selbst?
Ein wichtiges Stichwort ist „Psychohygiene“. Wir können uns als Notfallseelsorger jederzeit Hilfe holen bei Kollegen und den Verantwortlichen im Bistum. Wenn möglich, sind wir bei Einsätzen zu zweit unterwegs. Und wir machen regelmäßig Supervision. Auch das Schreiben des Einsatzberichts, ein Spaziergang am See oder das Gespräch mit meiner geistlichen Begleitung helfen mir, Dinge zu verarbeiten.
Was haben Sie bei Einsätzen bisher erlebt?
Ganz schlimme Situationen – wie etwa einen Amoklauf –, die mich emotional vielleicht überfordert hätten, habe ich noch nicht erlebt. Ich war bisher vor allem nach plötzlichen häuslichen Todesfällen im Einsatz. Auch die Betreuung von Hinterbliebenen bei Suizid habe ich schon übernommen. Einmal fand ein Mann beim Zeitungholen im Winter morgens um fünf einen Leblosen auf dem Gehsteig vor seinem Haus. Er hat noch versucht, ihn wiederzubeleben, leider erfolglos. Um diesen Mann habe ich mich auch gekümmert.
Inwiefern hat Ihnen die Ausbildung durch das Bistum Augsburg geholfen?
Wir haben viele Fallbeispiele besprochen, die Kollegen, die schon länger dabei sind, bereits erlebt haben. Uns wurde deutlich: Nicht mitleiden, aber mitfühlen und empathisch sein, das ist notwendig, wenn wir auf Betroffene zugehen. Es ist nicht unser Leid. Das Wort „Abgrenzung“ hört sich kalt an, aber ich muss so da sein, dass ich für die Menschen eine Stütze sein kann.
Wie setzt sich Ihr Team der Notfallseelsorge zusammen?
Die ehrenamtlichen Einsatzkräfte kommen aus unterschiedlichen Berufsfeldern, darunter sind Lehrer, Marketing- und Hygienefachleute, eine Krankenschwester und eine Immobilienmaklerin. Wir decken alle 14 Tage schichtweise eine Woche ab, die andere Woche übernimmt das Rote Kreuz.
Was ist für Sie das Plus kirchlicher Notfallseelsorge?
Ich glaube an die Auferstehung. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich den Betroffenen sage: „Ist ja alles nicht so schlimm.“ Ich habe auch keine Antwort auf die Frage: „Warum lässt du das zu, Gott?“ Aber für mich ist der Glaube ein großes Pfund, um die Situation der Betroffenen auszuhalten. Ich sehe in meinen Mitmenschen Brüder und Schwestern im weitesten Sinne.
Interview: Eva-Maria Werner