„Ich mag die Flammenzungen zur Pfingstnacht“Lyrikerin Nora Gomringer nimmt am Synodalen Weg der katholischen Kirche teil. Ihre Gedichte
sind gespickt mit religiösen Anspielungen. Von einigen aus der Branche wird sie deswegen
kritisch beäugt. Ein fröhlicher, rheinisch-katholischer Glaube gehört jedoch zu ihrem Leben. |
Wie erleben Sie als Künstlerin die Corona-Zeit?
Ich bin in meiner Eitelkeit gekränkt, dass ich als Künstlerin quasi gar nicht mehr zum Zuge komme. Jetzt ist der Blick auf alles viel unverstellter. Man merkt: Systemrelevant ist man nicht. Das ist auch keine Kategorie, in die ich die Kunst je eingeordnet hätte. Gerade jetzt zeigt sich aber auch die Stärke, dass man sich ein bisschen mehr am Rand aufhält und vom Rand nach innen blicken kann. Das ist der Aufenthaltsort des Künstlers.
In Ihrem 2020 erschienenen Gedichtband „Gottesanbieterin“ gibt es viele religiöse Anspielungen. Verstehen die Menschen das heute noch?
Ich spiele ja noch an der Oberfläche. Aber ich merke: Viele kommen nicht mehr mit. Es läuft an ihnen vorbei, und ich denke: Das kann doch nicht sein, dass man von dem wichtigsten Text in der zentraleuropäischen Kulturgeschichte nix mehr weiß – nix mehr! Das ist krass. Die biblischen Texte sind eine große Bereicherung. Ich bin total alttestamentarisch eingestellt, den Text über die Sintflut mag ich am liebsten.
Warum machen Sie beim Synodalen Weg mit?
Ich wünsche mir, dass die Kirche im Leben der Menschen wieder ein besseres Image bekommt. Ich habe eine positive und gespannte Einstellung zur Kirche, frage mich, wo sie sich hinbewegt und ob sie sich auf mehr Frauen einlässt, auch in Beratungsgremien. Das ist ja alles total verkorkst momentan. Was für Versäumnisse an Chancen! Ich bin fassungslos, wie viele strategische Fehler man machen kann. Ich bin beim Synodalen Weg in der Hoffnung, dass man wieder mehr Menschen erreicht.
Was wäre zu tun?
Ich werde als Lyrikerin von Synodalen oft gefragt: „Wie können wir die Menschen erreichen? Sprechen wir die falsche Sprache?“ Ich antworte: „Die Sprache muss den Inhalten entsprechen.“ Ich denke, man müsste den Schwerpunkt auf die Nächstenliebe und die Güte legen und auf ein Miteinander, dass dieses Wort auch verdient. Es gäbe viel mehr Seite-an-Seite zu erfahren. Ich komme aus einem Feld, das stark vom Wettbewerb geprägt ist, aber so tut, als wäre es das nicht. Oft habe ich das Gefühl, ich kenne den Vatikan quasi auswendig – als Gefühlslandschaft. Also: Güte und Lob und Begeisterung gibt es ganz selten, Innovation dadurch auch.
Wie empfinden Sie die Stimmung beim Synodalen Weg?
Die meisten gehen unheimlich höflich miteinander um. Manche disqualifizieren sich aber schon alleine dadurch, wie sie ein Argument vortragen. Das ist dann Mittelalter und geht gar nicht mehr. Zunehmend empfinde ich die Präsenz der Frauen als stark.
Sie bezeichnen sich selbst als rheinisch-katholisch. Wer hat Sie geprägt?
Nora Gomringer trägt ihre Gedichte gerne gemeinsam mit Kollegen und in Verbindung mit Musik vor. |
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Meine kürzlich verstorbene Mutter und mein damaliger Heimatpfarrer Herr Pfister, ein toller, charismatischer Mensch. Als Kind wusste ich noch nicht, dass der ein ziemlicher Hardliner war. Aber er hat uns bei der Firmung intensiv begleitet und Anteil genommen an unserem Leben. Ein rheinisch-katholischer Glaube ist fröhlich, weit und weltnah.
Wie klingt das Wort „Mission“ für Sie?
Die Vorstellung, dass Mission nicht unbedingt Aussenden ist, sondern dass es kommt von jemandem, der sich selbst als Sendung begreift, finde ich schön.
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Wer einen gewissen Wert, ein gewisses Charisma in sich spürt, der wird von außen auch so beurteilt und ist dann Missionar durch Taten und weniger durch Worte. Für den Schriftsteller ist jedes Buch auch irgendwie eine Mission.
Sie waren häufiger in Asien und Afrika auf Lesereise. Werden Gedichte dort anders geschrieben und rezipiert?
Vor allem werden sie anders rezitiert. Afrikanische Schülerinnen und Schüler wachsen damit auf, dass sie voreinander hintreten und einen Text vortragen. Das ist meist noch mit Gesang und Tanz verbunden. Viele junge afrikanische Dichter können sehr gut sprechen. Sie reden mit Feuer und können damit anzünden. Diese Verbindung von Körperlichem und Stimmlichem und der Bedeutung von Wörtern ist eine Kombination, die wir fast zu früh und zu unserem Unglück aufbrechen. Es gibt noch Klatschspiele im Kindergarten, aber dann?
Einmal haben Literaturstudenten in Kenia Sie sehr überrascht...
Oh ja! Ich bekam von ihnen diese ganzen Liebesgedichte und habe gesagt: „Boah, da sind ja tolle Sachen dabei. Habt ihr denn schon so viel Liebe erlebt? Seid ihr durch all diese Wirren schon durch?“ Und sie antworteten: „Das ist unsere Liebe zu Jesus.“ Da war ich baff. Sobald es wieder möglich ist, lege ich diese Gedichte mal deutschen Studierenden vor. Ich glaube, in Deutschland kommt kein Mensch darauf, dass das Gebete sind!
Ist Inspiration etwas Göttliches?
Das Tun braucht einen Funken – die Kraft der Übersetzung und des Sehen- Könnens. Ich habe gerne das Bild des Angezündet-Werdens und mag deshalb die Flammenzungen zur Pfingstnacht. Es hat etwas mit dem inneren Bild des sehr Still-Seins und Abgeschaltet-Seins zu tun und der Hoffnung auf eine Öllampe. Inspiration kommt vom Tun und von Können. So wie viele Dinge immer dann nur wirklich weiter in einem arbeiten, wenn man sie bekommt, Liebe etwa.
Interview: Eva-Maria Werner; Fotos: Judith Kinitz
Zur Person
Nora Gomringer, 41, ist Lyrikerin und leitet das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg. Jedes Jahr erhalten zwölf Künstlerinnen und Künstler die Möglichkeit, dort zusammen zu leben und zu arbeiten. Derzeit sind Stipendiaten aus Slowenien und Deutschland zu Gast. Gomringer prägte Anfang der 2000er- Jahre die „Poetry-Slam-Szene“, Dichter-Wettbewerbe, bei denen das Publikum live entscheidet, wer in die nächste Runde kommt, maßgeblich mit. Sie selbst schreibt nicht nur Gedichte, sondern trägt sie auch vor. Inhaltlich hat sie sich zuletzt mit Verlusterfahrungen, Glaubensfragen, aber auch mit gesellschaftlich heiß diskutierten Themen wie dem Tönnies-Skandal befasst. Dazu hat sie für das Theater Gütersloh das Stück „Oinkonomy“ geschrieben.
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