Das Böse traut sich nicht zur Liebe hinEntlarvend sind die Szenen, die Regisseurin Mo Asumang, 57, in ihrem Film „Die Arier“
zeigt: Neonazis gehen der direkten Auseinandersetzung aus dem Weg,
Ku-Klux-Klan-Mitglieder verlieren die Fassung, ein bekannter Rassist umarmt sie. |
Die Moderatorin, Schauspielerin, Filmemacherin und Autorin hat nach einer Morddrohung beschlossen, Rassismus in der Gesellschaft nicht mehr als gegeben hinzunehmen, sondern dagegen zu „kämpfen“: mit Fragen, die das krude Gedankensystem von Rassisten zum Einsturz bringen, durch Begegnung, mit Engagement in Schulen und Universitäten. Dass Menschen sich ändern können, hat ihre eigene Familiengeschichte sie gelehrt. Ihre Oma, die für die SS arbeitete, hat das Kind ihrer Tochter, das diese mit einem Ghanaer bekommen hat, liebevoll aufgezogen.
Warum setzen Sie sich in Ihrem Film „Die Arier“ direkten Begegnungen mit Neonazis aus?
Um meine Angst loszuwerden. Um wieder mit mir gut zu sein und mich wohl zu fühlen in meinem Körper, mich zu lieben und mir nicht nur diese Hetze reinzuziehen. Das passiert ja schnell. Aber schwierig ist es, weil Rassisten meistens gemein sind. Da muss man schon ein bisschen was aushalten. Aber irgendwann habe ich festgestellt: Bei einer Begegnung ist mein Gegenüber mindestens genauso aus dem Takt wie ich.
Hat es funktioniert?
Ich habe tatsächlich meine Angst gegen Neugierde eingetauscht. Es geht letztendlich nicht um Monster, sondern um Menschen. Ich kann Rassisten nicht in eine Schublade packen und mich gleichzeitig beschweren, dass ich von ihnen in eine Schublade gesteckt werde. Kein Baby kommt auf die Welt und ist rassistisch. Man wird zum Rassisten gemacht. Immer nur mit dem Finger draufzeigen, das kann nicht der Weg sein.
Was ist denn dann der Weg?
Der Weg geht ganz sicher über Menschlichkeit. Man kann natürlich einfach zurückschlagen, aber dann wird der Kreislauf von Wut und Hass nicht durch- brochen, den die Rassisten am Laufen halten wollen. Das ist etwas, das wir unterbrechen können. Die Veränderung kann nur von uns kommen. Dass Sie an Veränderung glauben, hat auch etwas mit der Geschichte ihrer Familie zu tun... Meine Oma hat als Schreibkraft für die SS gearbeitet. Als ich das nach ihrem Tod erfahren habe, war es ein Schock. Denn meine Oma hat sich um mich gekümmert und mich großgezogen. Ich habe mich gefragt: „Hat sie mir ihre Liebe nur vorgegaukelt?“ Als meine Mutter ankündigte, dass ihr Kind eine dunkle Hautfarbe haben würde, drohte meine Großmutter, sich vor die Straßenbahn zu werfen. Letztendlich ist ihre Geschichte aber der Beweis dafür, dass Menschen sich verändern können, auch wenn sie noch so sehr in der Hass-Schleife gefangen sind.
Veränderung durch Begegnung?
Ja! In diesem Fall war es so. Die Begegnung war ich. Das Baby in der Wiege. Seit meine Großmutter mich zum ersten Mal sah, hat sie mich geliebt und für mich gesorgt. Wenn ich heute an den Mörder von George Floyd denke, dann frage ich mich: Was hat ihn dazu gebracht, so hasserfüllt gegenüber schwarzen Menschen zu sein? Deshalb mache ich mir die Mühe, auf Rassisten zuzugehen. Denn das Böse traut sich nicht zur Liebe hin. Warum hält sich Rassismus so hartnäckig in der Gesellschaft? Weil bestimmte Leute etwas davon haben, etwa die Führungskräfte einer Partei, deren Namen ich nicht nennen will. Sie brauchen Mitläufer, damit sie ihr System stützen können. Sie verkaufen ihnen Angst und einfache Antworten: Die mit dunkler Hautfarbe, das sind die Bösen, und wir sind die Guten. Sie wissen, dort, wo man miteinander spricht, muss man keine Angst haben. Hier in Berlin-Kreuzberg hat Rassismus keine Chance, weil man sich kennt.
Brauchen wir eine Quote für schwarze Menschen in Institutionen?
Vielleicht. Es geht darum, Menschen frühzeitig zu fördern und schon in der Schule zu schauen: Für wen sind denn eigentlich die Bücher geschrieben? Jeder sollte sich wiederfinden können. Die Institutionen muss man auf rassistische Strukturen untersuchen – und die Sprache. Man muss über das „Zigeunerschnitzel“, den „Mohrenkopf“ und das böse N-Wort mal diskutieren und sich ehrlich fragen, was Menschen weh tut.
Wenn Sie an das Afrikabild in deutschen Medien denken...
Das ist eine Katastrophe! Das meiste, was man sieht, sind Filme, in denen Leute auf Safari gehen. Das geht gar nicht! Es ist wichtig, dass wir in den Medien nicht nur Klischees abbilden. Da darf auch mal ein Rechtsanwalt eine schwarze Hautfarbe haben. Die Realität ist im Leben der Bürger weiter als die Medien!
Die meisten Leute bezeichnen sich als nicht rassistisch. Schwarze Menschen dagegen berichten, dass sie häufig rassistische Erfahrungen machen. Wo fängt Rassismus an, der von Weißen nicht als solcher erkannt wird?
Etwa in dem Moment, wo einem ungefragt in die Haare gegriffen wird. Niemand würde das bei einer blonden Frau wagen. Oder wenn jemand lacht, wenn ich auf seine Frage „Woher kommst du?“ mit „Kassel“ antworte. Auch positiver Rassismus gehört dazu, wenn einem einfach aufgrund der Hautfarbe zugesprochen wird, gut tanzen oder singen zu können. Was gibt Ihnen Hoffnung? Dass die Black-Lives-Matter-Bewegung in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Eine bunte Vielfalt ist auf die Straße gegangen – denn wir wissen – letztendlich geht es um Gerechtigkeit.
Interview: Eva-Maria Werner; Foto: Soeren Stache/dpa
Zurück zur Nachrichtenübersicht September/Oktober 2020
Lesen Sie weitere Interviews aus kontinente:
Ich mag die Flammenzungen zur Pfingstnacht - Lyrikerin Nora Gomringer
Unser Wohlstand geht auf Kosten der Armen - Entwicklungsminister Gerd Müller
Missbrauchte Ordensfrauen fürchten Rache - Steyler Schwester und Juristin Julie George
Wir brauchen eine spirituelle Revolution - Bischof Heiner Wilmer