Sie sind hier: Aktuelles 
Entwicklungsminister Gerd Müller @ imago images

Un­ser Wohl­stand geht auf Kos­ten der Ar­men

Gerd Mül­ler nennt es ein Pri­vi­leg, Ent­wick­lungs­mi­nis­ter zu sein. Bei sei­nen Rei­sen geht er in Sl­ums und
Flücht­lings­la­ger. Ent­wick­lungs­po­li­tik ist für den All­gäu­er nicht nur Ar­muts­be­kämp­fung, son­dern auch
Han­dels-, Kli­ma und Frie­dens­po­li­tik. Warum, er­klärt er im kon­ti­nen­te-In­ter­view.

Herr Mi­nis­ter, Sie sp­re­chen aus, was vie­le nicht ger­ne hö­ren: „Wir ha­ben Afri­ka arm ge­mach­t“ oder „Wir müs­sen an­de­re an un­se­rem Wohl­stand teil­ha­ben las­sen“. Was ver­an­lasst Sie da­zu?

Mei­ne Über­zeu­gung ist: Je­der Mensch hat ein Recht auf ein Le­ben in Wür­de. Papst Fran­zis­kus über­sch­reibt sei­ne En­zy­k­li­ka ‚Lau­da­to si‘ mit dem Auf­ruf an uns al­le: Über­nehmt Ver­ant­wor­tung! Denn je­der von uns kann ein Stück Ver­ant­wor­tung über­neh­men, die Welt ge­rech­ter zu ge­stal­ten. Die zwei­te Grund­über­zeu­gung ist: Wir le­ben in ei­ner Welt und ar­bei­ten in Ver­ant­wor­tung vor Gott und den kom­men­den Ge­ne­ra­tio­nen.

Wel­che Rol­le spielt da­bei Ihr Glau­be?

Als Christ in der Po­li­tik ha­be ich ein kla­res Wer­te­fun­da­ment: Der Star­ke hilft dem Schwa­chen. Die­se Ver­ant­wor­tung muss auch im glo­ba­len Sin­ne gel­ten, zwi­schen den rei­chen Na­tio­nen des Nor­dens und den är­me­ren des Sü­d­ens. Wir ha­ben das Glücks­los ge­zo­gen, dass wir in Eu­ro­pa le­ben. Es soll­te uns aber be­wusst sein, dass un­ser Wohl­stand ein Stück auf der Aus­beu­tung von Mensch und Na­tur in den Ent­wick­lungs­län­dern auf­baut. Des­we­gen kämp­fe ich da­für, Glo­ba­li­sie­rung ge­recht zu ge­stal­ten. Das ist die so­zia­le Fra­ge des 21. Jahr­hun­derts. Ich er­in­ne­re ger­ne an Hans Küng, der nun lei­der ver­s­tor­ben ist. Sei­ne Im­pul­se, ein Welte­thos, das uns al­le ver­bin­det, zur Grund­la­ge des Han­delns zu ma­chen, ha­ben mich als jun­gen Men­schen sehr be­wegt und ge­prägt.

In­wie­fern?

Hans Küng war ein gro­ßer Den­ker und Theo­lo­ge un­se­rer Zeit. Mit sei­nem „Pro­jekt Welte­thos“ be­grün­de­te er ei­ne Phi­lo­so­phie der in­ter­kul­tu­rel­len Ge­mein­sam­keit ver­bin­den­der Wer­te der Re­li­gio­nen und Kul­tu­ren – ein uni­ver­sel­les Ethos für Frie­den und Er­hal­tung der Sc­höp­fung. Es ist das Ver­mächt­nis und der fort­dau­ern­de Ap­pell die­ses weit­sich­ti­gen und im bes­ten Sin­ne welt-zu­ge­wand­ten Theo­lo­gen, uns die­sen zen­tra­len Über­le­bens­fra­gen der Mensch­heit ent­sch­los­sen zu wid­men.

Kri­ti­ker be­haup­ten, der Ent­wick­lungs­po­li­tik ge­he es mehr um In­ves­ti­tio­nen für deut­sche Un­ter­neh­men als dar­um, die Si­tua­ti­on vor Ort zu ver­bes­sern...

Nein. Hun­ger und Ar­mut in der Welt zu über­win­den, bleibt un­ser Ziel Num­mer eins. Seit 1990 sank die ex­t­re­me Ar­mut um fast zwei Drit­tel – von 1,9 Mil­li­ar­den Men­schen auf 690 Mil­lio­nen. Und das, ob­wohl im glei­chen Zei­traum die Welt­be­völ­ke­rung um 2,2 Mil­li­ar­den Men­schen ge­wach­sen ist. Das sind gro­ße Fort­schrit­te, die aber jetzt durch die Pan­de­mie in­fra­ge ge­s­tellt wer­den. Und den­noch: Wir ha­ben die Tech­no­lo­gie und das Wis­sen, ei­ne Welt oh­ne Hun­ger zu schaf­fen. Des­halb sa­ge ich auch: Hun­ger ist Mord! – weil wir das än­dern kön­nen. Wir ha­ben das Know-how da­zu, dass Afri­ka zum Selbst­ver­sor­ger wird. Ich den­ke nicht an die Groß­in­du­s­trie, son­dern an die Stär­kung der Klein­bau­ern ei­ne nach­hal­ti­ge Land­wirt­schaft. Aber wir müs­sen mehr tun: Wir brau­chen Pri­vat­in­ves­ti­tio­nen und ei­ne neue, fai­re Han­dels­po­li­tik. Da­mit lö­sen wir die größ­ten Ent­wick­lungs­sprün­ge aus.

Entwicklungsminister Gerd Müller in Ghana @ imago images

In Gha­na be­sucht der Mi­nis­ter die größ­te Elek­tro­schrott­hal­de der Welt, vol­ler Müll aus Eu­ro­pa.

Wie kann das mit ei­­ner an ma­­xi­­ma­­lem Pro­­­fit ori­en­­tier­­ten Wir­t­­schaft ge­­lin­­gen?

Es gibt vie­le ver­ant­wor­tungs­vol­le Un­ter­neh­men. Aber die Glo­ba­li­sie­rung führt viel zu oft zur Aus­beu­tung von Mensch und Na­tur. Der Fi­nanz­ka­pi­ta­lis­mus hat sich längst spe­ku­la­tiv von der Real­wirt­schaft und Ver­ant­wor­tung ge­löst. Des­we­gen brau­chen wir neue Leit­plan­ken, um die Er­de, die Sc­höp­fung, zu er­hal­ten. Es kann nicht sein, dass wir ei­ne Ent­wick­lung wei­ter­t­rei­ben, bei der zehn Pro­zent der Mensch­heit 90 Pro­zent des Ein­kom­mens und Ver­mö­gens be­sit­zen.


Hat die Co­ro­na-Pan­de­mie die Un­g­leich­heit noch ver­schärft?

Das ist lei­der so. In den letz­ten Mo­na­ten ha­ben 300 Mil­lio­nen Men­schen in Afri­ka und Asi­en durch die Co­ro­na-Pan­de­mie ih­re Ar­beit ver­lo­ren! Gleich­zei­tig ha­ben Un­ter­neh­mer wie Jeff Be­zos as­tro­no­mi­sche Ge­win­ne ge­macht. Ama­zon, Goog­le, Fa­ce­book, App­le sind die gro­ßen Kri­sen­ge­win­ner. Al­lein das Ver­mö­gen des Ama­zon-Grün­ders Jeff Be­zos ist in der Kri­se um 60 bis 80 Mil­li­ar­den US-Dol­lar ge­wach­sen.

Sie for­dern im­mer wie­der, dass sich die Ge­win­ner der Co­ro­na-Kri­se an der in­ter­na­tio­na­len Impf­platt­form Co­vax be­tei­li­gen, da­mit der Co­ro­na-Impf­stoff ge­recht ver­teilt wird. Ha­ben Sie manch­mal das Ge­fühl, auf ver­lo­re­nem Pos­ten zu kämp­fen?

Die Ent­wick­lungs­län­der müs­sen gleich­be­rech­tigt Zu­gang zu Impf­stof­fen be­kom­men, denn die Pan­de­mie be­sie­gen wir nur welt­weit oder nicht. Aber bis­lang fin­den nur 2 von 1.000 Imp­fun­gen in den ar­men Län­dern Staat. 10 der reichs­ten Län­der ha­ben sich drei Vier­tel der welt­wei­ten Impf­do­sen ge­si­chert. Es ist un­ver­zicht­bar, dass auch in Ent­wick­lungs­län­dern zü­g­ig ge­impft wird. Denn nur ei­ne welt­wei­te Impf­kam­pag­ne ist der Weg aus der Kri­se. Zum Glück fan­gen wir nicht bei Null an und kön­nen die Struk­tu­ren der glo­ba­len Imp­fal­lianz Ga­vi nut­zen, die schon er­folg­reich Po­lio und an­de­re Krank­hei­ten be­kämpft hat. Das Ziel ist, bis En­de des Jah­res min­des­tens 20 Pro­zent der Men­schen in Ent­wick­lungs­län­dern ge­gen Co­ro­na zu imp­fen. Die Fi­nan­zie­rung da­für ist aber noch längst nicht ge­si­chert. Es feh­len 22 Mil­li­ar­den Eu­ro für The­ra­peu­ti­ka, Impf­stof­fe. Des­halb sa­ge ich: Ei­ne Impf­kam­pag­ne darf nicht am Geld schei­tern – aus hu­mani­tä­ren Grün­den, aber auch aus un­se­rem ei­ge­nen In­ter­es­se. Sonst kommt das Vi­rus sch­nell zu­rück, vi­el­leicht noch ge­fähr­li­cher.

Die In­du­s­trie­na­tio­nen si­chern sich auch durch un­fai­re Han­dels­be­din­gun­gen Vor­tei­le. Zöl­le auf ver­ar­bei­te­te Pro­duk­te aus den Ent­wick­lungs­län­dern sind deut­lich höh­er als auf Roh­stof­fe. Sind da nicht auch in der Pf­licht?

Ja, selbst­ver­ständ­lich. In Afri­ka ent­steht der­zeit ein ge­mein­sa­mer Markt, der 1,2 Mil­li­ar­den Men­schen um­fasst. Das ist ver­g­leich­bar mit dem Start des eu­ro­päi­schen Bin­nen­mark­tes vor 30 Jah­ren. Um die­ses rie­si­ge Po­ten­tial für nach­hal­ti­ges Wachs­tum zu he­ben, soll­te Eu­ro­pa ein um­fas­sen­des Han­dels­ab­kom­men an­bie­ten, bei dem ge­nau die­se The­men an­ge­gan­gen wer­den: ein fai­rer Markt­zu­gang für afri­ka­ni­sche Pro­duk­te. Und wir müs­sen auf­hö­ren, den afri­ka­ni­schen Markt mit sub­ven­tio­nier­ten Agrar­pro­duk­ten zu über­schwem­men. Ich fra­ge auch: Warum müs­sen Kaf­fee, Ka­kao­boh­nen, Baum­wol­le nach Eu­ro­pa ver­schifft, um hier ver­ar­bei­tet zu wer­den? Die Wert­sc­höp­fung er­folgt in Eu­ro­pa, die Aus­beu­tung auf den Plan­ta­gen Afri­kas. Das kann nicht die Zu­kunft sein! Wir brau­chen Wert­sc­höp­fung in den afri­ka­ni­schen Län­dern und ver­ant­wor­tungs­vol­le In­ves­ti­tio­nen, bei de­nen so­zia­le und öko­lo­gi­sche Min­dest­stan­dards ein­ge­hal­ten wer­den – al­len voran das Ver­bot von Kin­der­ar­beit.

Und auch neue An­sät­ze beim Ent­s­or­gungs- und Müll­pro­b­lem...

Wir müs­sen den gan­zen Müll­ex­port in Ent­wick­lungs­län­der ver­bie­ten. Und viel stär­ker in Kreis­läu­fen den­ken: we­ni­ger Roh­stof­fe ein­set­zen, re­cy­celn, wie­der­ver­wen­den. Das Haupt­pro­b­lem ist ja un­se­re „Ex­ter­na­li­sie­rungs­ge­sell­schaf­t“. Wir ho­len uns die Res­sour­cen und Roh­stof­fe mög­lichst bil­lig aus Ent­wick­lungs­län­dern, bau­en dar­auf un­se­ren Wohl­stand auf und lie­fern un­se­re ge­brauch­ten Ge­rä­te zu­rück, vie­les da­von als Schrott. Die In­du­s­trie­län­der ma­chen nur 20 Pro­zent der Welt­be­völ­ke­rung aus, ver­brau­chen aber 80 Pro­zent der Res­sour­cen und hin­ter­las­sen zwei Drit­tel der Um­welt­ver­sch­mut­zung. Neh­men Sie die Je­an­s­pro­duk­ti­on: Wir ha­ben dank Um­welt­ge­set­zen sau­be­re Flüs­se und sau­be­re Luft. Aber dort, wo die Je­ans her­ge­s­tellt wird, in Äthio­pi­en oder Ban­g­la­desch, läuft das Ab­was­ser größ­t­en­teils un­ge­klärt in die Flüs­se. Un­ser Wohl­stand ist zu ei­nem ganz er­heb­li­chen An­teil auf sol­chen Pro­duk­ti­ons­me­tho­den auf­ge­baut, auf der Aus­beu­tung der Men­schen und der Na­tur in den Ent­wick­lungs­län­dern. Aus hu­mani­tä­ren und aus öko­lo­gi­schen Ge­sichts­punk­ten ist die­ses Wirt­schafts­mo­dell nicht zu­kunfts­fähig.

Brau­chen wir ei­nen Sys­tem­wan­del?

Ja, vom Klei­nen zum Gro­ßen: Je­de und je­der kann zu Hau­se mit dem Kauf von fai­ren Pro­duk­ten be­gin­nen. Das geht wei­ter in der Ge­mein­de, mit der fai­ren öf­f­ent­li­chen Be­schaf­fung – et­wa bei fai­rer Bett­wä­sche in Kran­ken­häu­s­ern und fai­rem Kaf­fee in den Amts­stu­ben – und en­det beim Welt­han­del. Wir müs­sen viel stär­ker dar­auf ach­ten, dass die Men­schen vor Ort für un­se­re Pro­duk­te exis­tenz­si­chern­de Löh­ne be­kom­men und So­zial- und Um­welt­stan­dards ein­ge­hal­ten wer­den.

Mit Ar­beits­mi­nis­ter Hu­ber­tus Heil ha­ben Sie das Lie­fer­ket­ten­ge­setz
in­i­ti­iert. Wor­um geht es da­bei?


Das Ge­setz soll da­für sor­gen, dass am An­fang un­se­rer Lie­fer­ket­ten grund­le­gen­de Men­schen­rechts­stan­dards ein­ge­hal­ten wer­den – wie das Ver­bot von Kin­der- und Zwangs­ar­beit. Neh­men Sie noch­mals die Je­ans. Sie wird in Ban­g­la­desch für fünf Eu­ro her­ge­s­tellt. Bei uns liegt sie dann für 50 oder 100 Eu­ro im La­den. Die Nähe­rin­nen schuf­ten 14 Stun­den am Tag, sechs Ta­ge die Wo­che, für ei­nen Stun­den­lohn von 40 Cent. Ei­ne Ver­dop­pe­lung wür­de rei­chen, da­mit sie ih­re Fa­mi­li­en er­näh­ren kön­nen und ih­re Kin­der nicht ar­bei­ten müs­sen. Die Je­ans wür­de in der Pro­duk­ti­on nur ei­nen Eu­ro teu­rer – von fünf auf sechs Eu­ro. Un­ser staat­li­ches Tex­til­sie­gel „Grü­ner Knopf“ zeigt, dass es geht. Aber mei­ne Er­fah­rung ist: Am En­de hel­fen nur ge­setz­li­che Re­ge­lun­gen.

Entwicklungsminister Gerd Müller in Libanon @ picture alliance

Im Li­ba­non spricht Gerd Mül­ler mit sy­ri­schen Flücht­lin­gen.

Ih­re Plä­ne sto­ßen aber selbst in Ih­rer ei­ge­nen Frak­ti­on auf Ab­leh­nung...

Nach Jah­ren der Vor­ar­beit hat das Bun­des­ka­bi­nett das Lie­fer­ket­ten­ge­setz be­sch­los­sen, jetzt be­rät es der Bun­des­tag. Ich bin opti­mis­tisch, dass wir das Ge­setz bis zum Som­mer be­sch­lie­ßen. Es ist ein gu­ter Kom­pro­miss mit Au­gen­maß. Das Lie­fer­ket­ten­ge­setz hilft den Men­schen vor Ort oh­ne un­se­re Un­ter­neh­men zu über­for­dern. Das sieht üb­ri­gens auch die Wirt­schaft so. Tchi­bo oder Daim­ler und 70 an­de­re Un­ter­neh­men be­für­wor­ten das Ge­setz. So wie auch drei Vier­tel der Deut­schen.

Wir sp­re­chen hier von grund­le­gen­den Men­schen­rechts­stan­dards wie dem Ver­bot von Kin­der- und Zwangs­ar­beit. Deut­sch­land setzt da­mit auch ein star­kes Zei­chen in der Eu­ro­päi­schen Uni­on.

Sie ken­nen die Zahl von Ex­per­ten, wo­nach für je­den Men­schen in der west­li­chen Welt et­wa rund 50 Skla­ven ar­bei­ten. Wel­che Kon­sum­be­rei­che be­trifft das? Und wie kann es ge­lin­gen, die­se Zahl der Skla­ven zu re­du­zie­ren?

Es geht um die Baum­wol­le in un­se­ren T-Shirts. Es geht um Tep­pi­che oder Gr­ab­stei­ne. Oder um den Kaf­fee­boh­nen für die Tas­se Kaf­fee am Mor­gen. Oh­ne Kin­der­ar­beit sind die­se Pro­duk­te häu­fig nicht zu be­kom­men. Denn die in­du­s­tria­li­sier­te Welt bie­tet viel zu nie­d­ri­ge Ein­kauf­s­p­rei­se an. Hier muss man an­set­zen. Der er­folg­reichs­te Weg ist, dass die Pro­duk­te ei­nen fai­ren Preis be­kom­men, da­mit die er­wach­se­ne Fa­mi­li­en­mit­g­lie­der das Ein­kom­men ver­die­nen und nicht ih­re Kin­der – weil das Ein­kom­men an­sons­ten nicht zum Über­le­ben reicht. Je­de und je­der kann hier hel­fen und beim nächs­ten Ein­kauf auf an­er­kann­te Sie­gel wie Fair­tra­de, GE­PA oder un­se­ren Grü­nen Knopf ach­ten.

Wie sieht es mit fai­ren Pro­duk­ten in Ih­rem Le­ben­s­um­feld aus?

Ich ha­be mit mei­ner Frau zu­sam­men ei­ni­ges um­ge­s­tellt in un­se­rer Le­bens­wei­se. Re­gio­nal und sai­so­nal zu le­ben ge­hört da­zu. Wir schau­en auch beim Kauf von Scho­ko­la­de und Ba­na­nen ge­nau hin. Die Klei­dung stel­len wir Schritt für Schritt um. Wir ma­chen die Er­fah­rung: Es muss nicht im­mer ex­or­bi­tant teu­rer sein. Es ist von ent­schei­den­der Be­deu­tung, dass auch Lidl, Al­di, Tchi­bo die gro­ßen An­bie­ter sa­gen: Nach­hal­tig­keit ist der Trend der Zu­kunft, wir ma­chen da­bei mit und brin­gen den Ge­dan­ken in die Brei­te. Her­aus aus der Ni­sche.

Sie wol­len Ent­wick­lungs­hil­fe künf­tig an Be­din­gun­gen wie Good Go­ver­nan­ce (gu­te Re­gie­rungs­füh­rung) knüp­fen. Fal­len da nicht die Ärms­ten durch?

Men­schen, die von Hun­ger, Ar­mut und Not be­droht sind, wer­den wir im­mer un­ter­stüt­zen. Das ist ei­ne hu­mani­tä­re Verpf­lich­tung. Aber wir set­zen zu­sätz­lich auf Ei­gen­ver­ant­wor­tung. Das heißt: gu­te Re­gie­rungs­füh­rung, Rechts­staat­lich­keit, Kampf ge­gen Kor­rup­ti­on, Gleich­be­rech­ti­gung der Frau­en. Wenn Re­gie­run­gen hier kei­ner­lei Fort­schrit­te ma­chen, be­en­den wir – falls nö­t­ig – die Zu­sam­men­ar­beit. Dann ar­bei­ten wir mit den Kir­chen oder zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen Or­ga­ni­sa­tio­nen. Ein Bei­spiel: Im Tschad ha­ben wir ein Kran­ken­haus be­sucht: ab­ge­ma­ger­te Klein­kin­der, de­ren Müt­ter sie nicht stil­len konn­ten, weil sie selbst un­te­r­er­nährt wa­ren. Die Re­gie­rung küm­mert sich seit Jah­ren nicht. Drei Ki­lo­me­ter wei­ter saß der Prä­si­dent in sei­nem Pa­last und woll­te staat­li­che Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit von uns. Ich ha­be das ab­ge­lehnt. Statt­des­sen un­ter­stüt­zen wir das Kran­ken­haus di­rekt über die Or­dens­schwes­tern vor Ort.

Wel­che Rol­len spie­len die Kir­chen für die deut­sche Ent­wick­lungs­hil­fe?

Zitatbox Gerd Müller @ kontinente.org

Die Kir­chen sind in vie­len Län­dern un­ser wich­tigs­ter Part­ner, um die Ärms­ten der Ar­men zu er­rei­chen. Ich er­in­ne­re mich an mei­nen Be­such in der Zen­tral­afri­ka­ni­schen Re­pu­b­lik, wo mir ein Pfar­rer sag­te: „Hier gibt es kei­ne staat­li­chen Struk­tu­ren, aber es gibt die Kir­chen. Oh­ne uns wür­de das Land im Cha­os ver­sin­ken. Wir ge­ben den Men­schen Halt.“ Für die­ses En­ga­ge­ment bin ich sehr dank­bar. Oh­ne die Kir­chen, oh­ne mis­sio, könn­te die staat­li­che Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit vie­le Mil­lio­nen Men­schen über­haupt nicht er­rei­chen.


Stich­wort Kor­rup­ti­on der lo­ka­len Eli­ten. Was tun Sie da­ge­gen?

Es ist ganz klar: Kein Eu­ro darf in kor­rup­te Ka­nä­le ge­hen. Die Hil­fen müs­sen bei den Men­schen an­kom­men. Um das si­cher­zu­s­tel­len, las­sen wir un­se­re Pro­jek­te von ex­ter­nen Prü­fern kon­trol­lie­ren. Vor al­lem for­dern wir von un­se­ren Part­ner­län­dern mehr En­ga­ge­ment für gu­te Re­gie­rungs­füh­rung und den Kampf ge­gen Kor­rup­ti­on.

Wie se­hen Sie den wach­sen­den Ein­fluss Chi­nas in Afri­ka?

Chi­na ist in Afri­ka sehr prä­sent, auch mit wich­ti­gen In­ves­ti­tio­nen. Aber vie­le Staa­ten ha­ben sich bei Chi­na auch hoch ver­schul­det und sind so in ei­ne Ab­hän­gig­keit ge­rutscht. Un­ser Ziel sind nach­hal­ti­ge Ko­ope­ra­tio­nen von Eu­ro­päern und Chi­ne­sen mit afri­ka­ni­schen Part­nern – da­mit so Jobs und Wirt­schafts­ent­wick­lung in Afri­ka ent­ste­hen.

Sie for­dern schon län­ger, dass die EU-Län­der ih­re Ent­wick­lungs­po­li­tik ab­stim­men. Was hat sich in die­sem Punkt ge­tan?

Noch zu we­nig. Ge­ra­de in der Co­ro­na-Kri­se muss Brüs­sel viel stär­ker über die EU-Gren­zen hin­aus­den­ken. Lei­der gibt es da ei­ne Ent­wick­lung, die ich sehr kri­tisch se­he. 1.000 Mil­li­ar­den Eu­ro ste­hen für die 27 EU-Staa­ten für die Be­wäl­ti­gung der Pan­de­mie zur Ver­fü­gung. Gleich­zei­tig wer­den im EU-Haus­halt die Mit­tel für Ent­wick­lung für die nächs­ten sie­ben Jah­re ge­kürzt. Das ist kurz­sich­tig und kann auf uns zu­rück­schla­gen.

Die Rück­füh­rung von Mi­gran­ten soll ein Schwer­punkt des BMZ wer­den. Ist das noch Ent­wick­lungs­hil­fe?

Das stimmt so nicht. Ei­nes un­se­rer Zie­le ist es, Men­schen, die in ih­re Hei­mat zu­rück­keh­ren, ei­ne Per­spek­ti­ve zu bie­ten: sei es ein Aus­bil­dungs­platz, ei­ne Ar­beits­s­tel­le oder ein Kre­dit für die Un­ter­neh­mens­grün­dung. Ich er­in­ne­re mich an mei­nen Be­such in Ägyp­ten. Dort le­ben 25 Mil­lio­nen Ju­gend­li­che zwi­schen 15 und 22 Jah­ren. Schät­zungs­wei­se 80 Pro­zent der jun­gen Men­schen ha­ben kei­ne fes­te Ar­beit. Wir müs­sen in den Her­kunfts­län­dern der Mi­gran­ten viel mehr in­ves­tie­ren in Bil­dung und wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit, um dort Ar­beits­plät­ze zu schaf­fen. Wirt­schaft­li­cher Auf­schwung ist die Vor­aus­set­zung für ei­ne Zu­kunft der jun­gen Ge­ne­ra­ti­on.

Im Ju­ni sind Sie Schirm­herr der mis­sio-Kon­fe­renz zum The­ma „mo­der­ne Skla­ve­r­ei“. Dort wer­den auch Cy­ber-Prosti­tu­ti­on und On­li­ne-Miss­brauch ei­ne Rol­le spie­len. Wie kann man da­ge­gen vor­ge­hen?

Dan­ke, dass Sie das zum The­ma ma­chen auf der Kon­fe­renz. Die Aus­beu­tung von Kin­dern ist das bru­tals­te Ver­b­re­chen, das wir uns vor­s­tel­len kön­nen. Es gibt bis­her lei­der kei­ne Da­ten über das welt­wei­te Aus­maß von Cy­ber­sex, ei­ner neu­en Form der in­ter­na­tio­na­len Kri­mi­na­li­tät. Aber wir wis­sen, dass es sich um ei­ne mil­li­ar­den­schwe­re In­du­s­trie – ver­netzt im Dar­k­net – han­delt. Der ers­te Schritt muss sein, dass Goog­le, Fa­ce­book und die welt­wei­ten An­bie­ter die­se Sei­ten ver­bie­ten und die User mel­den und sich ak­tiv an der Be­kämp­fung die­ses Ver­b­re­chens be­tei­li­gen. Das ist nur mög­lich in Ko­ope­ra­ti­on mit al­len, die die­se glo­ba­len Netz­wer­ke be­t­rei­ben. Die Po­li­tik ist auf­ge­ru­fen, hier in­ter­na­tio­nal Stan­dards zu set­zen.

Für den nächs­ten Bun­des­tag wol­len Sie nicht mehr kan­di­die­ren. Wel­che Bi­lanz zie­hen Sie nach acht Jah­ren als Ent­wick­lungs­mi­nis­ter?

Die Er­fah­run­gen, die ich ma­chen durf­te, ha­ben mich ve­r­än­dert – als Mensch und als Po­li­ti­ker. Ich ha­be das al­les ge­se­hen: Aus­beu­tung auf Ba­na­nen­plan­ta­gen, Kin­der­ar­beit in Stein­brüchen, aber auch Or­dens­schwes­tern, die Hun­der­te Kin­der vor dem Tod ret­ten und ih­nen Schu­le und Bil­dung er­mög­li­chen. Das ist Him­mel und Höl­le.

Gab es auch Din­ge, die Sie ent­täuscht ha­ben?

Ich hät­te mir beim Lie­fer­ket­ten­ge­setz schon ge­wünscht, dass es sch­nel­ler geht. Aber Po­li­tik ist das Boh­ren di­cker Bret­ter, bei dem es dar­um geht, nie­mals auf­zu­ge­ben. Ich be­zie­he mei­ne Kraft auch aus den Er­fah­run­gen, die ich als Po­li­ti­ker ma­chen durf­te, und er­lau­be mir des­halb, auch mal laut zu sein. Wir ge­hö­ren zu den 0,5 Pro­zent in der Welt, die kei­nen Tag nach­den­ken müs­sen, was sie zu es­sen ha­ben und dass es warm ist zu Hau­se. Wir hat­ten das Glück, hier ge­bo­ren zu sein. Dar­aus er­wächst aber auch die Ver­ant­wor­tung, ein Stück zu tei­len und die an­de­ren teil­ha­ben zu las­sen. Als Welt­ge­mein­schaft ha­ben wir das Wis­sen und die Mög­lich­kei­ten, die glo­ba­len Pro­b­le­me zu lö­sen. Aber nicht mit ei­nem „Wei­ter so!“ Wir müs­sen um­den­ken und ent­schie­den han­deln. Und zwar jetzt!

In­ter­view: Bea­trix Gram­lich; Fo­tos: ima­go ima­­ges, pic­tu­re al­li­an­ce


Zur Per­son

Gerd Mül­ler, 65, ist seit 2013 Ent­wick­lungs­mi­nis­ter und das gern, wie er of­fen zu­gibt. Der CSU-Po­li­ti­ker nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Men­schen­rech­te, Aus­beu­tung und un­fai­re Han­dels­be­din­gun­gen geht. Sei­ne Ar­beit fin­det über Par­tei­g­ren­zen hin­weg An­er­ken­nung, auch wenn er wie beim Lie­fer­ket­ten­ge­setz „di­cke Bret­ter boh­ren“ muss. Der Bau­ern­sohn und Di­p­lom-Wirt­schaft­s­päda­go­ge lebt im All­gäu, ist ver­hei­ra­tet und hat zwei Kin­der. Im Ju­ni über­nimmt er die Schirm­herr­schaft für ei­ne in­ter­na­tio­na­le mis­sio-Kon­fe­renz zum The­ma mo­der­ne Skla­ve­rei.

Zu­­­rück zur Nach­­­rich­­­ten­­­über­­­sicht März/April 2021

Le­­­sen Sie wei­­­te­­­re In­­­­­ter­views aus kon­­ti­­nen­­te:

Ich mag die Flam­­men­zun­­gen zur Pfings­t­nach­­t - Ly­ri­ke­rin No­ra Gom­rin­ger

Mis­s­brauch­­te Or­­den­s­frau­en fürch­­ten Ra­che - Stey­­ler Schwes­­ter und Ju­ris­­tin Ju­­lie Ge­or­­ge

Wir brau­chen ei­­ne spi­ri­­tu­el­­le Re­vo­lu­­ti­on - Bi­schof Hei­­ner Wil­mer

Das Bö­­se traut sich nicht zur Lie­­be hin - Re­gis­seu­rin Mo Asu­mang




SUCHE

PROBEHEFT GRATIS BESTELLEN
Eine Welt.
Ein Magazin.

Entdecken Sie kontinente
und bestellen Sie hier Ihr kostenloses Probeheft.

WORTWECHSEL
Was meinen Sie?
Bürgergeld-Bingo: Reichen 563 Euro?

DIE KONTINENTE-HERAUSGEBER
missio

missio - Internationales
Katholisches Missionswerk e. V.

Goethestr. 43
D-52064 Aachen
www.missio-hilft.de

Africanum

Africanum
Route de la Vignettaz 57-59
CH-1700 Fribourg
www.africanum.ch

Afrikamissionare – Weisse Väter

Afrikamissionare – Weisse Väter
Ludwigsburger Str. 21
D-50739 Köln
www.afrikamissionare.de

Anbeterinnen des Blutes Christi

Anbeterinnen des Blutes Christi
Kloster St. Elisabeth
FL–9494 Schaan
www.kloster.li

Arenberger Dominikanerinnen

Arenberger Dominikanerinnen
Cherubine-Willimann-Weg 1
D-56077 Koblenz
www.arenberger-dominikanerinnen.de

Comboni-Missionare

Comboni-Missionare
Scharrerstraße 32
90478 Nürnberg
www.comboni.de

Franziskanerinnen Salzkotten

Franziskanerinnen Salzkotten
Paderborner Str. 7
D-33154 Salzkotten
www.fcjm.de

Franziskanerinnen von Reute

Franziskanerinnen von Reute
Kloster Reute
D-88339 Bad Waldsee
www.kloster-reute.de

Herz-Jesu-Missionare

Herz-Jesu-Missionare
Schönleitenstraße 1
A-5020 Salzburg
www.msc-salzburg.at

Institut St. Dominikus

Institut St. Dominikus
Vincentiusstr. 4
D-67346 Speyer
www.institut-st-dominikus.de

Kapuziner

Deutsche Kapuzinerprovinz
Kapuzinerstr. 34
D-80469 München
www.kapuziner.de

Maristenbrüder

Maristenbrüder
FMS Sektor Deutschland

Klosterstraße 4
D-84095 Furth bei Landshut
www.maristen.org

Maristenpatres

Maristenpatres
Am Zwinger 1
D-94032 Passau

www.maristenpatres.de

Missio Nederland

Missio Nederland
Postbus 93140
NL-2509 AC Den Haag
www.missio.nl

Missionare vom Kostbaren Blut

Missionare vom Kostbaren Blut
Gyllenstormstr. 8
A-5026 Salzburg-Aigen
www.missionare-vom-kostbaren-blut.org

Missionarinnen Christi

Missionarinnen Christi
Linderhofstr.10
D-81377 München
www.missionarinnen-christi.de

Missions-Benediktinerinnen

Missions-Benediktinerinnen
Bahnhofstr. 3
D-82327 Tutzing
www.missions-benediktinerinnen.de

Missions-Dominikanerinnen Schlehdorf

Missions-Dominikanerinnen Schlehdorf
Provinz St. Immaculata
Kirchstr. 9
D-82444 Schlehdorf
www.schlehdorf.org

Missionsärztliche Schwestern

Missionsärztliche Schwestern
Scharnhölzstr. 37
D-46236 Bottrop
www.missionsaerztliche-schwestern.org

Missionsdominikanerinnen Strahlfeld

Missionsdominikanerinnen Strahlfeld
Am Jägerberg 2
D-93426 Roding-Strahlfeld
www.kloster-strahlfeld.de

Missionsschwestern v. d. Unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes

Missionsschwestern v. d. Unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes
Franziskusweg 2
D-48145 Münster

Missionsschwestern vom Hlst. Herzen Jesu

Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu
Hohe Geest 73
D-48165 Münster-Hiltrup
www.msc-hiltrup.de

Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel

Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel
Friedensplatz 6
D-37308 Heilbad Heiligenstadt
www.smmp.de

Spiritaner

Spiritaner
Missionsgesellschaft vom Heiligen Geist
Missionshaus Knechtsteden
D-41540 Dormagen
www.spiritaner.de


VIDEO
Der Film erzählt von Schwester Marie Catherine im Niger, die zur Versöhnung von Muslimen und Christen im ärmsten Land der Welt beiträgt.

Unterwegs in ...
Das kontinente-
Reisetagebuch

Facebook  YouTubeKontakt  |  FAQ  |  Sitemap  |  Datenschutz  |  Impressum