Was bedeutet Familie für Sie?
Kuyateh: Ich bin froh, Teil einer großen Familie zu sein! Wir sind über die ganze Welt verstreut und kommen aus verschiedenen Nationen. Aber wir gehören zusammen. Stachowske: Ich lebe gerne in meiner kleinen Familie, aber ich genieße es, wenn ich in unserer Großfamilie in Gambia zu Besuch bin! Wobei es jedes Mal ungewohnt ist, ständig so viele Menschen um mich herum zu haben … Die anderen verstehen aber auch, wenn ich mich aus dem Trubel zurückziehe. In unserer Familie sind zwei Kulturen vereint, und wir versuchen, beiden gerecht zu werden.
Ist die Großfamilie eine Last oder ein Gewinn?
Stachowske: Es ist toll, aber es bedeutet auch viel Verantwortung. Wenn man weiß, dass andere Familienmitglieder in sehr bescheidenen Verhältnissen leben, überlegt man sich zweimal, wie man sein Geld ausgibt. Kuyateh: Wir leben in einem sehr alten Haus und können kein neues bauen, weil so viele Leute zu versorgen sind. Auf der anderen Seite bekomme ich immer schnell Unterstützung und kann
Arbeit aufteilen. Man fühlt sich nie einsam.
Welche Rolle spielen Frauen in Ihrer Kultur?
Kuyateh: Bei uns machen Frauen den Haushalt, putzen, kochen, waschen und arbeiten auf dem Reisfeld oder im Gemüsegarten. Mädchen helfen ihren Müttern, Jungen ihren Vätern. Wenn mehrere Frauen unter einem Dach leben, teilen wir die Hausarbeit auf. Die jüngste Frau ist dafür zuständig, das Mittagessen zu kochen und die Wäsche zu waschen. Stachowske: Ich bin mit der Überzeugung aufgewachsen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind oder sein sollen. Bei uns können Frauen zur Schule gehen und ihren Traumberuf erlernen und sogar Hauptverdienerin sein. Aber auch in Deutschland sitzen die traditionellen Rollenbilder von Hausfrau und Mutter noch in den Köpfen. Kuyateh: In Gambia stehen Männer immer über Frauen. Mädchen werden von klein auf darauf vorbereitet, dem Ehemann zu dienen. Während unserer traditionellen Hochzeitszeremonie muss die Frau das Kleid des Ehemanns waschen, das Geschirr spülen und für ihn kochen. Stachowske: Interessanterweise ist mein Mann, der aus einer patriarchalischen Gesellschaft stammt, in manchem offener und toleranter als deutsche Männer! Kuyateh: Ehrlich, Bente, ich kann nicht glauben, dass du kaum kochst und dir mit deinem Mann den Haushalt teilst!

Dürfen Frauen erwerbstätig sein?
Kuyateh: Als ich jung war, war es für unsere Eltern undenkbar, dass wir woanders arbeiten gehen. Ich finde das immer noch nicht gut. Stachowske: Ich arbeite wieder, seit unser Sohn sechs Monate alt ist. Ich bin oft für zwei oder drei Wochen unterwegs, das gehört zu meinem Job. Aber ich zeige ihm, dass ich mein Leben so lebe, wie es mich glücklich macht. Und ich möchte, dass er später sein Leben auch so leben darf. Kuyateh: Was für ein Glück, Bente! In meiner Generation gingen Mädchen überhaupt nicht und nur wenige Jungen zur Schule. Heute ist das anders: Alle meine Enkelkinder gehen zur Schule, und ich unterstütze sie dabei. Stachowske: Ich hatte von Anfang an alle Möglichkeiten und konnte studieren. Mein Mann hatte nie die Möglichkeit, das zu tun, was er wollte. In Deutschland ist es natürlich noch schwieriger, einen guten Job zu finden. Aber er hat kein Problem damit, dass ich eine bessere Ausbildung habe.
Frau Kuyateh, wie sah Ihr Leben aus, als Sie so alt waren wie Ihre Schwiegertochter?
Kuyateh: Da war ich Hausfrau und habe meinen Mann als Sängerin begleitet, wenn er als Griot-Musiker* mit seiner Kora-Harfe die Touristen unterhalten hat. Während der Trockenzeit zogen wir zwei oder drei Monate lang von Dorf zu Dorf, um für Unterhaltung zu sorgen, und haben so unseren Lebensunterhalt verdient. Wir wissen nicht, wie man auf einem Feld arbeitet! Aber ich reise immer noch gern in die Dörfer und sogar in die Stadt, um an Familientreffen teilzunehmen. Stachowske: Irgendwie ähneln sich unsere Leben: Auch ich reise viel. Wenn ich so alt bin wie du, möchte ich auch in einer so entspannten Gemeinschaft leben! Kuyateh: Ich habe viele Freundinnen im Dorf, mit denen ich die Nachmittage gemeinsam im Schatten vor dem Haus verbringe. Außerdem kümmere ich mich um meine Enkel. Stachowske: Es ist ein gutes Leben, oder?
Bearbeitung: Christina Brunner
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