„Es ist einfach so passiert“Interview mit der Opernsängerin Pumeza Matshikiza,
die während der Apartheid in den Townships von Südafrika aufgewachsen ist |
Sie wächst während der Apartheid in den Townships von Südafrika auf. Weil die Mutter arbeitet, versorgt Pumeza Matshikiza Haushalt und ihren kleinen Bruder. Als sie im Radio ihre erste Oper hört, will sie nur noch eins: so singen können. Sie hat es gelernt und feiert heute in Europa Erfolge.
Eigentlich sollte sie Vermessungstechnikerin werden. Ein Lehrer hatte ihr dazu geraten, weil sie gut in Mathematik war und der Beruf ein sicheres Einkommen versprach. Also lieh sie sich Geld und begann mit dem Studium. Es war eine Kopfentscheidung. Ihr Herz aber schlug für etwas ganz anderes. Mit 21 Jahren rang sich Pumeza Matshikiza dazu durch, endlich das zu machen, was sie von Kindheit an liebte: Musik. Sie bewarb sich an der Musikhochschule Kapstadt, bestand die Aufnahmeprüfung und hat seitdem eine erstaunliche Karriere hingelegt.
Ihre Geschichte klingt wie ein Märchen: Vom Mädchen aus den Townships von Kapstadt, das während der Apartheid die Diskriminierung der Schwarzen in Südafrika erlebt, zur gefeierten Sopranistin auf europäischen Bühnen. Was andere kaum fassen können, kommentiert die 35-Jährige lapidar: „Es ist einfach so passiert.“ Passiert ist schon eine Menge in ihrem jungen Leben. Als Teenager hat ihr Nelson Mandela bei einem Besuch an ihrer Schule die Hand geschüttelt. Später spendierte ihr ein südafrikanischer Komponist, dem ihre Stimme aufgefallen war, ein Ticket nach London. Auf seinen Rat hin bewarb sich Pumeza Matshikiza dort am Royal College of Music – und bekam ein Vollstipendium.
Mittlerweile hat sie ihre erste CD eingespielt und ist Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart. Auch wenn sie Xhosa, ihre Muttersprache mit den abenteuerlichen Klicklauten, vermisst: Die unprätentiöse Südafrikanerin mit dem dunklen Sopran lebt gerne im Schwabenland. Die Deutschen findet sie freundlich und hilfsbereit. In ihrer Freizeit liest und schwimmt sie viel, wenn es draußen zu kalt wird, tankt sie in der Sauna Wärme. Ihr „Lieblingshobby“ aber bleibt die Oper – mit einem Pasta-Essen vor jedem Auftritt.
Die 35-jährige Südafrikanerin wuchs in den Townships von Kapstadt auf. Dem Musikstudium in Kapstadt folgten das Royal College of Music in London, Meisterklassen und Auftritte am Royal Opera House Covent Garden. Seit 2011 gehört Pumeza Matshikiza zum Ensemble der Oper Stuttgart. In dieser Spielzeit singt sie dort die Mimì in „La Bohème“ (Foto) und an der Mailänder Skala in „CO2“.
Frau Matshikiza, wie sah Ihre Kindheit im Township aus?
Ich bin am Ostkap von Südafrika geboren. Als ich drei Jahre alt war, zerbrach die Ehe meiner Eltern. Meine Mutter trennte sich von meinem Vater, und wir zogen nach Kapstadt, wo meine Großmutter als Hausmädchen arbeitete. Meine Mutter half meiner Großmutter manchmal als Hausangestellte, eine Zeit lang arbeitete sie für eine Firma in der Verwaltung. Manchmal war sie aber auch arbeitslos und musste immer wieder nach Jobs suchen oder eine Arbeit weit weg von Zuhause annehmen.
Und wenn Ihre Mutter arbeitete, blieben Sie und Ihr Bruder bei der Großmutter?
Meine Großmutter arbeitete auch, sodass wir von Verwandten betreut wurden, die arbeitslos waren. Eine Zeit lang kümmerte sich meine Tante um uns. Sie war damals ein Teenager, sodass sie uns nach der Schule vom Kindergarten abholte und dorthin brachte, wo jemand auf uns aufpassen konnte. Aber manchmal betreute sie uns auch selber.
Als Sie Kind waren, herrschte in Südafrika noch Apartheid. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es waren die Unterschiede in der Lebensweise der Menschen. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter uns manchmal zu ihrer Arbeit mitnahm. Eine weiße Familie und deren Umgebung waren komplett anders. Einmal fragte ich, wieso nur vier Personen in dieser riesigen Villa mit Swimmingpool lebten. Sie sagte, dass sie Geld hätten; es sei eine Frage des Geldes. Wir wohnten mit der ganzen Familie – zwei Onkel, meine Tante, ich, mein Bruder, meine Oma und, wenn sie am Wochenende zu uns kam, auch meine Mutter – in einem Hinterhof-Häuschen.
Woran erinnern Sie sich?
Es gab viel Gewalt, besonders als ich acht, neun Jahre alt war. Damals zeichnete sich das Ende der Apartheid ab. Menschen wurden auf den Straßen erschossen, verbrannt. Sie legten ihnen einen Autoreifen um den Hals, füllten ihn mit Benzin und zündeten ihn an. Es waren Schwarze, die das anderen Schwarzen antaten. Sie behaupteten, die Opfer wären Spione für die Apartheid-Regierung. Manchmal fuhr die Polizei mit Lastern umher, sprühte Tränengas und feuerte Gummigeschosse ab.
Damals sind Sie Nelson Mandela begegnet. Welchen Eindruck hatten Sie von ihm?
Ich habe ihn einmal gesehen. Er hat unsere Schule besucht, und wir haben für ihn gesungen – er hat uns die Hände geschüttelt. Ich war wahrscheinlich zu jung, um einen Eindruck zu bekommen; ich weiß nur, dass ich ihn gesehen habe.
Hat Sie die Gewalt, die Sie als Kind erlebt haben, verändert?
Ich weiß nicht, ich bin einfach sehr empfindlich dafür. Ich will Gewalt in keiner Form sehen. Vor vielen Jahren haben allein die Erinnerungen daran Panik bei mir ausgelöst. Ich war in London, als es im August 2011 dort Aufstände gab und Menschen in den Straßen alles in Brand setzten. Plötzlich bekam ich riesige Panik. Ich hatte das Gefühl, dass die gleichen Dinge wie damals passierten.
Also keine unbeschwerte Kindheit...
Ich ging zur Schule, zum Chor, machte meine Hausaufgaben, und als ich ein bisschen älter war, kümmerte ich mich um meinen kleinen Bruder. Ich habe ihn vom Kindergarten abgeholt, ihn betreut, gekocht, geputzt. Ich hätte wahrscheinlich mehr gebraucht – mehr Unterstützung, mehr Führung. Aber die meisten von uns hatten das nicht. Es mangelte an Zeit, an Geld, an Wissen. Ich musste mich doppelt und dreifach bemühen, und meine Mutter konnte mir natürlich keinen Klavierunterricht bezahlen.
Hat sich daran etwas geändert?
Leider ist das auch noch heute so: Die Kinder sind oft sich selbst überlassen. Man gibt ihnen zu essen, setzt sie vor den Fernseher. Okay, sie besuchen eine Schule, man fragt, ob sie ihre Hausaufgaben gemacht haben, und sie sagen natürlich „ja“.
Sie meinen, die Leute erhalten keine Unterstützung?
Ja, die Menschen bekommen keinerlei Hilfe. Und viele Eltern haben ja selber keine Ausbildung. Wie sollen sie dann ihre Kinder unterstützen? Alles hängt von den Lehrern ab, aber die Regierung fördert sie nicht. Sie bieten ihnen keine Fortbildungen an, um zu verstehen, was es bedeutet, sich um die Kinder aus solchen Familien zu kümmern. So weiß niemand, wie man diesen Jungen und Mädchen helfen kann, sich weiter zu entwickeln.
Sie haben vor einiger Zeit Ihre ehemalige Schule besucht. Fahren Sie oft nach Hause?
Ungefähr einmal im Jahr. Meine Familie lebt noch in Kapstadt. Aber es ist traurig: Menschen, die wie ich eine gute Ausbildung haben, kommen nicht mehr zurück und versuchen, in den Townships etwas zu ändern. Sie gehen zu Besuch dorthin, aber tun nichts. Wer kann, verlässt die Gegend für immer. Meiner Meinung nach muss die Regierung die Initiative ergreifen. Dann werden die Menschen die Chance bekommen, etwas zu verändern. Aber mir scheint, die Regierung ist weit davon entfernt.
Wie reagieren die Township-Bewohner, die sie noch von früher kennen, wenn sie Sie heute wiedersehen?
Na ja, sie sagen ich würde mich nie verändern, dass ich so geblieben bin, wie ich war. Ich betrachte das als Kompliment. Manche meinen, ich solle mehr Macht demonstrieren. Ich höre den Leuten zu, aber ich glaube, ich kann mich nicht ändern.
Engagieren Sie sich persönlich in Ihrer Heimat?
Ich versuche, mit Freunden in London ein Projekt für meine frühere Schule auf den Weg zu bringen. Wir suchen Spender und alte Computer, Hefte, Stifte – Dinge, die für uns selbstverständlich sind, aber für manche Kinder etwas Besonderes.
Ihre Mutter war gerade für einen Monat in Stuttgart. Wie hat sie darauf reagiert, dass ihre Tochter allmählich berühmt wird?
Das weiß ich nicht, aber sie hat die Oper genossen.
Wie hat Ihre Mutter Deutschland erlebt?
Sie sagt, die Deutschen seien sehr nett, sehr höflich und freundlich. Sie fand Stuttgart eine saubere und gut organisierte Stadt und meinte, dass sie vieles aus diesem Besuch gelernt habe. Sie will einiges davon in ihrem eigenen Haushalt umsetzen. Nächsten Juni möchte sie wiederkommen.
Sie haben sich ziemlich schnell entschieden, die Vermessungstechnik an den Nagel zu hängen und stattdessen Musik zu studieren. Was hat Sie so sicher gemacht? Sind Sie eine starke Persönlichkeit?
Als ich noch in Südafrika war, war ich so. Heute bin ich entspannter. Aber ich bin mir selbst immer treu geblieben, ich habe meine eigenen Entscheidungen getroffen, „mein Ding“ gemacht. Es war kein leichter Weg, aber, wenn man das tut, was einem gefällt, ist das eine große Hilfe.
Was bedeutet Musik für Sie?
Es ist eine Ausdrucksform, etwas, ohne das ich nicht leben kann. Ich habe immer gerne gesungen – oft mit meiner Mutter und mit meinem Bruder. Wir sangen zu Dritt, manchmal auch nur zu Zweit – mein Bruder und ich. Ab dem sechsten Lebensjahr habe ich im Schulchor gesungen, später im Kirchenchor. Als ich dann begann, Musik zu studieren, habe ich nicht an Karriere gedacht; ich wollte Musik studieren, weil es mir gefiel.
Und wie sind Sie zur Oper gekommen?
Das war reiner Zufall. Ich war ein Kind, das immer gerne mit Dingen spielte. Eines Tages spielte ich am Radio herum und landete bei einem Sender, den wir sonst zu Hause nicht einschalteten. Auf einmal hörte ich Opernmusik. Ich fand sie wunderschön und dachte: Das möchte ich auch gerne singen.
Hatten Sie solche Musik noch nie gehört?
Nein, nicht mit einem Orchester, und ich verstand auch die Sprache nicht. Ich glaube es war Italienisch, denn später wurde mir klar, dass es „Die Hochzeit des Figaro“ war.
Was fasziniert Sie an der Oper?
Die Verbindung von Orchester und Stimme mit einer Geschichte. Es geht um Gefühle, um Liebe, Schmerz, um die Kluft zwischen den gesellschaftlichen Klassen. Die Geschichten können manchmal ein bisschen lächerlich sein. Manchmal stellen Sie aber Lebenssituationen dar, die es heute noch gibt. Die Musik von Mozart – nehmen wir „Figaros Hochzeit“ – finde ich faszinierend. Denn es geht um das Klassensystem, die Beziehungen zwischen Mägden und Herren, es geht um menschliche Emotionen, um Untreue. Es wird einem klar, wie alt diese Dinge sind und wie sich die gleichen Gefühle, das gleiche Drama in unseren Leben immer weiter fortsetzt.
Die Oper ist eine künstliche, weiße Welt. Wie fühlen Sie sich da als Schwarze?
Wenn ich meine Kollegen anschaue, denke ich nicht: Sie sind weiß oder schwarz, und sie bei mir auch nicht.
Sind Sie anderswo wegen Ihrer Hautfarbe diskriminiert worden?
Meine Freunde in London haben Diskriminierung erlebt – und ich in Südafrika. Es ist eine Haltung gegenüber Schwarzen, die Art, wie du angeschaut, wie du behandelt wirst. Zum Beispiel, wenn du in einem Laden wartest. Du machst dich bemerkbar, sagst „Hallo, ich war zuerst hier!“ Aber der Weiße wird zuerst bedient – von einem schwarzen Verkäufer! Die Leute merken gar nicht, was sie da tun.
Wie sehen sie selber ihre Karriere?
Ich betrachte den Gesang nicht isoliert. Ich denke über mein ganzes Leben nach – was ich gesehen habe, den Weg, den ich gegangen bin. Ich bin glücklich. Ich habe Südafrika wegen des Gesangs verlassen, aber ich bin etwas gefolgt, das ich aus Liebe mache. Natürlich ist das harte Arbeit, und es gibt noch viel zu verbessern. Daran arbeite ich, an technischen Dingen, an meiner Stimme. Ich will nicht dem folgen, was die Leute von mir wollen. Ich will herausfinden, was ich selber möchte.
Singen Schwarze anders als Weiße?
Sie nähern sich der Musik anders. Europäer geben allem eine Struktur und stellen sie dar. Afrikaner wollen mitmachen. Einmal bin ich in London aufgetreten. Im Publikum war eine Gruppe afrikanischer Gäste. Als ich ein traditionelles Lied anstimmte, standen die Afrikaner alle auf und sangen selber. Ich konnte gar nicht weitermachen. Die Engländer waren total überrascht. Singen ist für uns ein Fest. Die Menschen singen sogar bei Demonstrationen oder traurigen Anlässen.
Betrachten Sie sich als Brückenbauerin?
Wahrscheinlich bin ich das für mich, nicht für die anderen. In beiden Kulturen gibt es Dinge, die ich mag und die ich nicht mag. Ich stehe irgendwo dazwischen. Und ich bin glücklich damit.
Das Interview führte Beatrix Gramlich.