„Wir müssen runter vom hohen Ross!“Vor 20 Jahren hat Andreas Knapp die Leitung des Erzbischöflichen Priesterseminars in Freiburg aufgegeben,um als „Kleiner Bruder vom Evangelium“ in einer Leipziger Plattenbausiedlung ein einfaches Leben an der Seite von Menschen zu führen, die am Rande der Gesellschaft stehen. |
Andreas Knapp lebt in einer Leipziger Plattenbausiedlung an der Seite von Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Er fand einen Job als Saisonarbeiter und engagierte sich in der Gefängnis- und Schulseelsorge. Seit einigen Jahren steht der 61-Jährige Flüchtlingen aus dem Irak und Syrien zur Seite – inmitten einer AfD-Hochburg. Seine Erlebnisse und Erfahrungen verarbeitet er in Gedichten.
Warum haben Sie sich gegen eine „Kirchen-Karriere“ und für ein Leben als „Kleiner Bruder vom Evangelium“ entschieden?
Charles de Foucauld (auf den die Gemeinschaft zurückgeht, Anm. der Red.) ist zu den Menschen gegangen, die vom Evangelium wenig kennen. Und er hat in einer sehr schlichten Weise Zeugnis gegeben für die Gegenwart Gottes. Nicht so sehr durch Worte und große Aktio-
nen, sondern durch seine Präsenz mitten im gewöhnlichen Leben. Das hat mich fasziniert, weil es auch gut in unsere säkulare Zeit hineinpasst. Wir versuchen, da zu sein, mitten in einer Welt, die vom Evangelium weit weg ist. Die „Kleinen Schwestern und Brüder“ siedeln sich nicht in einem bestimmten kirchlichen System an, sondern versuchen, von ihrer Hände Arbeit zu leben, nicht in Klöstern, sondern wie wir in Mietwohnungen in einem Plattenbauviertel. Ich habe hier zunächst als Saisonarbeiter im Versandbereich angefangen. Außerdem wollte ich nicht alleine leben, sondern mit anderen beten, mich austauschen und ein Stück familiäres Leben mit Gastfreundschaft führen. All das habe ich in den Gemeinschaften von Charles de Foucauld gefunden. Heute wohne ich mit drei Mitbrüdern in Leipzig-Grünau.
Sie führen ein schlichtes Leben. Auf welchen „Luxus“ wollen Sie auf keinen Fall verzichten?
Auf unsere Eremitage. Das ist eine Hütte im Wald, etwa 40 Kilometer von Leipzig entfernt im Saaletal. Dorthin fahre ich einmal im Monat mit dem Fahrrad, um das Wochenende in Stille und im Gebet zu verbringen. Oder um mich in ein geistliches Buch zu vertiefen. Die Hütte ist einfach. Es gibt ein Bett, eine Gebetsecke, einen Schreibtisch und einen kleinen Gaskocher. Im Winter holen wir das Wasser aus dem Brunnen.
Wie reagieren die Menschen in der Leipziger Diaspora, wenn Sie sich auf der Arbeit oder in der Nachbarschaft als Christ „outen“?
Unterschiedlich. Die meisten bezeichnen mich als „kirchlich“, das ist der Ausdruck, den die Leute hier gebrauchen. Und das hat immer noch einen positiven Klang, weil die Rolle der Kirche in der DDR und vor allen Dingen bei der Wende positiv wahrgenommen wurde. Ohne die Montagsgebete und den wiederholten Aufruf zur Gewaltlosigkeit sowie das starke Engagement vor allem evangelischer Pfarrer wäre die Wende nicht so verlaufen. Die Kirche wurde als Ort der Freiheit erlebt. Dort durfte man reden und denken. Hier gibt es nicht so viele negative kirchliche Erfahrungen wie im Westen.
Wie könnte die Kirche wieder mehr Glaubwürdigkeit gewinnen?
Ich glaube, dass kaum jemand eine Antwort hat, wie es weitergehen soll. Aber wir müssen runter vom hohen Ross. Es wäre gut, eine größere Armut zu leben. Wo eine arme Kirche für die Armen da ist, dort ist sie auf der Spur des Evangeliums. In den Medien werden oft die negativen Seiten überbetont. Das ist das, was die Menschen vor allem wahrnehmen. Aber das wird der Sache nicht gerecht. Über viele gute Initiativen, wie das Kirchenasyl, wird kaum berichtet.
Sie schreiben über Gottes Schöpfung, Tod und Auferstehung, Hoffnung und Liebe. Was bedeutet Ihnen die Poesie?
Sie ist ein Hobby und eine Ausdrucksweise für das, was ich erlebe. Aber ich habe kaum noch Zeit dafür, und es ist für mich auch nicht mehr so wichtig.
Tatsächlich?
Ja, das Schreiben ist hinter anderen Dingen zurückgetreten. Wobei ich in den vergangenen Jahren so viel geschrieben habe wie selten zuvor. Allerdings in anderer Form: für das Jobcenter und die Ausländerbehörde. Ich begleite seit einiger Zeit Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak, die in die billigen, leer stehenden Wohnungen unserer Plattenbausiedlung gezogen sind.
Dorthin, wo die AfD besonders viele Anhänger hat. Werden Sie wegen Ihres Engagements angefeindet?
Nein. Aber Spannungen gibt es schon. Ich versuche, wo immer es möglich ist, die Menschen zusammenzubringen. Bei der Feier meines 60. Geburtstags etwa saß ein AfD-Wähler neben einem jungen Mann aus Syrien, der erzählte, dass er seine Familie jahrelang nicht gesehen habe und voller Sorge um sie sei. Der AfD-Mann hörte zu und war betroffen. Das sagte er mir später. Wenn die Menschen einander und ihre Geschichten kennenlernen, bewegt das etwas in den Herzen. Viele wissen nichts oder kaum etwas über das Schicksal der Flüchtlinge, über deren Verletzungen, Gewalterfahrungen, Traumata. Es ist eine völlig fremde Welt.
Mit einem Freund sind Sie in den Irak gereist. Wie war es für Sie, als Sie diese fremde Welt kennenlernten?
Ich war betroffen und fühlte Ohnmacht. Die christliche Minderheit vor Ort hat alles verloren und ist unter Lebensgefahr geflohen. Als ich Menschen traf, die alles aufgegeben haben, damit sie Christ bleiben können, hat das für mich die Frage aufgeworfen: Was ist mir mein Glaube eigentlich wert?
Wie erleben die Flüchtlinge die Kirche in unserem Land?
Sie merken, dass hier nur wenige diese Treue zum Glauben leben, den sie als Minderheit 1400 Jahre bewahrt haben. Für sie ist der Glaube wichtiger als alles andere – und die Gewaltfreiheit, die sie aus dem Evangelium kennen. Die vertriebenen Christen beten für die Verfolger und sinnen nicht auf Rache.
In Ihrem Buch „Die letzten Christen“ kritisieren Sie das enge Verhältnis zwischen Staat und Religion im Islam und dass die Minderheit der Christen in fast allen muslimischen Ländern bedroht ist. Was müsste sich ändern?
Mit den gutwilligen Muslimen muss man reden, das ist unsere einzige Chance, sie sind aber in der Minderheit. Die offiziellen Akteure spielen ein anderes Spiel. Wir machen beide Augen zu, weil wir sie als Wirtschaftspartner brauchen. In Afrika etwa nehmen radikal-islamische Strömungen zu, ideologisch und finanziell unterstützt von Saudi-Arabien. Keine Regierung hat das je angemahnt. Es ist leider so: Man kann nicht mit allen reden. Salafisten haben kein Dialoginteresse. Es wäre wichtig, die verfolgten Gemeinden bei uns viel stärker wahrzunehmen und zu unterstützen.
Wie werden Sie Weihnachten feiern?
An Heiligabend laden wir Menschen ein, die niemanden haben, ganz alleine sind. Wir essen zusammen, singen und beten. Und an den Weihnachtstagen kommen die Familien der Flüchtlinge zum Mittagessen zu uns.
Interview: Eva-Maria Werner
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