Der Fluch des GoldesIm Chocó, dem Armenhaus Kolumbiens, grassiert das Goldfieber. Nutznießer sind vor allem
politische und kriminelle Banden. Derweil kämpft das einfache Volk ums nackte Überleben.
Aber im Bischof von Istmina-Tadó hat die Bevölkerung einen beherzten Fürsprecher. |
Text: Franz Jussen; Bilder: Fritz Stark
Julio Hernando García Peláez, 55, verfügt über eine beneidenswerte Gabe: Er kann selbst dann auf dem Rücksitz eines Autos tief und fest schlafen, wenn die riesigen Schlaglöcher der Schotterpisten seinen Körper unaufhörlich hin- und herschütteln. Die Fähigkeit, völlig abschalten zu können, scheint ihm die Kraft und Besonnenheit zu geben, die er als Bischof von Istmina-Tadó dringend benötigt. Die Diözese des drahtigen Würdenträgers liegt im Chocó, dem mit Abstand ärmsten der 22 Distrikte Kolumbiens, in dem die soziale Wirklichkeit im krassen Gegensatz zur üppigen Natur steht. Seit Jahrzehnten bedrohen bittere Armut und brutale Gewalt die indigenen und afroamerikanischen Gemeinden der Region, überziehen Paramilitärs und Guerillas den Regenwald entlang der Pazifikküste mit einem schmutzigen Bürgerkrieg.
Nicht zufällig bilden ein bescheidenes Holzkreuz und ein schlichter Goldring die äußeren Erkennungszeichen, für die sich García 2010 bei Antritt des Bischofsamtes in Istmina entschieden hat. Edelhölzer und Goldvorkommen sind die Schätze des Chocó. „Absurderweise ist der Reichtum der Region auch sein Problem“, erklärt der Bischof auf dem Weg nach Novita, wo er eine Goldmine besuchen will. „Nirgendwo sonst auf der Welt beeinflusst Gold die Arbeit der Kirche so sehr wie im Chocó“, glaubt er. Drei Tage mit ihm in seinem Regenwaldbistum genügen, letzte Zweifel an dieser Behauptung auszuräumen.
Evilio Martinez Asprilla, 48, der Besitzer der Mine „Inversiones Martinez“, und seine Arbeiter begrüßen den Bischof verhalten freundlich. Doch nach halbstündigem Geplänkel kann der Bischof durch seine ruhige Art Vertrauen gewinnen. Martinez und sein Vorarbeiter, Ingenieur William Palacios, 49, werden auskunftsfreudiger.
Schürfrechte und Schutzgelder
36 festangestellte Arbeiter und etwa ebenso viele Tagelöhner sind in der Mine seit einigen Jahren mit Hilfe von schwerem Gerät täglich auf der Suche nach dem Edelmetall. Bis zu drei Kilo Gold und ein paar Gramm Platin wirft die Schufterei täglich ab. Der Unterhalt kostet samt Gehälter monatlich umgerechnet 150.000 Euro, rechnen die Gastgeber vor. Nach Angaben von Martinez sichert er als Arbeitgeber den Lebensunterhalt von rund 50 Familien in der Gemeinde von Novita. Für den soeben beendeten einwöchigen Streik seiner Arbeiter zeigt der Chef viel Verständnis. Die Forderung der Streikenden, endlich die Schürfrechte zu erhalten, die auch den Konzernen eingeräumt werden, unterstützt Martinez. Kein Wunder: Auch seine Mine ist illegal, obwohl Grund und Boden, auf dem die Mine steht, seiner Familie gehören. Dafür, dass sie seine Interessen vertreten, nimmt der Unternehmer das kurzzeitige Fehlen seiner Arbeiter und ihre Teilnahme am Massenprotest gerne in Kauf.
Bischof García wagt es, die heikle Frage nach der Umweltbelastung zu stellen. „In der Mine sitzt das Gold so locker, dass gar kein Einsatz von Quecksilber nötig ist“, gibt Martinez zur Antwort. Sie genügt dem Bischof, um das Thema zu wechseln. Beide wissen sehr wohl, dass Kolumbien nicht zufällig die höchste Dichte an Quecksilber-Kontaminierungen aufweist und das giftige Metall längst tief in die Nahrungskette eingedrungen ist. Auch die Frage nach dem Anlass für die hohe Zahl an Wachleuten weiß der Chef kurz und bündig zu beantworten: „Sie schützen uns.“ Mit diesen drei Worten ist klar, was gemeint ist: Die Minenbetreiber müssen Schutzgelder zahlen, viele werden sogar direkt von ultrarechten Paramilitärs oder linksgerichteten Guerillas kontrolliert. Mittlerweile hat der Bergbau im Chocó sogar den Drogenhandel als Erwerbsquelle Nummer eins der organisierten Kriminalität abgelöst. Der Vorteil liegt auf der Hand: Gold kann legal exportiert werden.
Allein auf dem Gebiet der Gemeinde Novita sind in jüngster Zeit rund 20 solcher Minen entstanden, berichtet García auf dem Rückweg. Im Bistum Istmina-Tadó sind es mehrere Hundert. Ihre Bagger reißen tiefe Wunden in den Urwald und hinterlassen verseuchte Schlammlöcher. Zwar sichern die Minen vielen Menschen ein Einkommen, aber sie zerstören die Natur und bringen Prostitution, Alkohol, Krankheiten und Kriminalität. „Gold ist ein Naturprodukt, ein Geschenk Gottes. Deshalb können wir Bischöfe es nicht verteufeln. Aber für den Chocó ist es ein Fluch“, beschreibt Garcia das Dilemma, in dem die Kirche steckt. Der Chocó ist ein schwaches und leicht verletzbares Territorium. Was die Kirche angesichts des Goldbooms zur Bewahrung der Schöpfung und Einhaltung der Menschenrechte beitragen will, das wollen die sechs Bischöfe der Pazifikregion schon bald in einem gemeinsamen Hirtenbrief niederschreiben. Die Ansprüche der Indianer und Afrogemeinden auf ihren kollektiven Landbesitz hatten sie bereits 2010 in einem gemeinsamen Wort verteidigt.
Plackerei für wenige Flocken Gold
Die Spanier hatten in der Zeit der Kolonialherrschaft massenweise Sklaven aus Westafrika in den Chocó verschleppt, um die Goldvorkommen ausbeuten zu können. Die Nachfahren dieser Sklaven bilden heute die große Mehrheit der Bevölkerung. Mit einer Mischung aus Ackerbau, Fischfang und der begrenzten Nutzung von Holz und Edelmetallen sichert sich die schwarze Bevölkerung seit dem Ende der Sklaverei 1852 das Überleben. Das gilt auch für die Eltern des Priesteramtskandidaten Rubén Darío Quinto Minestroza, 22: In ihrem Heimatort Puerto Salazar decken Lastenia, 45, und ihr Mann Luis, 42, den Großteil des täglichen Nahrungsmittelbedarfs für die Familie mit einer kleinen Landwirtschaft. Bares Geld verdienen sie mit der Goldgräberei, die sie vier- oder fünfmal die Woche für jeweils rund sechs Stunden an den Rio Chigorodó oder einen seiner kleinen Seitenarme führt. Dann gräbt Luis mit seiner Schaufel in den ufernahen Böden, während Lastenia routiniert die Erde mit Wasser in einer großen Holzpfanne schwenkt, um einige Flocken Gold zu finden. Am Ende der Woche gibt ihnen der Händler in Istmina für diese Plackerei umgerechnet etwa 20, höchstens 25 Euro. Mit dem wenigen Geld können sie die Schul- und Studiengebühren ihrer Kinder bezahlen. „Das Gold liegt hier auf der Straße, wir müssen es nur aufheben“, zeigt sich Lastenia trotz des Hungerlohns dankbar für das Geschenk der Natur.
In Puerto Salazar ist die Schürferei für mindestens jeden zweiten der 700 Einwohner eine willkommene Einkommensquelle. Die jüngsten Goldgräber sind acht Jahre alt. Sie alle wissen, dass ihr Tun ebenso illegal ist wie das der kleinen Minen. Aber niemand schreitet ein, denn der Chocó ist weitgehend rechtliches Niemandsland. Experten schätzen, dass mehr als zwei Drittel des in Kolumbien gewonnen Goldes illegal gefördert werden.
Auf der dreistündigen Fahrt nach Puerto Meluk am nächsten Morgen regnet es in Strömen. Das feuchtheiße tropische Regenwaldgebiet des Chocó ist ei nes der niederschlagreichsten Gebiete der Erde, was die Fahrerei auf den Pisten massiv erschwert. Auf einer der vielen Brücken erinnert sich Bischof García an einen willkommenen Nebeneffekt des jüngsten Streiks: „Sie haben es genossen, noch einmal unbeschwert im Fluss baden zu können.“ Bei laufendem Betrieb der Minen lässt die hohe Quecksilber-Konzentration dies kaum mehr zu.
Pastoralreise zu den Katío-Indianern
In Puerto Meluk endet die Piste. Ab hier bildet der Fluss Rio Baudó den einzig verbleibenden Verkehrsweg, um in die tiefsten Winkel des Chocó zu gelangen. Drei Stunden mit dem schnellen Motorboot und eine Stunde mit dem flachen Holzboot durch den dichten Urwald brauchen der Bischof und seine Mitarbeiter, bis das Ziel erreicht ist. Aber ihm ist kein Weg zu weit, um sich ein eigenes Bild von der Lage machen zu können. Am frühen Nachmittag treffen sie in der Siedlung der Katío-Indianer ein, wo sich das ganze Dorf versammelt hat. Häuptling Sharley Becheche, 29, hat Bischof García eingeladen, um ihn um Rat zu bitten. Schutzgelderpressungen der Paramilitärs lassen das Dorf verzweifeln. Sie spalten die Gemeinschaft und führen zu gewaltsamen Konflikten innerhalb und außerhalb der Siedlung. Erste Tote sind zu beklagen. Misstrauen, Eifersucht und falsche Verdächtigungen haben sich breit gemacht. Darunter haben vor allem die Frauen zu leiden, berichtet der mit dieser Lage sichtlich überforderte junge Häuptling. Damit spielt er auf die bei den Katíos praktizierte Tradition an, nach der Ehemänner ihre Frauen vor der Hütte fesseln, wenn sie der Untreue bezichtigt werden. Die Zahl der Frauen, die diesen Pranger über sich ergehen lassen müssen, räumt der Häuptling beschämt ein, hat drastisch zugenommen – und mit ihr die Selbstmordrate der Frauen.
Als sich der Bischof erhebt, wird es still in der Hütte. Nach einem kurzen Gebet wird seine Stimme lauter: „Lasst euch nicht entzweien“, richtet er einen eindringlichen Appell an die Dorfgemeinschaft. „Als Indianer seid ihr eine Gemeinschaft, und ihr seid Christen. Nur, wenn ihr geschlossen handelt, seid ihr stark.“ Und dann blickt er in die Ecke der Männer, um zu ergänzen: „Die Misshandlung von Frauen ist ein Zeichen von Schwäche!“ Lange redet der Bischof über Wege zum friedlichen Gemeinschaftsleben, um am Ende vorzuschlagen: „Unser Wunsch ist es, Leute aus euren Reihen zu Gemeinde leitern auszubilden, die den Glauben an eure eigenen Fähigkeiten stärken.“ Dann muss er den Rückweg antreten. Spät am Abend erreicht die kleine Abordnung Porto Meluk. Für die Autofahrt nach Istmina setzt sich García auf den Rücksitz des Autos, wo er sofort einschläft. Morgen braucht er Kraft für die nächste Reise in den Regenwald.
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