Die dunkle Seite der TeeplantagenTee aus Assam ist weltbekannt. Doch auf den Plantagen im Nordosten Indiens wird nicht nur mit Tee gehandelt.Menschenhändler nutzen die verzweifelte Lage vieler Teepflückerfamilien aus. Ordensfrauen kämpfen dagegen – durch Aufklärung und indem sie die Frohe Botschaft verbreiten. |
Text: Bettina Tiburzy
Fotos: Hartmut Schwarzbach
Ein Meer sattgrüner Pflanzen säumt den Weg entlang der Teeplantage. Vor den Häusern am Rand der Teegärten fassen sich zwei Mädchen an den Händen. Sie lachen, drehen sich im Kreis. Schneller, immer schneller. Plötzlich bricht eines der beiden zusammen. Die Teenagerin krümmt sich unter Schmerzen auf dem Boden. Jugendliche eilen herbei, rufen um Hilfe. Das Mädchen rührt sich nicht mehr. Die Szene ist Teil eines Straßentheaterstücks, das Jugendliche vor den Wohnquartieren der Teepflückerinnen in einer Teeplantage aufführen. Eine Gruppe Zuschauer, darunter zahlreiche Kinder, verfolgt aufmerksam das Spiel der Jugendlichen.
„Mit dem Stück wollen wir über die Gefahren des Menschenhandels auf den Teeplantagen aufklären“, erzählt Schwester Annie Enchenatil. Die Salesianerin leitet die sozial-pastoralen Programme ihres Ordens, der dem Menschenhandel in den Teegärten den Kampf angesagt hat. „Das Theaterstück handelt von einem wahren Fall.“ Die 16-jährige Monica Kandulna* stammte aus einer armen Teepflückerfamilie. Eines Tages sprach ein Mann die Familie an, der anbot,
Monica eine bezahlte Arbeit als Hausmädchen in Kolkata zu vermitteln. Die Familie willigte ein. Monica arbeitete ein Jahr im Haushalt, als man bei der Frau des Hauses ein Nierenversagen feststellte. Ihr Ehemann lockte Monica ins Krankenhaus. Ohne das Einverständnis des
Mädchens entnahm man ihr eine Niere und pflanzte sie der Ehefrau ein. Als es bei Monica Komplikationen gab, brachte ein Agent sie zurück nach Hause, wo sie kollabierte.
Ein Arzt teilte den Eltern schließlich mit, dass ihrer Tochter eine Niere entnommen wurde. Kurz darauf starb Monica. „Die Eltern versuchten nicht einmal, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Sie waren Analphabeten und hatten niemanden, der sie unterstützt“, berichtet Schwester Annie. Die Ordensfrau kennt viele solcher Geschichten. In den Teegärten Assams blüht das Geschäft der Menschenhändler. Entlang des Flusses Brahmaputra bilden Hunderte Plantagen das größte zusammenhängende Anbaugebiet für Tee weltweit. Der Tee aus Assam ist
gefragt. Rund 17 Prozent der weltweiten Produktion stammen aus der Region im äußersten Nordosten Indiens. Man findet den Schwarztee in englischen und ostfriesischen Teebeuteln. Vom Leid der Menschen, die ihn produzieren, dürften die Konsumenten kaum etwas ahnen.
Knochenarbeit
In der stechenden Sonne zupfen Frauen Teeblätter von den Sträuchern. Auf ihren Rücken tragen sie mit einem Trageriemen um die Stirn befestigte große Körbe. Darin verschwindet alle paar Sekunden eine Handvoll Blätter. Die Teepflückerinnen gehören zu den Adivasi. Seit rund 150 Jahren pflücken und verarbeiten diese ursprünglich aus Zentralindien stammenden Volksgruppen den Tee. Doch vom Handel profitieren die Menschen, die in der Produktionskette die härteste Arbeit leisten, am wenigsten. Die Löhne für die Knochenarbeit sind niedrig: 176 Rupien, rund 2,20 Euro pro Tag.
Der Arbeitstag der 24-jährigen Teepflückerin Soba Kachap* beginnt um sieben Uhr morgens. Dann muss die zweifache Mutter pünktlich beim Vorarbeiter antreten. Gepflückt wird neun Stunden mit einer halben Stunde Pause dazwischen. Danach müssen die Arbeiterinnen oft weite Wege zurücklegen, um den Tee wiegen zu lassen. So dauert es oft noch viel länger, bis Soba wieder bei ihren Kindern ist.
Manche Mütter haben niemanden, der auf ihren Nachwuchs aufpasst,
berichtet Schwester Annie. „Die Mütter erzählten, dass sie den Kindern eine Art ,Opium‘ geben, damit sie tagsüber schlafen“, erzählt die Ordensfrau.Auf Sobas Kinder passt deren
Mutter auf. Mit ihr und drei Brüdern lebt Soba in einem der Häuser auf der Teeplantage, das dem Plantagenbesitzer gehört. Die hellblau getünchten Wände im Inneren sind klamm. An einer Wand lehnt ein halbes Dutzend Säcke mit Reis, Teil der Bezahlung durch den Plantagenbesitzer. Daneben hängen ein Bild der Jungfrau Maria und ein Rosenkranz. Auf der anderen Seite hat einer von Sobas Brüdern einen Kalender mit einem Flugzeug der indischen Armee befestigt. Außer den Betten in den drei Zimmern gibt es kaum Möbel.
Sobas Brüder besuchen die Schule und das College. „Als meine Mutter älter wurde und nicht mehr schnell genug pflückte, sagte der Manager, ich soll ihre Arbeit übernehmen“, erzählt Soba. Damit die Familie nicht das Haus verliert, brach Soba die Schule ab. Denn es muss mindestens ein Familienmitglied in den Teegärten arbeiten, damit eine Familie in einem der Häuser wohnen kann. Manchmal blättert Soba die alten Schulbücher durch, erzählt sie. Sie wäre gerne weiter zur Schule gegangen.
Mangelnde Bildung
Dabei hatte es Soba noch gut. Viele Frauen auf den Plantagen haben nie eine Schule besucht, können weder lesen noch schreiben. Das nutzen manche aus. „Beim Wiegen der Teeblätter haben die Arbeiter an der Waage die Frauen manchmal getäuscht. Hatte jemand zehn Kilo gepflückt, behauptete der Arbeiter, es seien nur acht Kilo“, erklärt Schwester Annie. „Als wir davon erfuhren, ermutigten wir die Frauen, ihre Rechte einzufordern.“
Für ihre Rechte einzustehen, ist für die Adivasi nicht selbstverständlich. Die anderen Volksgruppen schauen auf sie herab, halten sie für minderwertig. Oft werden sie diskriminiert. Für die Besitzer der Teeplantagen sind sie billige Arbeitskräfte, deren in Generationen etablierte Schuldknechtschaft sie erhalten wollen. Zudem mangelt es den Adivasi oft an Selbstvertrauen.
Um das zu ändern, begannen die Salesianerinnen, Frauen zu unterrichten. „Wir haben 65 Selbsthilfegruppen gegründet, die Frauen lesen, schreiben, rechnen gelehrt und ihnen erklärt,
wie man ein Konto bei einer Bank eröffnet“, erzählt Schwester Annie. „Jetzt sind sie in der Lage, für sich zu sprechen. Sie kennen ihre Rechte und haben den Mut, sie einzufordern.“
Die Menschenhändler wissen um die schwierige Situation der Plantagenarbeiter und suchen gezielt nach kinderreichen Familien. „Sie wissen genau, welche Familien verschuldet sind und wo sie große und kleine Kinder finden können“, berichtet Schwester Annie. Sie erzählen den
Eltern, dass die Tochter oder der Sohn eine gute Arbeit bekommt, Lohn nach Hause schicken kann. Manchmal geben sie den Eltern Geld. 1000 Rupien, rund zwölf Euro, sind für eine arme
Familie schon sehr viel. Dann bringen sie die Kinder in eine große Stadt wie Delhi oder Bombay, wo Mädchen oft als Hausmädchen und Jungen in Hotels arbeiten. Anfangs bekommen die
Eltern kleine Beträge zugesandt. Sie glauben, alles sei in Ordnung. Aber nach einigen Monaten oder einem Jahr stellen die Agenten die Zahlungen ein. Von den Kindern fehlt oft jede Spur.
Rettungsaktion
Manchmal gelingt es Schwester Annie und ihrem Team, Opfer der Menschenhändler zu retten. Fünfzehn waren es in den letzten drei Jahren. „Wir haben junge Menschen in Chennai, Bombay und Delhi wiederfinden können. Von ihnen haben wir erfahren, wie die Bedingungen sind“, erzählt die Ordensfrau. „Von morgens bis abends müssen sie arbeiten. Sie werden wie Sklaven behandelt.“ Seit zehn Jahren leitet Schwester Annie das „Auxilium-Reach-Out“-Programm des Ordens, das in 34 Zentren in Nordostindien sozial-pastorale Arbeit leistet. Dazu gehören die Katechistenausbildung, Hausbesuche, Bildung für Mädchen und Frauen, Selbsthilfegruppen für Frauen und Kinderparlamente.
Seit 2016 legt der Orden einen Schwerpunkt auf den Kampf gegen Menschenhandel. „Armut und Menschenhandel machen Gottes Kinder zu Sklaven“, erklärt Schwester Annie. „All unsere Aktivitäten richten sich gegen dieses Übel.“ Ziel der Ordensfrauen ist es, 30 gefährdete Dorfgemeinschaften bis 2020 so zu sensibilisieren, dass Menschenhändler dort keine Chance mehr haben. Dazu haben die Schwestern eine Art Bürgerkomitee gegen Menschenhandel gegründet, das die Gemeinschaften schützt und gegebenenfalls die Polizei einschaltet, aber auch über sichere Formen der Migration und Arbeitssuche informiert.
Besondere Hoffnung setzt Schwester Annie in die Adivasi-Jugendlichen. „Wir wollen die Jugendlichen fördern, ihr Selbstvertrauen stärken und sie zu Führungspersönlichkeiten in ihrer
Kirchengemeinde und in den Gemeinschaften machen“, erklärt Schwester Annie. Darum haben sie in den Dörfern jugendliche Multiplikatorengruppen gegründet, in denen sie christliche Werte vermitteln und die Jugendlichen ermutigen, sich in ihrem Umfeld zu engagieren.
Vielen Schulabbrechern haben die Schwestern lesen und schreiben beigebracht. Neben Berufsberatung, Aufklärung über die Gefahren von Drogenkonsum und Umgang mit Medien werden die Jugendlichen auch über die Gefahren des Menschenhandels aufgeklärt. Und sie verbreiten ihr Wissen unter Gleichaltrigen, auch durch das Straßentheater. Nachdem das Mädchen im Theaterstück an den Folgen der Nierentransplantation gestorben ist, strömen Nachbarn und ihre Familie herbei. Sie weinen und wehklagen. Die Eltern bedauern, ihre Tochter in die Obhut von Leuten gegeben zu haben, die sie nicht kannten. Sie appellieren eindringlich an die Zuschauer: „Bitte, tut das niemals euren Kindern an!“
Selbstvertrauen
Einer der jungen Schauspieler ist Barnabas Kongadi. Seine Mutter arbeitet auf der Plantage als Teepflückerin. Seine vier jüngeren Schwestern gehen alle zur Schule. Der 23-Jährige hat am Programm der Salesianerinnen teilgenommen. „Dadurch ist mir vieles klar geworden“, erzählt Barnabas. „Es hat mich meiner Religion näher gebracht und meinen Glauben vertieft, auch den Glauben an mich selbst. Und ich habe herausgefunden, was ich mit meinem Leben anfangen will.“ Heute studiert Barnabas am College. Er will Lehrer werden und sagt: „Ich möchte
möglichst viele arme Kinder davor bewahren, die Schule abzubrechen. Das ist mein Traum.“
Auch bei den Adivasi-Frauen zeigt das Programm Wirkung. „Meine Mitschwestern fragten vor Kurzem Mütter, ob sie ihre Kinder zu uns in die Gemeinde schicken könnten, um uns bei einer Arbeit zu helfen. Die Frauen antworteten: ,Aber Schwestern, ihr habt uns doch erklärt, dass wir unsere Kinder nirgendwohin schicken sollen. Denn es ist gefährlich‘“, erzählt Schwester Annie. Und mit einem Schmunzeln fügt sie hinzu: „Das gefiel meinen Mitschwestern und mir.“
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