Reden gegen den HassDer Nahostkonflikt polarisiert – auch hierzulande. Lehrkräfte sind hilflos, wie sie das Thema aufgreifen sollen.
Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann füllen diese Lücke.
Die Palästinenserin und der Jude gehen in Schulklassen, hören zu und klären auf. |
Text: Eva-Maria Werner
Fotos: Achim Pohl
„Das, was Israel macht, wird in den Medien nicht gezeigt!“, ruft ein Jugendlicher in die Klasse. Und ein anderer sagt: „Ich bin 16 und hab nichts mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust zu tun. Immer müssen wir uns für die deutsche Geschichte rechtfertigen.“ Ein junger Mann mit libanesischen Wurzeln erklärt bedrückt: „Mir geht es schlecht, ich kann mein Essen nicht mehr genießen, weil ich immer an die Kinder in Gaza denken muss.“ Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann fällt es nicht schwer, die Schülerinnen und Schüler einer zwölften und 13. Klasse der berufsbildenden Schule im rheinland-pfälzischen Germersheim zum Reden zu animieren. Viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Die Palästinenserin und der Jude fragen die Jugendlichen, was sie mit den Stichworten „Nahost“, „Israel“ und „Palästina“ verbinden. Jeder darf sagen, was er denkt. Ungefiltert, unbewertet. Die Lehrer sind nicht dabei, bis auf einen, Haluk Yumurtaci, der das Duo an seine Schule eingeladen hat und auf Wunsch seiner Schüler im Klassenzimmer bleiben darf. Aber er hält sich im Hintergrund. Erstmal heißt es zuhören, was die jungen Leute zu sagen haben.
Hassoun und Hoffmann, die schon gemeinsam Bildungsvideos erstellt haben, erhalten seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 pausenlos Anrufe von hilflosen Lehrern, die spüren, dass die Spannung an ihren Schulen zunimmt, und nicht wissen, wie sie das Thema „Nahostkonflikt“ aufgreifen können. Im sogenannten „Trialog“, den die beiden anbieten, möchten die Palästinenserin und der Jude mit Schülern in deutschen Klassenzimmern ins Gespräch kommen. Denn es ist klar: Es handelt sich nicht nur um einen lokalen Konflikt, sondern um ein Thema, das auch viele Menschen in Deutschland bewegt und das das Potenzial hat, Familien, Nachbarn und Schulklassen zu spalten.
Der Fokus ihres 90-minütigen Trialogs liegt denn auch weniger auf der Wissensvermittlung, sondern auf dem Reden über Emotionen. „Wir wollen den Schülern einen Raum eröffnen, damit sie mutig über ihre Gefühle sprechen können“, sagt Hoffmann. Die Schule sei als Lernraum für Empathie und Demokratie besonders geeignet, da hier Jugendliche aus ganz unterschiedlichen Elternhäusern und mit verschiedenen Lebenserfahrungen zusammenkommen.
Jouanna Hassoun leitet den Verein „Transaidency“, Shai Hoffmann das Unternehmen „Ge- sellschaft im Wandel“.
Reflexion und Emotion
Hassoun und Hoffmann bringen die Schüler in Bewegung, gedanklich, aber auch ganz real. Sie laden sie ein, aufzustehen und die am Boden liegenden Karten, auf denen Schlagwörter stehen, zu betrachten: angeekelt, beschämt, ängstlich, überfordert, überrascht, unglücklich, wütend, verzweifelt, traurig, offen ... Die Schüler umkreisen die Karten schweigend. Es dauert nicht lange, bis jeder „sein“ Gefühl – oder gleich mehrere – gefunden hat. „Wie geht es euch angesichts des Nahostkonflikts?“, fragt Hoffmann. „Ich bin verwirrt und überfordert, weil ich so vieles nicht weiß“, sagt ein Mädchen. „Ich bin skeptisch, weil ich den Medien nicht traue“, ein Junge. „Mich macht wütend, dass die Regierungen keinen Frieden hinbekommen.“ „Ich bin dankbar, dass es uns so gutgeht.“ „Ich fühle mich abgehärtet. Der Konflikt dauert schon so lange, ich habe mich dran gewöhnt.“ Indem die Schüler sich einander mitteilen, üben sie, was unerlässlich ist in einer Demokratie: dem anderen zuhören, sich seiner Sichtweise aussetzen, ihn respektieren.
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