Pfarrer im Venedig AfrikasUnterwegs mit Anthony Assebiah im Süden Ghanas. Er lebt den ganz normalen Alltag eines
typischen Pfarrers in Afrika. Und er glaubt an die heilende Kraft des Gebets. Nur seine
schwimmende Außenstation im Amansurisee fällt ein wenig aus dem Rahmen. |
Sein vierradgetriebener Pritschenwagen hilft Pfarrer Anthony Assebiah, 51, ab hier nicht weiter: Um die sechs Kinder taufen zu können, braucht er ein Paddelboot. Weil sich die katholische Kirche kein modernes und teures Motorboot leisten kann, muss er sich von Beyin aus mit dem alten und bescheidenen Kanu aus Holz auf den Wasserweg machen. Eine knappe Stunde dauert die Überfahrt durch die Schilfwiesen und über den offenen Amansurisee ins Stelzendorf Nzulezo. Kapitän der wackligen Piroge ist Katechist Stephen Ansah-Mensah, 30, der die Familien der Täuflinge in den vergangenen Wochen auf die anstehende Feier vorbereitet hat. Die Kinder werden heute durch das Taufsakrament in die Christkönig-Gemeinde aufgenommen, deren Zahl damit auf mehr als 60 steigt.
Nzulezo gibt es seit mehr als 600 Jahren. Der Legende nach stammen die Vorfahren der Bewohner aus dem Ghana-Reich im heutigen Mali. Hier auf dem See hatten sie keine Angriffe vor Feinden und Sklavenhändlern mehr zu befürchten und fanden ihren Frieden. Spätestens seit Nzulezo im Jahr 2000 zum Weltkulturerbe der Unesco erklärt wurde, droht ein neuartiger Feind: der Tourismus. Das Pfahldorf ist eine Attraktion. Von dem profitablen Geschäft mit den Besuchern aus aller Welt können inzwischen viele Einwohner Nzulezos gut leben. Fernseher, Radios und Smartphones sind beredte Zeugen gestiegenen Wohlstands auf der Insel.
Aber die Touristen sind Fluch und Segen zugleich: Mit ihnen sind nicht nur Geld und Wohlstand gekommen, sondern auch eine Menge Müll, dem die rund 500 Bewohner der Insel kaum noch Herr werden. Unter den Plattformen der schlichten Wohnhütten treiben massenhaft Plastikflaschen und Mülltüten, die die Besucher hinterlassen haben.
Fluch und Segen
Nicht alle Bewohner der Insel sind daher glücklich mit dem steigenden Bekanntheitsgrad ihres Dorfes. Das „Venedig Ghanas“, wie die Werbestrategen den Ort gerne nennen, hat zumindest dies mit seinem italienischen Vorbild gemein: Es droht an den Touristen zu ersticken.
„Die einst perfekte Symbiose aus Mensch und Natur, die beeindruckende Flora und Fauna der umliegenden Feuchtgebiete und das empfindliche Ökosystem sind gefährdet“, beklagt auch Pfarrer Anthony. Sauberes Trinkwasser müssen die Bewohner bereits in der Mitte des Sees holen. Denn am Dorfrand wird gebadet – und das Geschäft erledigt. Für Pfarrer Anthony stehen deshalb drei recht kostspielige Anschaffungen auf der Wunschliste seiner Außenstation Christkönig in Nzulezo: ein Motorboot, eine Wasseraufbereitungsanlage und ein neues hölzernes Gotteshaus, denn das alte ist morsch und droht zu verfallen. Aber zu mehr als zu frischen Stelzen im Wasser, die die neue Kirche einmal tragen sollen, hat das Budget der Gemeinde bisher nicht gereicht.
Nach der Tauffeier mit fast allen Katholiken des Ortes und den mahnenden Worten seiner Predigt, „nicht mit dem Teufel zu paktieren“, bittet der Pfarrer seinen Katechisten, ihn wieder nach Beyin zu rudern. Es warten weitere Verpflichtungen auf den Seelsorger. Die kleine Verschnaufpause während der Bootsfahrt zurück über den See und durch die Raphiapalm-Wälder kann der Pfarrer gut gebrauchen, bevor er das Lenkrad seines Pickups übernimmt, um sein Pfarrhaus in Kengen anzusteuern. Ohne Halt in Neu-Nzulezo zu machen, wo sich viele ehemalige Stelzendorfbewohner niedergelassen haben, weil sie von der Landwirtschaft besser leben können als vom Fischfang, kommt er jedoch nicht nach Hause. Vor allem die landesweit bekannte Heilerin Mame Nwiah, 81, die sich hier in einer Art Camp um derzeit gut zwei Dutzend zum Teil schwerkranke Menschen kümmert, will der Pfarrer aufsuchen.
Ein ganz normaler Pfarrer
Menschen aus dem ganzen Land und sogar aus der benachbarten Elfenbeinküste bitten bei der ehrwürdigen Dame in der Hoffnung auf Heilung um Hilfe. Pfarrer Anthony arbeitet oft und gerne mit ihr zusammen, weil beide gleichermaßen auf die Kraft des Gebets vertrauen. „Mame kennt ihre Grenzen und weiß, wo sie helfen kann und wann die Leute ins Krankenhaus müssen“, versichert er. Die Leiden, die beide mit Erfolg bekämpfen können, sind meist seelischer Art. „Die Gläubigen erwarten von ihr und ihrem Pfarrer, dass sie in schwierigen Momenten zu ihnen kommen“, sagt der Priester, der den Christen im besten biblischen Sinne Seelsorger und Heiler sein will. Von den falschen Heilsversprechungen, mit denen die pfingstkirchlichen Prediger in Ghana kurzfristige Erfolge erzielen, hält er sich aber ausdrücklich fern. Für die Gebete mit jedem Kranken nimmt sich Pfarrer Anthony viel Zeit, er spendet seinen Segen und legt ihnen dabei die Hände auf.
Er sei ein ganz normaler katholischer Pfarrer in einer ganz normalen katholischen Pfarrei Ghanas, beschreibt Anthony seinen Dienst als Diözesanpriester. Normal ist für ihn ein Pfarrgebiet, das fast halb so groß ist wie das Saarland, und das über 22 Außenstationen verfügt. Dort leitet jeweils ein Katechist das Gemeindeleben. Das Pfarrhaus des Geistlichen steht gleich neben der blau getünchten Marienkirche in Kengen, einem eher unauffälligen Ort am Golf von Guinea nahe der Grenze zur Elfenbeinküste.
Mit seinem Vikar John Kofi Allu, 32, teilt er sich alle priesterlichen Aufgaben. Wichtigste Hilfsmittel der beiden Priester sind der Pritschenwagen und das Handy. Es vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht mehrfach klingelt: Am anderen Ende ist meist ein Katechist, der einen der Priester zur Hilfe ruft, wenn in einer der Außenstationen ein Mensch im Sterben liegt oder um geistlichen Beistand bittet, damit er mit ihm um die Heilung seines Leidens beten kann.
„Den Menschen in meiner Heimat Hoffnung zu schenken, mit ihnen um Gesundheit zu beten, das gehört für mich zu den wichtigsten Aufgaben als Seelsorger“, sagt Pfarrer Anthony auf der Fahrt zurück nach Kengen. Er fühle sich nicht als Wunderheiler, aber er glaube fest an die Kraft des Gebets. Glaube und Gebet förderten die Fähigkeit des Körpers, sich selbst zu helfen, ist er überzeugt, fügt dann aber hinzu: „Ich setze aber nicht ausschließlich auf diese heilende Gebetskraft: Mein großes Ziel ist es, ein Hospital neben dem Pfarrgelände aufzubauen.“ Mit Arztsprechstunden und durchgehend verfügbaren Krankenschwestern soll es eines Tages den Menschen bei vielen Krankheiten den langen Weg ins Krankenhaus in der Regionalhauptstadt Sekondi-Takoradi ersparen.
„Ich habe gewusst, was auf mich zukommt, was es bedeutet, Priester zu werden“, sagt Pfarrer Anthony rückblickend. Den Wunsch habe ein holländischer Missionar in ihm geweckt, als er noch Jugendlicher war. Als Seminarist schien der Traum vom Beruf eines Geistlichen zwischenzeitlich ausgeträumt, denn ein Schicksalsschlag in seiner Familie habe ihn gezwungen, für einige Jahre als Plantagenarbeiter den Lebensunterhalt seiner Mutter und seines behinderten Bruders zu sichern. Doch mit 32 Jahren konnte Anthony Assebiah endlich die ersehnte Priesterweihe empfangen. Bis heute könne er sich nichts anderes vorstellen, als Seelsorger in seiner Heimat zu sein, für die Menschen da zu sein, deren Sitten und Gewohnheiten er kenne und deren Sprache er spreche. Religion sei in Ghana noch selbstverständlicher Teil des Alltags. Priester zu sein, stoße auf große Anerkennung, auch wenn der Dienst des Seelsorgers ihm gelegentlich mehr wie ein Manager-Posten erscheine, sagt Anthony.
Party mit der Toten
Wie zum Beweis stößt er bei seiner Ankunft in Kengen auf eine neue Herausforderung. Auf dem Kirchplatz hat sich eine große Menschenmenge versammelt, es herrscht Unruhe. Der Grund ist schnell ermittelt: Wenige Stunden zuvor ist eine der dorfältesten Frauen gestorben – im Alter von mehr als 110 Jahren. Da die Toten in Ghana wegen der Hitze schnell beerdigt werden müssen, organisiert der Pfarrer umgehend einen Gottesdienst. Gleich danach beginnt die lange Nacht für die Verstorbene, die in aufgebahrtem Zustand dem Ereignis beiwohnt.
Dröhnende Musik, die von einer eiligst angeheuerten vielköpfigen Band erzeugt wird, Getränke, Speisen und Tanz machen den Kirchplatz die Nacht über zur Partymeile. Hunderte Familienangehörige und Gäste erweisen der Verstorbenen beschwingt, mit leichten Hüftschwüngen oder rhythmischen Dauerbewegungen die letzte Ehre. Der Pfarrer macht einfach mit. An Schlaf ist bei diesem Lautstärkepegel vor dem Pfarrhaus ohnehin nicht zu denken. Erst nach Sonnenaufgang wird der Leichnam in den Sarg gelegt, um ihn auf dem nahegelegenen Friedhof beizusetzen. Hinter dem Sarg läuft eine völlig übernächtigte Trauergemeinde. Allen Verstorbenen werde eine ähnliche Ehre zuteil, versichert der Pfarrer. Es lässt darauf schließen, wie viele schlaflose Nächte er im Laufe eines Jahres erlebt. Erst nach der Rückkehr vom Friedhof am späten Vormittag findet er endlich einige Stunden Schlaf.
Gefühle, Musik und Tanz
Zum Sonntags-Gottesdienst hat er an diesem Wochenende die Gläubigen aus elf der 22 Außenstationen eingeladen. Rund 500 von ihnen sind gekommen und wollen für mehr als drei Stunden mit dem Pfarrer auf dem Kirchplatz Gott preisen und feiern, denn die Pfarrkirche ist für solche Ereignisse zu klein. Aus dem bisher so bescheiden, fast schüchtern wirkenden Pfarrer, der gut mitfühlen und zuhören kann, wird an diesem Vormittag ein wortgewaltiger, leidenschaftlicher, laut und lange predigender Priester, der mit dem Mikrophon in der Hand große Emotionen zeigt, seine Zuhörer mitreißt und Gefühle weckt. Der Gottesdienst wird zum Erlebnis mit einer euphorischen Predigt, mit viel Musik und Tanz. Nichts anderes erwarten die Gläubigen hier im Süden Ghanas offenbar von ihrem Pfarrer. Religion gibt ihnen Halt und Orientierung, Gottesdienste sind Höhepunkte in ihrem Alltag. Selbst die Katechisten dürfen heute mit einer kleinen Ansprache um die Gunst der Gläubigen wetteifern, denn für jede Außenstation wird eine Kollekte gehalten. Rund 150 ghanaische Cedi, etwa 25 Euro, landen so im Klingelbeutel jeder Station.
Als sich am Mittag die ersten Gläubigen auf den beschwerlich langen Heimweg machen, klingelt das Handy von Pfarrer Anthony. Ein Katechist bittet ihn, in eine zwei Autostunden entfernte Außenstation zu kommen, um eine Kranke zu salben. Der Pfarrer zögert keine Sekunde. Ob er es schaffe, heute Abend noch zurückzukehren, wisse er nicht, ruft er seiner Haushälterin durch das geöffnete Autofenster noch schnell zu – und ist schon wieder unterwegs ...
Text: Franz Jussen Foto: Fritz Stark
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