Armutsfalle MikrokreditViele Familien in Kambodscha haben sich während der Pandemie mit Kleinkrediten verschuldet.
Die „Töchter der Nächstenliebe“ suchen Auswege. |
Text und Fotos: Andrzej Rybak
Am späten Vormittag wird die Hitze im Dorf Suay unerträglich. Die Hauptstraße des Ortes, der in der Takeo-Provinz im Süden Kambodschas liegt, wirkt wie ausgestorben. Die Menschen suchen Schutz im Schatten ihrer nach außen offenen Häuser. Das Land erlebt seit Wochen eine Hitzewelle, wie es sie in der Geschichte so noch nicht gegeben hat. „Der Monsun-Regen lässt auf sich warten, der Reis-Preis wird wieder einmal steigen“, sagt Suen Chen mit besorgter Stimme. „Als wäre das Leben nicht schon hart genug.“
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Der größte Laden des Dorfes bietet Softdrinks und Süßigkeiten für die, die es sich leisten können.
Chen hat gerade ein Bad hinter dem Haus genommen, ihre Haare sind noch nass. Nun sitzt sie mit ihrer 15 Monate alten Tochter auf dem Schoß vor einem Ventilator, während ihre zwei Söhne mit Nachbarskindern spielen. Seit mehr als zwei Jahren ist sie arbeitslos. Nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie wurde die Textilfabrik, in der sie gearbeitet hatte, geschlossen. Ihr Mann verdingt sich als Tagelöhner auf Baustellen in der Umgebung, doch sein Verdienst ist gering. „Unser ältester Sohn hat die Schule abgebrochen, um dem Vater zu helfen“, klagt Chen. Trotzdem kommt die Familie nicht über die Runden, kann ihre Schulden nicht bezahlen. Als die Pandemie ausbrach, nahm sie einen
Kredit bei einem Mikrofinanz-Institut auf, für den sie ihr 100 Quadratmeter großes Grundstück samt Holzhaus als Sicherheit hinterlegte. „Wir haben die Hälfte des Geldes für Essen und Reparaturen am Haus aufgebraucht“, flüstert die 36-Jährige und senkt beschämt ihren Blick. „Für den Rest kauften wir Lotterie-Lose. Wir wollten aus dem Ge- winn die Schulden bezahlen.“ Doch das Glück blieb aus. Heute schuldet die Familie der Bank 6000 US-Dollar.
Die Kinder bleiben allein
„Mein Mann und ich müssen nach Thailand gehen und dort in einer Fabrik arbeiten“, sagt Chen. „Nur so können wir das Geld zurückzahlen und unser Haus behalten.“ Doch Thailand macht es den Arbeitsmigranten nicht leicht: Seit sechs Monaten warten Chen und ihr Ehemann bereits auf ein Visum. Die Kinder werden sie in Suay zurücklassen müssen. Der älteste Sohn, gerade 16 Jahre alt, soll sich um die kleineren Geschwister kümmern. „Wir werden ihnen Geld schicken, damit sie genug zu essen haben“, sagt Chen. „Die Nachbarn haben versprochen, auf sie zu achten.“
![Andrzej Rybak](./images/Nachrichtenbilder/02-2024_klein/Kambodscha_Schwestern_in_Schule.jpg)
Tafel und Wände der Schule sind kaputt. Hier unterrichten die Schwestern die Vorschulkinder.
Auch die Missionsschwestern Eulie und Angela wollen helfen und die Kin- der im Blick behalten. „Es ist eine an- ständige Familie, die Kinder sind sehr gut erzogen und begabt“, sagt Schwester Eulie. „Wir werden alles tun, um ihnen in dieser schwierigen Zeit zur Seite zu stehen.“ Die Schwestern gehören zur Ordensgemeinschaft „Töchter der Nächstenliebe“, die ursprünglich aus Frankreich stammt und sich heute in 94 Ländern für Arme und Kranke einsetzt. Sie haben vor der Pandemie in der Hauptstadt Phnom Penh das Tageszentrum „Lindalva“ aufgebaut, in dem sie sich um Kinder von Textilarbeiterinnen kümmern, die lange Schichten in den Fabriken schieben. Zusätzlich sind sie in der Provinz Takeo, etwa 80 Kilometer südlich der Hauptstadt, für verarmte Familien in vier benachbarten Dörfern im Einsatz.
„Die Lage auf dem Land ist drama- tisch, alle Familien in Suay sind hoch verschuldet“, klagt Schwester Eulie. „Um fällige Kredite bezahlen zu können, nehmen sie weitere Kredite auf. Das ist ein Teufelskreis. Irgendwann werden sie gezwungen, ihre Grundstücke der Bank zu überlassen und landen auf der Straße.“ Suay gehört zu den ärmsten Dörfern in der Umgebung. Von den 190 Familien, die dort leben, haben 70 kein eigenes Land, das sie bebauen könnten. „Sie sind bitterarm, verdingen sich als Tagelöhner in der Stadt, haben manchmal wochenlang gar keine Ein- nahmen“, sagt Min Muan, die Dorfvorsteherin. „Manche Finanzagenten gehen von Haus zu Haus und schwatzen den Leuten die Kredite regelrecht auf.“ Dann schnappt die Schuldenfalle zu. Einige Familien in Suay schulden den Banken bereits 30 000 US-Dollar, etwa 20 Mal so viel wie das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Kambodscha.
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