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Frederike Schönecker/Universität Frankfurt

„Vie­le den­ken, dass die Op­fer lü­gen“

Als „Ehe­frau­en Chris­ti“ sol­len sie Pries­tern mit Kör­per und Geist die­nen. Ver­meint­li­che Freun­de ver­ab­rei­chen ih­nen Dro­gen. Mit­schwes­tern lo­cken sie in Fal­len. Das sind nur ei­ni­ge Bei­spie­le für Miss­brauch an afri­ka­ni­schen Or­dens­frau­en.
Die kon­go­le­si­sche Or­dens­schwes­ter und Theo­lo­gie­pro­fes­so­rin Josée Nga­lu­la kennt vie­le sol­cher Ge­schich­ten.

Die Or­dens­schwes­ter und Theo­lo­gie­pro­fes­so­rin Josée Nga­lu­la, 62, ge­hört seit 1979 den Sœurs de Saint An­d­ré an und lehrt Dog­ma­tik an der Ka­tho­li­schen Uni­ver­si­tät Kon­go in Kin­sha­sa. Ihr Va­ter war Rechts­an­walt, ih­re Mut­ter küm­mer­te sich um die acht Kin­der. Schwes­ter Josée forscht zu Re­li­gi­on und Ge­walt in Afri­ka und be­schäf­tigt sich auch mit dem Miss­brauch von Or­dens­frau­en. Seit 2021 ist sie Mit­g­lied der In­ter­na­tio­na­len Theo­lo­gi­schen Kom­mis­si­on der Welt­syno­de.

Schwes­ter Josée, von wel­chen For­men des Miss­brauchs sind afri­ka­ni­sche Or- dens­schwes­tern be­trof­fen?
Haupt­säch­lich von drei ver­schie­de­nen Ar­ten: spi­ri­tu­el­lem Miss­brauch, Au­to­ri­täts­miss­brauch und se­xu­el­lem Miss­brauch, der im­mer mit psy­chi­scher und kör­per­li­cher Ge­walt ver­bun­den ist. Da­bei soll­te man nicht ver­ges­sen, dass auch Or­dens­brü­der un­ter die­sen Miss- brauchs­ar­ten lei­den.

Wer sind die Tä­ter, und wel­che St­ra­te­gi­en nut­zen sie?
Der Miss­brauch kann sich im Klos­ter ab­spie­len, wo Mit­schwes­tern oder Be­su­cher die Or­dens­schwes­tern be­drän­gen. Es kommt auch vor, dass die Tä­ter das Ver­trau­en der Or­dens­frau­en miss­brau­chen, um sie an ei­nen ab­ge­schie­de­nen Ort zu lo­cken. Auch an Stu­di­en­or­ten, im be­ruf­li­chen oder pa­s­to­ra­len Kon­text kommt es zu Über­grif­fen: Männ­li­che oder weib­li­che Leh­ren­de, an­de­re Stu­die­ren­de, aber auch Vor­ge­setz­te miss­brau­chen Or­dens­frau­en. Sie dro­hen ih­nen oder ver­ab­rei­chen heim­lich Be­täu­bungs­mit­tel.

Zwi­schen Op­fer und Tä­ter be­steht al­so meist ei­ne hier­ar­chi­sche oder be­ruf­li­che Be­zie­hung?
Nicht nur. Auch ver­meint­li­che Freund­schaf­ten stel­len sich hin und wie­der als Fal­len her­aus: Tä­ter näh­ern sich den Schwes­tern ver­trau­ens­voll, wol­len aber ei­gent­lich nur de­ren Schwach­s­tel­len her­aus­fin­den. Ir­gend­wann nut­zen sie das ge­sam­mel­te Wis­sen, um die Or­dens­frau­en zu er­pres­sen und von ih­nen Ge­fäl­lig­kei­ten ein­zu­for­dern wie zum Bei­spiel se­xu­el­le Di­ens­te.

Mit wel­chen Ar­gu­men­ten recht­fer­ti­gen Tä­ter ih­ren Miss­brauch?
Grund­sätz­lich nut­zen sie zwei voll­kom­men fal­sche Ar­gu­men­ta­tio­nen: Ent­we­der schie­ben sie die Schuld auf ei­ne sie be­herr­schen­de „men­sch­li­che Schwäche“ oder sie wer­fen der Schwes­ter vor, die Tat selbst pro­vo­ziert zu ha­ben. Ins- ge­heim wis­sen die Tä­ter je­doch ge­nau, dass sie die Tat bis ins De­tail ge­plant hat­ten. Ge­walt ist ein Übel, das man nie­mals recht­fer­ti­gen darf.

Warum ist der Miss­brauch an Or­dens- frau­en in Afri­ka ein so gro­ßes Ta­bu?
Ein Ta­bu ist et­was, das im öf­f­ent­li­chen Dis­kurs ei­ner Kul­tur of­fi­zi­ell ver­bo­ten ist. Bis heu­te gibt es kein of­fi­zi­el­les Ver­bot, das es den afri­ka­ni­schen Kir­chen un­ter­sa­gen wür­de, dar­über zu sp­re­chen. Es ist al­so kein Ta­bu. In Afri­ka pas­siert ganz ein­fach das, was auch auf al­len an­de­ren Kon­ti­nen­ten pas­siert. Ob Frau oder Mann – wer sagt schon in al­ler Öf­f­ent­lich­keit: „Ich wur­de miss­brauch­t“? Kaum je­mand. Selbst in Eu­ro­pa lei­den die meis­ten Op­fer in Stil­le und ver­trau­en sich nur sehr dis­k­ret je­man­dem an. Ge­n­au­so ist es in Afri­ka.

Was muss sich än­dern, um Miss­brauch zu ver­hin­dern?
Das, was der Papst von al­len Au­to­ri­täts­per­so­nen ver­langt: Es muss die Idee ver­schwin­den, dass man sich al­les er­lau­ben kann, nur weil man „Che­f“ ist. Au­ßer­dem müs­sen Men­schen auf­hö- ren, et­was er­klä­ren zu wol­len, das nicht zu recht­fer­ti­gen ist: Vie­le Män­ner sa­gen, dass sie sich nicht be­herr­schen könn­ten, wenn sie ei­ne Frau se­hen und recht­fer­ti­gen das mit ih­rer „men­sch­li­chen Schwäche“. Es muss die Über­zeu­gung ver­schwin­den, dass der Kör­per des Nächs­ten ein be­lie­big zur Ver­fü­gung ste­hen­des Ob­jekt sei. Der Kör­per ei­ner Per­son ist ihr pri­va­tes, inti­mes, in Men­schen­wür­de ge­hüll­tes Ei­gen­tum.

Wel­che Präv­en­ti­ons­st­ra­te­gie wür­den Sie vor­schla­gen?
Zual­le­r­erst müs­sen Or­dens­frau­en ler­nen, Vor­bo­ten von se­xu­el­lem Miss­brauch zu er­ken­nen, sei­en es Ges­ten oder Be­mer­kun­gen. Zwei­tens muss die Straf­lo­sig­keit in der Kir­che auf­ge­ho­ben wer­den, um Nach­ah­mer ab­zu­sch­re­cken. Und drit­tens sind kla­re, wirk­sa­me Maß­nah­men in der Op­fer­be­g­lei­tung drin­gend not­wen­dig. Denn wer nicht recht­zei­tig Hil­fe be­kommt, ist für wei­te­ren Miss­brauch an­fäl­lig.

Auf wel­che Pro­b­le­me sto­ßen Sie, wenn Sie hel­fen, Miss­brauch an­zu­zei­gen?
Vor al­lem auf Mis­s­trau­en und Ba­na­li­sie­rung: Vie­le den­ken, dass die Op­fer lü­gen und dass es Miss­brauch „bei uns doch nicht gib­t“. Wir soll­ten uns hin­ge­gen stets da­ran er­in­nern, warum wir Chris­ten Kar­f­rei­tag fei­ern: Das Chris­ten­tum schämt sich näm­lich nicht zu sa­gen, dass sein Grün­der und Ret­ter auf ei­ne ex­t­rem ge­walt­tä­ti­ge Wei­se ge­de­mü­tigt wur­de. Der Kar­f­rei­tag ver­an­schau­licht das Aus­maß des Leids und der Bloß­stel­lung, das Miss­brauch­te ver­kraf­ten müs­sen. Des­halb müs­sen sich al­le Chris­ten ge­gen Ge­walt­ta­ten stel­len. Wenn al­so ein Pries­ter als „Re­prä­sen­tant Chris­ti“ psy­chisch und phy­sisch Ge­walt aus­übt, dann drückt die­se Tat ei­nen be­wuss­ten Glau­bens­ab­fall aus.

Ei­nes Ih­rer For­schungs­ge­bie­te ist die Theo­lo­gie in afri­ka­ni­schen Spra­chen. Was hat Sie da­zu be­wegt?
Als der Sohn Got­tes auf die­se Welt ge­kom­men ist, hat er die Men­schen in ih­rer Mut­ter­spra­che evan­ge­li­siert: Ara­mäisch. Und als die Apos­tel mit der Evan­ge­li­sie­rung be­gan­nen, ha­ben sie die Nach­fol­ger Je­su nicht ge­zwun­gen, Ara­mäisch zu ler­nen, um mit Gott zu sp­re­chen. Das Chris­ten­tum hat kei­ne hei­li­ge Spra­che. Wenn die Heils­bot­schaft das In­ners­te ei­nes Vol­kes be­rüh­ren soll, soll­ten wir die Spra­che die­ses Vol­kes re­spek­tie­ren und sie be­nut­zen, um den Glau­ben zu ver­kün­den.

Sie sind die ein­zi­ge afri­ka­ni­sche Frau in der In­ter­na­tio­na­len Theo­lo­gi­schen Kom­mis­si­on der Welt­syno­de. Wel­che The­men brin­gen Sie ein?
Mir ist die Wah­rung der Men­schen­wür­de wich­tig. Und auch der Di­enst,
den die Kir­che für die Mil­lio­nen Men- schen leis­ten kann, die Op­fer von Krieg, aber auch je­g­li­cher Form von Ge­walt in Frie­dens­zei­ten ge­wor­den sind.

Wie wird der Syno­da­le Weg der Deut- schen Kir­che in Afri­ka wahr­ge­nom­men? Ei­ni­ge Stim­men be­fürch­ten, dass es zu ei­nem Al­lein­gang Deut­sch­lands kom­men könn­te ...
In Afri­ka ha­ben wir von den Er­fah­run­gen der Kir­che in Deut­sch­land ge­hört. Die ein­zi­ge Ver­bin­dung, die wir her­s­tel­len, be­zieht sich auf un­se­re Er­fah­rung des Pa­la­ver: In den afri­ka­ni­schen Tra­di­tio­nen be­steht das Pa­la­ver-Prin­zip ganz ein­fach da­rin, dass man sich die Zeit nimmt, al­len zu­zu­hö­ren.

In­ter­view: Pia Schei­bl­hu­ber
Fo­to: Fre­de­ri­ke Sc­höne­cker/Uni­ver­si­tät Frank­furt

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