Gott lebt auch in den Tieren
Der katholische Priester und Biologe Dr. Rainer Hagencord leitet das nach eigenen Angaben weltweit einmalige Institut für Theologische Zoologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Kapuziner in Münster. Er arbeitet an einem Wandel unserer Gesellschaft.
Konsequent: Die Liebe zum Tier und zur Schöpfung prägt den Theologen und Biologen Dr. Rainer Hagencord. © Witte
Sie leiten das Institut für Theologische Zoologie in Münster und sind einer seiner Gründer. Braucht man sowas?
Rainer Hagencord: Ja, natürlich. Wenn wir von der Theologischen Anthropologie sprechen, bei der es um das Wesen des Menschen und seine Beziehung zu Gott geht, lacht niemand. Uns geht es in der Theologischen Zoologie um die Würdigung der Tiere in Anspielung an die Würdigung der Menschen. Darum, dass sich Gott auch in den Tieren zeigt. Sie sind in der biblischen Tradition die Gesegneten und Bündnispartner Gottes. Für Hiob, den Propheten Bileam und Jesus von Nazareth waren sie Lehrer, und sie haben uns die Sorge für sie aufgetragen. Es geht in unserer Arbeit unter anderem um die Gottunmittelbarkeit der Tiere. Der Theologe und Humanist Nikolaus von Kues hat es einmal so gesagt: „Gott ist in jedem Geschöpf ganz Gott.“ Tiere sind unsere Mitgeschöpfe. Dazu gehören auch Pute, Schwein, Huhn und Rind. Doch wenn in der Kirche von Schöpfung die Rede ist, dann landen wir schnell bei Sonne, Mond und Sterne.
Wie wollen Sie das ändern?
Rainer Hagencord: Wir arbeiten an einem Bewusstseinswandel und für eine neue Wahrnehmung und Würdigung der Tiere. Daraus ergibt sich eine neue, umfassende Spiritualität. Ich halte außer meinen Vorlesungen zum Beispiel viele Vorträge in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Dazu kommen Buchveröffentlichungen, Unterrichtsmaterialien für Schulklassen oder andere Gruppen und die Unterstützung und Förderung wissenschaftlicher Arbeiten. Dadurch können wir einiges erreichen. Ich war am Anfang überrascht von der hohen und positiven Resonanz, zum Beispiel von Politikern oder Bürgerinitiativen. Immer wieder bekomme ich auch Anfragen und Resonanz von anderen Priestern. Kürzlich hat mich der Theologieprofessor Johann Baptist Metz angerufen. Er ist jetzt Anfang 80 und hat sich bedankt, dass er durch unsere Arbeit einige neue Einsichten gewonnen habe. So etwas ist einfach schön und ermutigend.
Und wie steht es mit Kritikern?
Rainer Hagencord: Die gibt es natürlich auch, zum Beispiel bei den Landwirten. Eine Schweinezüchterin hat mal zu mir gesagt: „Sie sagen mir: ,Diese Tiere haben eine Würde.‘ Wenn ich das glaube, kann ich meine Arbeit nicht mehr machen.“ Das ist problematisch. Ein junger Mann mit einer Hühnermast hat mir erzählt, er wäre gerne ein „Hirte für meine Tiere“. Aber er hat 10- bis 13 000 Hühner in seinem Stall – wie soll das gehen?
Sind Sie strikt gegen Tierhaltung und Fleischkonsum?
Rainer Hagencord: Nein, auch wenn ich selbst mittlerweile Vegetarier bin. Aber so etwas kann man nicht verordnen. Ich bin auch nicht gegen die Landwirtschaft oder die Landwirte. Wir setzen uns aber für eine artgerechte Tierhaltung und Zucht ein und für einen bewussten Konsum. Die Macht liegt bei uns, die wir einkaufen: Was kaufen wir ein? Wo kaufen wir ein? Da kann jeder von uns Einfluss nehmen. Es gibt auch viele Landwirte, die umstellen wollen auf ökologische und tiergerechte Landwirtschaft. Für sie würde ich mir mehr Unterstützung wünschen, auch von der Politik und besonders von der Kirche.
Könnte sich die Kirche denn guten Gewissens um dieses Thema kümmern, solange es noch ein einziges hungerndes Kind irgendwo auf der Welt gibt?
Rainer Hagencord: Für mich hängt alles miteinander zusammen. Es geht um eine ganzheitliche Haltung zur Schöpfung. Wer seinen Mitgeschöpfen, den Tieren, anders gegenübertritt, verhält sich auch seinem Mitmenschen gegenüber anders. Unser Fleischkonsum beziehungsweise die Produktion von Billigfleisch belasten die Umwelt und das Klima. Dies und der Export von Fleischresten in die sogenannte Dritte Welt tragen direkt dazu bei, dass die Verelendung der Menschen dort weiter zunimmt. Auch dagegen könnten und müssten wir als Christen und müsste sich die Kirche engagieren.
Wie sind Sie als katholischer Pfarrer bei der Theologischen Zoologie gelandet?
Rainer Hagencord: Für mich ist das wie ein roter Faden in meinem Leben. Ich wollte immer schon Biologie studieren, bin dann aber doch Priester geworden und habe auch in der Gemeinde gearbeitet. Doch die Biologie hat mich nie losgelassen und schließlich habe ich das Studium absolviert. Je mehr ich mich damit beschäftigte, umso mehr hat sich auch meine eigene Spiritualität verändert. Ich kann heute nicht mehr von „Gott, dem Herrn“ sprechen. Gott ist ein Liebhaber des Lebens. Und er hat seinen Bund mit allen Geschöpfen geschlossen – mit den Menschen, den Tieren und auch mit den Pflanzen. Gott will keine Opfer. Als Jesus die Händler aus dem Tempel vertrieb, war das nicht nur eine ökonomische Aktion. Er hat auch die vielen Händler vertrieben, die Schlachttiere zur Opferung verkauften. Der Tempel war damals auch ein Ort des Blutbades. Aber Jesus knüpft mit seiner Botschaft an die alten Propheten an. Er verkündet uns den Gott der Barmherzigkeit und der Liebe.
Derzeit liest und sieht man an jeder Ecke etwas zum Thema vegetarisch oder vegan – also ganz ohne Tierprodukte – leben. Eine Modewelle oder Zeichen eines echten Wandels?
Rainer Hagencord: Das ist eine Entwicklung, die unumkehrbar ist. Es hat sich schon einiges im Bewusstsein der Menschen gewandelt. Schauen Sie doch auch mal ins Fernsehprogramm: Jeden Tag gibt es Dokumentationen über Skandale in der Ernährungsindustrie, aber auch über die Emotionalität, Denkleistungen und die soziale Kompetenz der Tiere.
Blicken Sie also optimistisch in die Zukunft?
Rainer Hagencord: Ich bin kein Optimist, aber ich habe die Hoffnung, dass es doch noch gutgeht mit uns auf diesem Planeten.
Können wir dafür etwas von Tieren lernen?
Rainer Hagencord: Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin spricht von der Gottunmittelbarkeit der Tiere. Sie sind noch immer im Garten Eden. Weil sie nicht durch Vernunft von ihrem Schöpfer getrennt sind. Sie leben ganz im Augenblick, im Hier und Jetzt.
Das Interview führte Hildegard Mathies.
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