Comboni-Missionar Gregor Schmidt. Foto: privat |
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„Hier gibt es keinen Nelson Mandela“
Comboni-Missionar Gregor Schmidt zur Lage im Südsudan
Seit der Eskalation der Gewalt zwischen Aufständischen und Regierungstruppen im Südsudan sind 1,5 Millionen Menschen vertrieben worden. Nun wird die Nahrung in dem nordostafrikanischen Land knapp, weil die Felder vor Beginn der Regenzeit nicht bestellt wurden. Laut Schätzungen der Vereinten Nationen sind 3,5 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Comboni-Missionar Gregor Schmidt lebt seit 2009 im Südsudan. Im Interview sprach er über die Herausforderung, als christliche Kirche gegen alte Stammesfehden anzukommen, und über politische Alternativen.
Pater Schmidt, sind Sie angesichts der drohenden Hungersnot im Südsudan beunruhigt?
Schmidt: Für mich ist es deprimierend, und ich verspüre eine gewisse Hilflosigkeit. Wir als Missionare engagieren uns im kleinen Rahmen für Bildung und pastorale Arbeit. Aber ein ganzes Volk vor dem Hunger zu retten, das liegt nicht in unserer Macht. Fangak County, wo unsere Gemeinschaft ihren Sitz hat, ist für die Kämpfer nur schwer erreichbar und deshalb sicher. Hier können die Menschen die Landwirtschaft fortsetzen. Allerdings haben wir eine große Zahl von Flüchtlingen aufgenommen, etwa 50.000. Also gibt es auch bei uns mehr Münder zu stopfen als normalerweise. Immerhin haben wir einen Fluss, an dem ganzjährig Fische gefangen werden können, und die Rinder hier werden vermutlich das ganze Jahr Milch geben. Das wären die beiden letzten Nahrungsquellen, die bei uns übrig blieben, sollte die Hirse irgendwann nicht mehr ausreichen.
Inwiefern haben die Kämpfe in den umliegenden Gebieten die Arbeit der Mission für Frieden und Menschenrechte beeinträchtigt?
Schmidt: In der Stadt bekriegen sich die Ethnien der Dinka und der Nuer gegenseitig. Auf dem Land leben die Ethnien getrennt voneinander. Bei uns gibt es vorwiegend die Nuer. Doch auch hier werden sie in die Kämpfe mit hineingezogen, haben etwa Verwandte in der Stadt verloren. Die Konflikte zwischen den Volksgruppen sind Jahrhunderte alt. Das Christentum wiederum ist als Mehrheitsreligion noch recht jung. Bestimmte Werte wie Feindesliebe und Gewaltlosigkeit haben die Menschen eben noch nicht so verinnerlicht. In Krisensituationen wie jetzt vergessen sie, was Jesus gepredigt hat. Als ausländischer Priester kann ich die Nuer auf einen Ausgleich mit den Dinka hinweisen. Aber das heißt nicht, dass sie als Gruppe danach handeln. Im Gegenteil, in ihren Fürbitten beten sie dann dafür, dass sie den Krieg gewinnen.
Im Gegensatz zu anderen Ländern in der Sahelzone spielt Religion im Konflikt im Südsudan überhaupt keine Rolle.
Schmidt: Hier handelt es sich vorwiegend um Verteilungskonflikte. Etwa ein Drittel der Einkünfte durch die Ölquellen im Land hat die Regierung in die eigenen Taschen gewirtschaftet. Andere, kleinere Stämme fühlen sich ausgegrenzt und können sich nicht wehren. Die Nuer als zweitgrößte ethnische Gruppe des Landes sind die einzigen, die dem Dinka-Präsidenten Salva Kiir Paroli bieten können. Beide Seiten verhalten sich egoistisch und wollen die jeweils eigene Gruppe versorgen - gemäß dem traditionellen Verhaltensmuster von Sippen. Es geht um bedingungslose Treue und Aufopferungsbereitschaft für die Familie, womit man sich früher in einer feindlichen Umwelt das Überleben sicherte. Wenn man dieses Konzept auf einen modernen Staat überträgt, ist das der Tod einer Verwaltung. Die Öl-Einnahmen fließen dann nur den Politikern zu; das schafft Unfrieden.
Der Westen versucht im Südsudan immer wieder einzugreifen und Friedensabkommen zu erwirken. Kann er langfristig etwas gegen die Machtkämpfe tun, oder ist er gegenüber diesen Stammesstrukturen machtlos?
Schmidt: Diese Völker müssen ihre Konflikte selbst austragen. Die Konflikte sind uralt, es kann schon mal 20 Jahre dauern, bis das eine Volk sich am anderen rächt. Der Westen hat da oft eine zu eingeschränkte Perspektive. Den Frieden kann man nicht von außen festlegen durch irgendwelche Verträge oder Vereinbarungen. Es wäre auch nicht unbedingt hilfreich, wenn sich der Präsident und der Vize-Präsident einigen würden. Dadurch bliebe der Grundkonflikt zwischen den Ethnien bestehen. Meiner Meinung nach sollten sie beide zurücktreten und von der politischen Bühne verschwinden. Hier gibt es eben keinen Nelson Mandela.
Was wäre die politische Alternative?
Schmidt: Es müsste eine neue, unverbrauchte Generation an Südsudanesen das Land leiten, vor allen Dingen Vertreter einer Minderheit und nicht von den beiden großen Volksgruppen Dinka und Nuer. Es ist nötig, dass die Einnahmen aus den Ölquellen transparent an die Regionen weitergeleitet werden und die jeweiligen Volksgruppen individuell entscheiden, worin sie das Geld investieren wollen. Sobald es eine Zentralverwaltung gibt, verschwindet das Geld, da kommt unten nichts mehr an. Polizisten und Soldaten werden korrupt, Lehrer streiken, weil sie kein Gehalt bekommen. Im lokalen Kontext achten die Menschen darauf, dass jeder etwas abbekommt. Ein übergeordneter Staat ist für die Menschen auf dem Land jedoch eine abstrakte Größe, die im Alltag nicht vorkommt - außer als Störenfried, der Regeln vorgibt, die die Menschen nicht verstehen.
Das Interview führte Claudia Zeisel (KNA)
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