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Fotos: Bettina Flitner; imago/Zuma Wire; Achim Pohl |
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heimatlos - staatenlos - rechtlos
Was es bedeutet, keinen Pass zu haben
Ein Konto eröffnen, den Führerschein machen, einen Miet- oder Arbeitsvertrag abschließen, wählen gehen, reisen: Was für andere selbstverständlich ist, stellt Menschen ohne Staatsangehörigkeit vor große Probleme. In vielen Ländern des globalen Südens sind Staatenlose vom Gesundheits- und Bildungssystem ausgeschlossen, dürfen kein Eigentum erwerben, nicht heiraten. Sie haben keine bürgerlichen Rechte und Pflichten. Kein Land fühlt sich für sie zuständig und gewährt ihnen Schutz. „Ich fühle mich, als ob ich nicht zähle“, klagt Purna Gurung, der mit der Vertreibung der nepalesisch-stämmigen Bevölkerung aus Bhutan vor 34 Jahren seine Staatsbürgerschaft verlor.
Nach Schätzungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen gibt es weltweit rund zehn Millionen Staatenlose. Zu den bekanntesten zählen Palästinenser, Rohingya, die weder Myanmar noch Bangladesch einbürgern will, und Kurden aus dem Nordosten Syriens, denen Damaskus 1962 die Staatsbürgerschaft entzog – angeblich, um die Arabisierung des Landes zu verhindern.
Gründe, warum Menschen staatenlos werden, gibt es viele. So haben mit dem Zerfall der Sowjetunion Hunderttausende ihre nationale Identität verloren und in Nachfolgestaaten wie Kasachstan oder Kirgisistan keine neue erhalten. Ähnlich erging es Einwohnern des ehemaligen Jugosla- wien. Oft fehlten ihnen Dokumente, wenn etwa ihre Geburt gar nicht registriert wurde. Auch die Diskriminierung ethnischer oder missliebiger Gruppen spielt eine Rolle. Libyen beispielsweise verweigerte Tuareg- Nomaden jahrzehntelang die Staatsbürgerschaft und vermerkte als Geburtsland einfach „Große Sahara“. Indien versuchte 2015 über ein na- tionales Bürgerregister, aus Bangladesch eingewanderten Muslimen die Staatsangehörigkeit abzuerkennen. Nicaragua bürgert Oppositionelle bewusst aus. Fatale Folgen haben auch patriarchalische Gesetze: Wo nur Männer die Staatsbürgerschaft vererben dürfen, wird ein Kind, dessen Vater unbekannt ist oder es nicht anerkennt, automatisch staatenlos.
Statt Nationalität: drei Kreuze vom Amt
Diese Probleme mögen weit entfernt scheinen, aber sie sind es nicht. Allein in Deutschland leben knapp 95 000 Menschen mit ungeklärter Staatsbürgerschaft, weitere 30 000 sind als staatenlos eingestuft. Dabei gibt es kaum ein Formular, in dem die Nationalität nicht erfragt wird. Behörden behelfen sich im Zweifelsfall mit Kreuzen: drei für eine ungeklärte Staatsbürgerschaft und xxa für „anerkannt staatenlos“.
Paradoxerweise eröffnet genau dieser Status Chancen. Denn wer offiziell staatenlos ist, verfügt völkerrechtlich über eine gesicherte Rechtsstellung. Er hat bessere Aussichten, eingebürgert zu wer- den, Reisedokumente zu erhalten und gilt laut Vereinten Nationen als schutzbedürftig. Während Großbritannien, Frankreich, Spanien und Ungarn längst Verfahren entwickelt haben, um Menschen als staatenlos anzuerkennen, versäumte es die Bundesrepublik auch im Rahmen der Staatsbürgerschaftsreform vom Januar 2024, länderübergreifende, einheitliche Regelungen zu schaffen. Ämter reagieren Betroffenen gegenüber häufig mit Misstrauen, statt ihnen Wege aufzuzeigen.
„Ich war bis zu meinem 27. Lebensjahr staatenlos und rechtlos“, sagt die in Berlin aufgewachsene Palästinenserin Jouanna Hassoun. Einige ihrer Familienmitglieder sind es bis heute. Als Bürger mit Pass kann man nur erahnen, was das bedeutet.
Text: Beatrix Gramlich
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