Ein israelischer Luftangriff zerstörte ein Gebäude der orthodoxen St. Porphyrios-Kirche. Hunderte Christen hatten auf dem Gelände Zuflucht gefunden.
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Brennpunkt
Gaza verliert die Christen
Am Anfang des vierten Jahrhunderts bezieht Hilarion (291-371) eine Mönchszelle einige Kilometer südlich der Stadt Gaza und wird damit zum Begründer des Mönchtums in Palästina. Er war nicht der erste Christ in Gaza, aber einer der bedeutendsten. Werden im Jahr 2024 die letzten Christen den Gaza-Streifen verlassen?
Seit dem Anschlag der Hamas am 7. Oktober sehen wir täglich die Bilder von Menschen, die unter dem Krieg in Gaza leiden. Israel betont, es verteidige sich mit Luftangriffen und dem Einmarsch von Bodentruppen gegen die Angriffe der radikalislamischen Terrorganisation, die sich die Zerstörung des jüdischen Staats auf die Fahnen geschrieben hat. Fast zwei Millionen Menschen – 85 Prozent der Bevölkerung – sind auf der Flucht, völlig unzureichend versorgt mit Hilfsgütern. Einen sicheren Ort gibt es im Gazastreifen für sie aber nicht, und verlassen darf ihn
niemand. Das Ausmaß von Tod und Zerstörung ist kaum zu ertragen. Was soll aus dem Gazastreifen nach dem Krieg werden? Äußerungen israelischer Regierungsmitglieder aus den Reihen der extremen Rechten klingen wie Drohungen. Und wer wird nach dem Krieg die Verantwortung für die palästinensische Bevölkerung übernehmen, für die öffentliche
Ordnung, Bildung, das Gesundheitswesen und den Wiederaufbau? Die Palästinensische Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah im Westjordanland, die im Jahr 2006 die Kontrolle über den Gazastreifen an die Hamas verloren hat und auch bei der eigenen Bevölkerung als vollkommen korrupt gilt? Bei meinem Besuch in Jerusalem im Dezember 2023 hatte niemand von meinen Gesprächspartnern Antworten auf diese Fragen.
Nur eines scheint klar: Die wenigen Christen, die vor dem Krieg noch im Gazastreifen gelebt haben, werden das Gebiet zum größten Teil verlassen. „1017 Christen waren es vor dem Krieg“, berichtet Pater Gabriel Romanelli, der katholische Pfarrer von Gaza, bei meinem Besuch. Am 7. Oktober war er in Bethlehem und kann seither nicht in seine Pfarrei in Gaza-Stadt zurück. „18 Christen wurden beim Angriff auf die orthodoxe Porphyrios-Kirche getötet. Da waren es weniger als Tausend.“ Sie starben am 19. Oktober bei einem israelischen Luftangriff, bei dem ein Gebäude neben der Kirche zerstört wurde.
Ende einer jahrhundertelangen Geschichte
Fast alle Christen haben seit Oktober auf dem Gelände der katholischen und orthodoxen Gemeinde Zuflucht gesucht, notdürftig eingerichtet in den Pfarreigebäuden und der sich anschließenden Schule. „Zwei Drittel der Häuser und Wohnungen unserer Christen wurden durch die Angriffe zerstört“, berichtet Pater Romanelli. „Wo sollen sie nach dem Krieg hin?“ Er ist überzeugt: In Gaza werden sie sich keine neue Existenz aufbauen. Sie haben in diesem Krieg alles verloren. Sobald sie können, werden sie weggehen und woanders neu anfangen.
In Gaza geht eine jahrhundertelange christliche Geschichte zu Ende. Damit werden aber auch die christlichen Institutionen sterben: Krankenhäuser, Schulen und die Sozial- und Gesundheitsarbeit der Caritas. Orte, an denen christliche Werte der allgegenwärtigen Ideologie der herrschenden Hamas entgegengesetzt wurden. Düstere Aussichten für Gaza.
Text: Matthias Vogt
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