Brautraub in Pakistan: entführt und islamisiertIn Pakistan nehmen die Fälle von Entführungen und Zwangskonversionen christlicher Mädchen
zu. CLAAS, eine Nichtregierungsorganisation für Rechtsbeistand und Streitschlichtung in
Lahore, kämpft für ein Gesetz, das diese Verbrechen verbietet. |
1000 Zwangskonversionen christlicher oder hinduistischer Mädchen werden pro Jahr in Pakistan angezeigt. Die Dunkelziffer ist weit höher. Eiga Kenny von der Rechtsabteilung der Organisation spricht im Interview mit kontinente über religiöse Diskriminierung, eine Rechtssprechung, die der Scharia folgt und Hilfsmöglichkeiten für die Opfer - oft Mädchen, die gerade erst neun Jahre alt sind.
Wie viele christliche Mädchen und junge Frauen werden jedes Jahr in Pakistan Opfer von Entführungen und Zwangskonversion?
Nach einem Bericht von Forbes werden in Pakistan jedes Jahr fast 1000 minderjährige Mädchen aus christlichen und hinduistischen Gemeinschaften gewaltsam zum Islam bekehrt. Bei dieser Zahl handelt es sich jedoch nur um die Fälle, die gemeldet werden.
Dient die Zwangskonversion christlicher Mädchen dem Ziel, die christliche Minderheit im Land zu unterdrücken?
Wie das Blasphemiegesetz ist die Zwangskonversion zum wirksamsten Mittel geworden, um Nicht-Muslime zu verfolgen. Die Gesetze, die für die Rechte religiöser Minderheiten in Pakistan gelten, sind diskriminierend. Die Diskriminierung von Frauen, die religiösen Minderheiten angehören, ist noch schlimmer; sie werden Opfer von Entführung, Vergewaltigung, Zwangsheirat und Zwangsbekehrung. Die Zwangsverheiratung ist nach dem Gesetz ein Verbrechen, aber die Zwangskonversion eines neunjährigen Kindes bleibt straffrei und wird nicht als kriminelle Praxis anerkannt.
Das Hauptanliegen der religiösen Bündnisse in der pakistanischen Politik war und ist es, dem Land die Scharia (islamische Gesetze) aufzuzwingen. Seit seiner Gründung hat sich Pakistan dafür entschieden, die religiöse Identität als Instrument zur Förderung seiner nationalen Sicherheitsinteressen einzusetzen. Eine religiöse Identität, wenn sie nicht ausgrenzend und fanatisch ist, stellt kein Problem dar, die pakistanische Version ist jedoch intolerant, extrem und mörderisch. Sie ist nicht nur eine religiöse Angelegenheit, sondern ist für die politische Elite zu einem Mittel geworden, um ihre Macht zu erhalten und zu rechtfertigen. Religiöse Diskriminierung ist tief in der pakistanischen Kultur und Gesellschaft verankert.
Premierminister Imran Khan hatte während des Wahlkampfes ein Gesetz gegen Entführungen angekündigt. Was ist daraus geworden?
Es gibt ein Gesetz, das Entführung oder Verschleppung mit der Absicht, eine Person heimlich und unrechtmäßig festzuhalten, unter Strafe stellt. Es gibt auch ein Gesetz zur Einschränkung von Kinderehen, das die Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren unter Strafe stellt. Noch wichtiger ist, dass Sex mit einem Kind unter 16 Jahren als Vergewaltigung gilt und mit der Todesstrafe geahndet wird. In Fällen von minderjährigen christlichen Mädchen werden die Strafverfolgungsbehörden jedoch durch die Vorlage einer Konversionsbescheinigung und einer Heiratsurkunde dazu gebracht, die Entführer zu begnadigen. Auf internationalen Druck beauftragte die Regierung das Bundesministerium für Menschenrechte mit der Ausarbeitung eines Gesetzes, das die Zwangskonversion von minderjährigen Mädchen aus religiösen Minderheiten verbietet.
Der Gesetzentwurf wurde am 13. Oktober 2021 der parlamentarischen Kommission für Zwangsbekehrung vorgelegt. Während dieser Sitzung sprach sich der Minister für religiöse Angelegenheiten, Noorul Haq Qadari, gegen den Gesetzentwurf aus. Er sagte, dass die Ausarbeitung eines Gesetzes über Zwangsbekehrungen den Frieden im Lande verschlechtern und weitere Probleme für die Minderheiten schaffen würde. Der Staatsminister für parlamentarische Angelegenheiten, Ali Muhammad Khan, sagte, er sei gegen den Gesetzesentwurf, „da er eine Altersgrenze für die Zwangsbekehrung festlegt, die dem Islam und der pakistanischen Verfassung widerspricht“. Auch weitere Politiker lehnten den Gesetzentwurf als „unislamisch“ ab. Nach der Verabschiedung des Gesetzes durch die Kommission sollte es dem Parlament vorgelegt werden, doch nun wurde es abgelehnt.
Haben Eltern entführter Töchter vor Gericht eine Chance, ihr Kind zurückzubekommen?
Die meisten islamischen religiösen Institutionen stellen die Art der Konversion nicht in Frage, und die vom Entführer gemachten - meist falschen - Angaben werden in der Regel akzeptiert. Die meisten Fälle von Brautraub werden nicht angezeigt, weil die Strafverfolgungsbehörden den Familien der Opfer gegenüber voreingenommen sind. Wenn doch ein Fall registriert wird, entscheiden die Gerichte in der Regel nicht zu Gunsten der Familie des Mädchens, selbst wenn die Opfer erst neun Jahre alt sind. Die Gerichte folgen der Scharia und schützen die Ehe, indem sie die Tatsache ignorieren, dass eine Minderjährige nicht zu einer Religion konvertieren und eine Ehe eingehen kann.
Während des gesamten Prozesses bleibt das Mädchen in der Obhut des Täters, was eine Aussage zugunsten des Entführers wegen der Angst vor gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen erleichtert. Viele Familien entscheiden sich aufgrund von Todesdrohungen und Blasphemievorwürfen dagegen, Anzeige zu erstatten. Außerdem gibt es kein Zurück mehr, sobald das Mädchen konvertiert ist, da Apostasie die Todesstrafe bedeuten würde. In vielen Fällen wird den Mädchen gesagt, dass ihre Familien „Kafirs“ (Ungläubige) sind und sie sie nicht sehen dürfen.
Was tut das Centre for Legal Aid Assistance & Settlement (CLAAS) für die Opfer?
Das Kernziel von CLAAS ist die Gewährleistung gleicher Rechte für alle. In Pakistan gibt es unterschiedliche Rechtsstandards für Arme und Reiche. Diejenigen, die über finanzielle Mittel verfügen, erhalten immer Recht und haben leichten Zugang zu den Gerichten, während dies den Armen und Schwachen verweigert wird. Die Mehrheit der Opfer verfügt nicht über ausreichende Mittel, um bei den Strafverfolgungsbehörden Dokumente zur Verteidigung ihrer Fälle zu beschaffen; sie sind nicht in der Lage, einen Anwalt zu engagieren.
CLAAS hilft ihnen dabei. Unsere Motivation leitet sich aus dem christlichen Glauben ab, der Mitgefühl und Respekt für alle Menschen betont. Wir zeigen dieses Mitgefühl, indem wir vor Gericht für die Rechte hilfloser und verzweifelter Opfer ein- treten. CLAAS fördert die Rechte von Frauen, indem es deren Fälle vor Gericht vertritt. Die Gleichstellung der Geschlechter wird gefördert, indem die Überlebenden in die Lage versetzt werden, eine Ausbildung zu absolvieren und einkommensschaffende Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem führen wir Kampagnen zur Aufklärung über Zwangskonversion und Zwangsverheiratung von christlichen minderjährigen Mädchen durch.
Was wäre notwendig, um Mädchen vor Entführung und Zwangskonversion zu schützen?
In erster Linie muss ein Gesetz erlassen werden, das die Zwangsbekehrung eines minderjährigen Mädchens unter Strafe stellt. Die strikte Anwendung des bestehenden Gesetzes zur Beschränkung von Kinderehen muss in Fällen von Zwangsverheiratungen minderjähriger Mädchen durchgesetzt werden. Wenn Sex mit einem minderjährigen Mädchen eine Vergewaltigung ist, dann müssen diejenigen, die Beihilfe leisten, bestraft werden. Wir glauben, dass Vorbeugung die beste Medizin ist. Eltern und junge Mädchen müssen darüber aufgeklärt werden, wie sie sich selbst schützen können und welche Rechtsmittel sie ergreifen müssen, wenn ihr Mädchen verschwindet. Durch Aufklärung kann verhindert werden, dass die jungen Mädchen zu potenziellen Opfern werden.
Interview: Eva-Maria Werner; Foto: CLAAS
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