Buschkrieg um LandAls ein Streit zwischen Viehhirten und Bauern in Nigeria eskaliert, greift Pfarrer Mosesein. Er will die Gewalt stoppen. Selbst als man ihn bedroht und sein Haus plündert, gibt er nicht auf und versucht zwischen den Parteien zu vermitteln. |
Text: Bettina Tiburzy, Fotos: Hartmut Schwarzbach
Auf einem schmalen Pfad stapft Pfarrer Moses durch das grüne Gras. Seine weiße Soutane weht im Wind. Links und rechts des Weges zerstörte Häuser. Von vielen stehen nur noch die Grundmauern. Überall eingeschlagene Fensterscheiben, verbrannte Metalltüren, die schief in Türrahmen hängen. Tonscherben liegen verstreut auf dem Boden. Der Priester hebt die Arme, deutet auf eine der Ruinen: „Vor kurzem lebten hier noch Familien. Jetzt sind die Menschen geflohen oder tot.“
60 Jahre lebten die Bauern von Dasso und die Viehhirten aus Ngyeblasar friedlich zusammen – die Bauern sind Christen, die Hirten Muslime. Die Familien aus den beiden Dorfgemeinschaften waren miteinander befreundet. Ihre Kinder spielten Fußball miteinander. Familien heirateten untereinander. Nie hätte Pfarrer Moses Daniel gedacht, dass sich das jemals ändern könnte.
Die Mission Dasso
Seit 2014 leitet er in Dasso ein „Kleines Priesterseminar“. Seine wichtigste Aufgabe sah der 42-Jährige darin, Jugendliche auf das Priesteramt vorzubereiten. In den 1940er-Jahren hatten irische Missionare hier im Osten Nigerias eine Missionsstation errichtet. „Dasso“ bedeutet „kleine sandige Anhöhe“ in der Sprache der Bwazza, der Volksgruppe, die hier lebt und Ackerbau betreibt: eine mühsame Angelegenheit. Das Umland ist sumpfig. Der nahegelegene Fluss Gongola führt nur während der Regenzeit Wasser. Das Land an seinen Ufern ist fruchtbar und begehrt.
Nicht weit von Dasso liegt das Dorf Ngyeblasar. Die Menschen dort gehören zum Hirtenvolk der Fulani. Die halbnomadischen Viehzüchter ziehen seit Jahrhunderten mit ihren Herden durch die Sahelzone – immer auf der Suche nach Weideland. Klimawandel und Trockenheit erschweren ihr Leben zunehmend. In Ngyeblasar leben einige Familien seit Generationen.
Aber wollen sie überleben, müssen sie ernten. Wenige Meter von dem Baum entfernt ragen die Reste vom Haus der Familie aus dem Gras. „Sie kamen mit vielen Leuten und griffen uns an“, erzählt Ishaya. „Sie töteten meinen Bruder Charles und enthaupteten ihn. Dann liefen sie mit seinem Kopf davon. Ich habe alles mit eigenen Augen gesehen. Bis heute wissen wir nicht, was sie mit seinem Kopf gemacht haben.“ Seine Mutter hört auf, Blätter zu pflücken und schaut zu Boden.
Alles beginnt Ende 2017 mit Gerüchten – wie ein schleichendes Gift, das langsam das harmonische Zusammenleben der beiden Gemeinschaften zersetzt. Ein Angriff auf das traditionelle Königreich in der Stadt Numan sei geplant, heißt es. Eine Gruppe Fulani wolle den König ermorden und das Gebiet übernehmen. Das Numan-Königreich ist eine der ältesten traditionellen Institutionen im Bundesstaat Adamawa.
Schleichendes Gift
Brachen Rinder in ein Feld ein, einigte man sich im Nachhinein, wie der Schaden ersetzt werden konnte. Die Menschen lebten wie in einer Symbiose. Doch plötzlich gelten die alten Absprachen nicht mehr. Rinder dringen auf die Felder ein, zerstören die Ernte. Wütende Bauern schießen mit vergifteten Pfeilen auf Kühe. Für die Hirten haben ihre Tiere einen hohen ideellen Wert. Sie rächen sich mit ihren automatischen Schusswaffen, AK 47-Gewehren. Mit denen schützen sie sich vor Viehdieben. Jetzt zielen sie damit auf ihre Nachbarn. Schnell gibt es die ersten Toten.
Pfarrer Moses ist entsetzt. Als er von einer geplanten Racheaktion der Bauern auf das Fulani-Dorf hört, greift er ein. „Ich rannte zum Fluss und flehte sie an umzukehren“, erzählt er. „Ich sagte, wenn ihr sie angreift, werden sie andere Fulani zu Hilfe rufen. Das wird nur noch mehr Zerstörung bringen. Rache bringt niemals Frieden in unsere Gemeinschaften.“ Da kehrten sie um.
Nach jedem Angriff sucht der Pfarrer die beiden Konfliktparteien auf. Spricht er mit den Dorfältesten, verteidigen sie sich: „Die Kühe sind in unsere Felder eingedrungen.“ Konfrontiert er die Ältesten der Fulani mit den Vorwürfen, sagen sie, die Bauern sollten aufhören, ihre Kühe zu töten. Doch Pfarrer Moses hakt nach: „Aber wo waren denn die Rinder? Sie waren auf den Feldern der Bauern. Wie kamen sie dahin?“ Darauf geben die Fulani keine Antwort.
Der Angriff
Am 26. Juni 2018 kommt es zu einem der schwersten Angriffe auf das Dorf der Bauern. Pfarrer Moses ist gerade in Maiduguri, einer Stadt im Nordosten Nigerias. Da klingelt sein Telefon. „Die Fulani sammeln sich, um Dasso anzugreifen“, berichtet der Anrufer.
Der Priester zögert nicht. Er ruft die Fulani-Gemeinschaft an, will wissen was los ist. „Sie sagten, einige ihrer Leute seien ermordet worden. Sie müssten ihre Toten rächen“, erzählt der Priester. Er kontaktiert die Sicherheitskräfte in der Region – ohne Erfolg. Er schaltet seinen Bischof ein. Der bittet das Militär, Soldaten zu schicken. Vergeblich Sie würden ja kommen, hätten aber keine Fahrzeuge, heißt es. Bischof Stephen Mamza kann kaum glauben, was er da hört. Pfarrer Moses ahnt Schlimmes. Bei Sonnenaufgang setzt er sich in sein Auto und rast die 405 Kilometer nach Dasso.
Als er ankommt, steht das halbe Dorf in Flammen. Erst nach seiner Ankunft treffen die Soldaten ein. Das Militär hat doch noch Einsatzfahrzeuge auftreiben können. Doch sie kommen zu spät. 54 Dorfbewohner sterben bei dem Angriff. Auf Seiten der Fulani gibt es fünf Tote. 60 Menschen werden verletzt. Die meisten tragen Schusswunden davon.
Der Bischof zieht Pfarrer Moses vorübergehend aus dem Dorf ab. Er sieht das Leben seines Priesters in Gefahr. Die meisten Dorfbewohner fliehen in ein Nachbardorf. Sie trauen sich nur zurückzukommen, um ihre Felder zu bestellen. Immer wieder flammt der Konflikt auf. Es gibt Tote, Verletzte und Plünderungen. Denn die Soldaten rücken erst an, wenn etwas passiert, aber sie bleiben nicht dauerhaft. Meistens sind sie zu spät.
Direkte Konfrontation
„Dies ist mein Haus. Wenn ihr mich töten wollt, dann kommt und tötet mich vor meinem Haus. Was habe ich nicht alles für euch getan. Ich habe für euch Sicherheit organisiert, ich habe versucht, Frieden zu schaffen. Trotzdem habt ihr mein Haus verwüstet und mich beraubt. Und jetzt wollt ihr mich umbringen? Dann kommt. Kommt und tötet mich.“ Da ziehen die Angreifer ab. Niemand stirbt an diesem Tag.
Schließlich kann Bischof Mamza die Armee überzeugen, zwölf Soldaten in Dasso zu stationieren. Pfarrer Moses möchte so schnell wie möglich zurück: „Die Menschen brauchen ein Zeichen der Hoffnung und sie brauchen Unterstützung.“ Das kann der Bischof nachvollziehen. Pfarrer Moses darf zurück. Die Dorfbewohner beginnen wieder, ihre Felder zu bewirtschaften und ihre Häuser aufzubauen. Der Bischof hat Baumaterial organisiert, auch Lebensmittel, denn viele leiden Hunger. Seinem Priester rät er zur Vorsicht und zu gehen, wenn sich die Situation verschlechtert.
Immer wieder Zwischenfälle
Die jungen Männer der beiden Dörfer hören nicht auf ihre Ältesten. Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen. „Spreche ich mit Fulani-Jugendlichen, zeigen sie sich einsichtig. Am nächsten Tag höre ich von zerstörten Feldern. Genauso andersherum. Spreche ich mit den Bauern, stimmen sie mir zu. Kurz darauf höre ich wütende Rufe der Viehhirten von der anderen Seite des Flusses, die tote Kühe beklagen“, erzählt der Priester. „Dann gehe ich in die Kirche vor das Allerheiligste und berichte Jesus von den Vorfällen.“
Durchbruch
Im April 2020 organisiert Pfarrer Moses zusammen mit dem Kommandeur ein Treffen mit führenden Vertretern der beiden Dorfgemeinschaften. Zuvor bittet der Kommandeur den Priester um Hilfe. Er will von ihm die Namen der jungen Männer aus beiden Dörfern, die den Konflikt immer wieder anfachen. Bei dem Treffen macht der Kommandeur einen Lösungsvorschlag. Zwei gemischte Gruppen aus beiden Dörfern und Soldaten sollen geformt werden. Täglich sollen sie gemeinsam einen Bericht über die Aktivitäten in Dasso und Ngyeblasar liefern. Alle stimmen zu. Als Anführer der Gruppen ernennt der Kommandeur die von Pfarrer Moses zuvor benannten Rädelsführer.
Heilung ist ein langsamer Prozess
Pfarrer Moses ist erleichtert. „Am Ende gibt es keine Gewinner. Beide Gruppen haben geliebte Menschen und Eigentum verloren. Beide bedauern den Verlust. Ich weiß, Heilung ist ein langsamer Prozess. Aber ich bin sicher, dass die beiden Gemeinschaften die Krise überwinden werden.“ Im Oktober 2020 beruft ihn sein Bischof aus Dasso ab. Zwei andere Priester übernehmen seine Stelle dort. Pfarrer Moses beginnt ein Studium in Irland. Kurz vor seinem Abflug im Dezember organisiert er ein Fußballspiel zwischen den beiden Gemeinschaften. Es soll ein Versöhnungsspiel werden und im Dorf der Fulani stattfinden.
„Anfangs dachte ich, es würde nicht funktionieren, nach alldem, was passiert ist“, erzählt Pfarrer Moses. Doch die Fußballer hatten schon vor der Krise miteinander gespielt. Sie trafen alle Vorbereitungen gemeinsam. „Das Spiel war ein großer Erfolg“, erzählt er. „Danach saßen wir noch Stunden zusammen und sprachen uns aus. Alle bedauerten, was passiert war.“ Ende 2020 ruft Pfarrer Moses von Irland in Dasso an. Er erfährt, dass zu Weihnachten einige der Fulani Familien in Dasso besucht hatten. „Sie haben gemeinsam gegessen. Die Hirten blieben bis spät in die Nacht“, erzählt er. „Ich bin sicher, jetzt wird alles gut.“
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Nomaden der Sahelzone
Die Nomaden der Sahelzone sind als Fulani, Fulbe oder Peul bekannt und werden von vielen gefürchtet. In Nigeria ist der Konflikt zwischen Viehhirten und Bauern in den vergangenen Jahren eskaliert. Tausende Menschen starben, manche sagen, mehr als bei Anschlägen der Terrormiliz Boko Haram. Klimawandel und Trockenheit erschweren es den Hirten, Weideland für ihre Tiere zu finden. Sie sind gezwungen, tief in den Süden zu ziehen. Wo es früher Migrationsrouten und Weideflächen gab, siedeln heute Menschen und betreiben Landwirtschaft. Denn Nigerias Bevölkerung wächst. Bereits jetzt ist das Land mit 200 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Afrikas. Besonders brisant: Die Fulani sind überrwiegend Muslime, die Bauern oft Christen. So erhält der Konflikt schnell eine religiöse Färbung. Die Bauern wissen oft nichts von den alten Migrationsrouten und erleben die Fulani als muslimische Eindringlinge. Da der Staat wenig tut, um seine Bürger zu schützen, gründen die Konfliktparteien häufig bewaffnete Milizen. Noch mehr Tote sind die Folge. Eine Lösung könnten eingezäunte Weidegebiete sein. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.
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Der Film erzählt von Schwester Marie Catherine im Niger, die zur Versöhnung von Muslimen und Christen im ärmsten Land der Welt beiträgt. |
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