Angst im Gelobten LandMehr als 40 000 Menschen aus der Militärdiktatur in Eritrea und dem Bürgerkriegsland Südsudan
versuchen, sich in Israel eine sichere Zukunft aufzubauen. Nun hat der Staat begonnen,
die Flüchtlinge auszuweisen und in afrikanische Länder abzuschieben. |
Text: Jobst Rüthers; Fotos: Kathrin Harms
Die Angst ist zurück bei Zemeret Tekle und seiner Familie. Die Angst davor, von der Polizei aufgegriffen zu werden, mit Frau und Kind ins Abschiebegefängnis gesteckt und dann mit unbekanntem Ziel nach Afrika ausgeflogen zu werden. Die Sorge, als illegaler Flüchtling festgenommen zu werden, ist so groß, dass der Familienvater lange zögert, bevor er seine Geschichte erzählt. Seine Frau Fortuna will auf keinen Fall fotografiert werden. Tekle lebt seit sechs Jahren mit seiner kleinen Familie in Israel. In Tel Aviv hat Tekle nach seiner Flucht aus Eritrea seine Frau kennengelernt, sie wurden Eltern der temperamentvollen Shana und engagieren sich in der Gemeinde der orthodoxen Christen. Zur Miete leben sie in einer winzigen Wohnung, ein Zimmer mit Kochecke und Sitzecke für die Eltern, für die Tochter liegt eine Matraze im Nebenraum. „Ich bin mit großen Hoffnungen nach Israel gekommen“, erinnert der 31-Jährige sich. In seiner Heimat Eritrea habe er keine Zukunft gesehen. Er sollte einen langen Militärdienst für die Diktatur leisten, verlorene Lebenszeit, sagt Tekle. „Zuhause hatte ich keine Chance auf ein Studium, obwohl ich die Schule gut absolviert habe“. Beruflich wäre sein junges Leben früh in einer Sackgasse gelandet. Über Nacht verließ er das Land, wie Tausende andere junge Männer und wenige Frauen aus Eritrea. Ob sich jetzt alle Hoffnungen zerschlagen?
Zuckerbrot und Peitsche
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat angekündigt, in den kommenden Monaten Tausende Flüchtlinge außer Landes zu bringen – gegen deren Willen. Bisher geschah dies auf freiwilliger Basis, wenn Israel Flüchtlinge mit Freiflügen und Geldbeträgen drängte, sich ausfliegen zu lassen, nach Ruanda zum Beispiel. Da die Anzahl der freiwilligen Ausreisenden aber gering war, verstärkt das Land nun den Druck und zwingt zur Rückkehr auf afrikanischen Boden. Hunderten Eritreern wurde Arbeit, Unterkunft und die Anerkennung als Flüchtling in Runda versprochen, aber sie mussten dort erleben, dass keines der Versprechen erfüllt wurde. Sie mussten weiterziehen, die Flucht ist noch nicht zu Ende.
Israels Oberstes Gericht hat jetzt die geplanten Ausweisungen von Flüchtlingen gestoppt. Eine kurze Ruhepause für die verängstigten Einwanderer. Aber noch ist nicht absehbar, ob und wann die Rückführung von Flüchtlingen wieder aufgenommen wird. Die Angst bleibt. Israel ist ein Einwanderungsland. Seit seiner Gründung im Jahr 1948 wurde Israel für viele Juden weltweit zum Gelobten Land. Die Staatsbügerschaft erhalten sie unkompliziert. Mit den jüdischen Einwanderern ist das kleine Land heute auf mehr als 8,5 Millionen Einwohner gewachsen. Aber auch immer mehr Nicht-Juden zieht es nach Israel. Das Land gilt als wohlhabend und wirtschaftlich erfolgreich, technisch modern und mit besten Bildungseinrichtungen ausgestattet. Sonntagmorgen um kurz vor acht. Es ist noch kühl, aber der Tag verspricht heiß zu werden. In der St. Anthony-Kirche im Stadtteil Jaffa von Tel Aviv haben sich etwa 60 Männer, Frauen und Kinder versammelt, um Gottesdienst in ihrer Heimatsprache Tigrinya zu feiern.
Heimat im Gotteshaus
Für die orthodoxen Christen aus Eritrea ist die Sonntagsmesse Pflicht. Wie so oft, hat Pfarrer Johannes Medhin zu Beginn des Gottesdienstes Gelegenheit, zwei kleine Kinder zu taufen. Allen Unsicherheiten in ihrem Leben als Flüchtling zum Trotz, trauen sich viele junge Eritreer, Eltern zu werden und Kinder zu bekommen. Fast jeden Sonntag werden Täuflinge in die Glaubensgemeinschaft aufgenommen. In der Acht-Uhr-Messe erleben die zumeist jungen Flüchtlinge aus Eritrea Heimat: Sie sprechen dieselbe Sprache, singen bekannte Gesänge in Tigrinya, angeleitet von einem Priester, der ebenfalls aus ihrem ostafrikanischen Land kommt und der ihre Sehnsüchte versteht. In jedem Gottesdienst erinnert Pfarrer Johannes Medhin an Menschen, die auf der Flucht nach Israel ums Leben gekommen sind.
Nach dem Gottesdienst ist Gelegenheit zum kurzen Austausch, Neuankömmlinge werden begrüßt, Hilfe wird organisiert. Zemeret Tekle versteht sich „als rechte Hand“ des Pfarrers und unterstützt ihn ehrenamtlich in der Organisation der Gemeinde. 2400 Euro hat er vor sechs Jahren für seine Flucht aus Eritrea über Sudan, Ägypten und durch das riesige Gebiet der Sinai-Wüste bezahlt, gestiftet von seinem Großvater. Wie die meisten Eritreer hält sich die Familie illegal in Israel auf und führt ein hartes Leben. Er arbeitet als Koch mit langen Arbeitstagen, sie als Reinigungskraft. „Wir prüfen jede finanzielle Ausgabe, zum Leben bleibt wenig, weil wir Monat für Monat 240 Euro an unsere Eltern in der Heimat überweisen“, berichtet Zemeret Tekle. Ob sie ihre Eltern je wiedersehen? Die Familie träumt von einem Visa für Kanada. Ortswechsel in eine moderne Hochhaussiedlung außerhalb von Tel Aviv, wo Zebib Temtso und Kibrom Testu wohnen. Gemeinsam haben sie vor sechs Jahren Eritrea verlassen, mussten 5600 Euro für die organisierte Flucht nach Israel zahlen. In der neuen Heimat wurde dann geheiratet, vor zwei Jahren kam Tochter Naomi zur Welt.
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