Hoffnung für ein kleines VolkJahrhundertelang sind sie ausgegrenzt und diskriminiert worden. Und auch heute noch
leiden die Menjas, ein kleines Volk im Südwesten Äthiopiens, unter sozialer Isolation und Armut.
Zwei Ordensfrauen kämpfen dagegen an. |
Text: Bettina Tiburzy
Fotos: Hartmut Schwarzbach
Im Schatten der riesigen Urwaldbäume hockt Kenito Atumo auf dem Boden, zupft jeden grünen Halm aus der Erde, der in der Nähe seiner kleinen Kaffeepflänzchen aus dem Boden sprießt. „Unkraut ist der Feind der Kaffeepflanze“, erklärt er Schwester Kidist Habtegiorgies, die neben ihm kniet. Unter dem Dach des Regenwaldes, das vor der stechenden Sonne schützt, zieht der Familienvater Kaffeesetzlinge groß. Es braucht drei bis vier Jahre intensiver Pflege, bevor man an einem Kaffeebaum Kaffeekirschen ernten kann. „Vom Kaffeeanbau leben können wir nicht. Noch haben wir nicht genügend ausgewachsene Bäume“, sagt Kenito. Die Ordensfrau hört aufmerksam zu. Sie kennt die schwierige Situation der Familien in ihrem Dorf. „Sie arbeiten sehr hart. Doch trotz aller Anstrengungen reicht es manchmal nur für eine Mahlzeit am Tag“, erklärt Schwester Kidist. Die Ordensfrau gehört zur Gemeinschaft „Little Sisters of Jesus“. Sie und ihre Mitschwester Askalemariam Karlo betreuen in Wush-Wush, einem kleinen Ort im Südwesten Äthiopiens, viele Familien. Die meisten von ihnen gehören zur Gruppe der Menjas, einem kleinen Volk von Waldbewohnern, das mehrheitlich den Glaubenspraktiken traditioneller afrikanischer Religionen folgt. Von der Mehrheitsbevölkerung der Kaffa in der Region sind die Menjas aufgrund ihrer kulturellen Andersartigkeit, vor allem wegen des Verzehrs von bestimmten Wildtieren, als „unberührbar“ ausgegrenzt und diskriminiert worden.
Soziale Isolation
Man schloss sie bei Festen und Versammlungen aus. Es war den Menjas streng verboten, die Häuser der Kaffa zu betreten, mit ihnen an einem Tisch zu sitzen oder gar mit ihnen gemeinsam zu essen. Heute hat sich zwar durch Bildung und Aufklärung die Akzeptanz der Menjas verbessert. Doch soziale Isolation und Diskriminierung prägen immer noch das Zusammenleben. Das wollen die beiden Ordensfrauen nicht hinnehmen. Sie suchen den direkten Kontakt zu den Menja-Familien.
Schwierige Lebensbedingungen
Eine einfache Rundhütte aus Ästen, Lehm und einem löchrigen Strohdach dient der Familie von Kenito Atumo als Heim. Auf einem Acker neben der Hütte baut der 22-jährige Familienvater Mais und Bananen an. Seine beiden Kinder, der vierjährige Israel und seine ein Jahr jüngere Schwester Mekidse, laufen barfuß auf Schwester Kidist zu. Immer wieder reiben sie sich die Augen, vertreiben Fliegen, die um ihre Köpfe schwirren. Mutter Tigist schaut besorgt in ihre geröteten Augen und sagt entschuldigend: „Wir haben hier kein sauberes Wasser. Ich muss es täglich von weit herholen.“
Schwester Kidist lädt die beiden ein, in den Kindergarten der Ordensgemeinschaft zu kommen. Dort bieten die Schwestern neben einer Betreuung auch Waschgelegenheiten und eine warme Mahlzeit an. Kenito verspricht, die Kinder zu bringen, auch wenn der Kindergarten ein ganzes Stück entfernt von ihnen liegt. „Als wir vor ein paar Jahren nach Wush-Wush kamen, haben wir überlegt, wie wir den Menschen helfen können. Wie wir ihre Einkommenssituation verbessern und ihr Selbstwertgefühl steigern können“, berichtet Schwester Kidist, die die Gemeinschaft ihres Ordens in dem kleinen Ort im katholischen Vikariat Jimma-Bonga leitet.
Obwohl in der bewaldeten Region auf den ersten Augenblick alles grün und fruchtbar erscheint, haben die Bewohner oft nicht genug zu essen. Ihnen fehlt schlicht das nötige Wissen, um das Land effektiv zu bewirtschaften. Dazu kommt das Phänomen der „Grünen Trockenheit“. Es regnet nicht genug, die Saat geht nicht auf, und die Menschen hungern. Einer Gruppe von Frauen haben die Schwestern gezeigt, wie sie effektiv Gemüse anbauen, damit die Frauen ein kleines Einkommen erwirtschaften können. „Anfangs hat das sehr gut geklappt. Die Frauen waren hellauf begeistert und stolz“, erinnert sich die 45-Jährige. „Aber dann hat sich eine Gruppe wilder Affen über das Gemüse hergemacht und die ganze Ernte geplündert.“ Doch aufgeben kam für die Ordensfrauen nicht infrage. Sie schafften für die Frauen eine Strickmaschine an. Jetzt stellt die Gruppe Strickjacken, Pullover und Decken her, die sie auf den lokalen Märkten verkauft.
Hilfegesuche
„Fast täglich klopfen Menschen an unsere Tür, bitten um Rat oder flehen: ‚Bitte helft uns, mein Kind ist krank.‘ oder ,Meine Frau stirbt.‘“, berichtet ihre Mitschwester Askalemariam. „Wir helfen, wo wir können, egal ob Beinbruch oder Komplikationen bei der Schwangerschaft. Unser Pick-up steht dem ganzen Dorf für Notfälle zur Verfügung.“ Die Ordensfrau erinnert sich an ein schwerkrankes Mädchen, das sie bei einem Dorfbesuch entdeckte. Sie überlegte nicht lang, setzte die Kranke ins Auto und fuhr sie mit strammem Tempo zwei Stunden in die Stadt Jimma in ein größeres Krankenhaus. Dort konnte das herzkranke Mädchen behandelt werden und überlebte.
Doch manchmal sind auch den Schwestern die Hände gebunden. „Wenn uns Eltern bitten, den Schulbesuch ihrer Kinder für eine höhere Schule oder ein College zu zahlen, müssen wir ablehnen. Denn diese Einrichtungen liegen in der Stadt, und es muss auch ein Zimmer und Unterhalt bezahlt werden. Dafür fehlen uns schlicht die finanziellen Mittel“, berichtet Schwester Askalemariam. Für jüngere Kinder unterhält die Kirche ein Schulinternat, in das auch Kinder aus armen Verhältnissen aufgenommen werden können.
Zuverdienst
In Wush-Wush verdienen sich einige Schülerinnen in der Kaffeefabrik, die von einem katholischen Produzenten betrieben wird, etwas dazu. In ihrer Freizeit sortieren sie Kaffeebohnen aus, die bei der maschinellen Verarbeitung nicht entschält wurden. Der Fabrikinhaber zahlt den Kaffeebauern in der Umgebung einen fairen Preis, wenn ihr Kaffee von guter Qualität ist. An ihn möchte auch Kenito Atumo später einaml seinen Kaffee verkaufen, wenn er ausreichend hochwertige Kirschen produziert. Der junge Familienvater ist zuversichtlich: „Gott ist der Schöpfer aller Dinge. Er hat mir zwei Kinder geschenkt. Zum Dank habe ich meinen Sohn Israel genannt. Ich vertraue auf Gott.“
Schwester Askalemariam freut sich über die Zuversicht. Sie erinnert sich noch gut an ihre Anfangszeit in Wush-Wush. „Unsere Menja-Nachbarn waren alle sehr schüchtern“, erzählt sie. „Mit einer Frau, die uns immer das Feuerholz verkaufte, habe ich mich öfter unterhalten. Eines Tages bat ich sie ins Haus. Doch sie schämte sich. ‚Bitte komm, Alemeto, du bist unsere Freundin‘, sagte ich zu ihr. Schließlich trat sie ein. Wir saßen zusammen, aßen Brot vom selben Teller und tranken gemeinsam Kaffee, wie es bei uns in Äthiopien üblich ist.
Als Alemeto sich verabschiedete, standen ihr Tränen in den Augen und sie sagte: ‚Heute haben sich dein Gott und mein Gott getroffen‘. Da musste auch ich weinen – vor Freude.“ Seither hat sich vieles geändert. Wenn die Schwestern zu einem Fest einladen, kommen auch die Menja-Familien, mit denen die Schwestern befreundet sind. Und sie besuchen den Gottesdienst. Sie sagen: „Ihr seid unsere Schwestern, ihr seid unsere Freunde. Wir kommen in eure Kirche, wo man uns akzeptiert und versteht. Jetzt ist es auch unsere Kirche.“
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