Duftende HimmelsgabeAuf glühenden Kohlen verbreitet er ein wunderbares Aroma: Der Duft von Weihraucherfüllt Kirchen, Tempel und Badezimmer. Die Körner mit der besten Qualität kommen aus Somaliland. Hier leben ganze Dörfer vom Handel mit dem kostbaren Baumharz. |
Der steinige Pfad windet sich den Hang hinauf. Immer wieder führt er durch ausgetrocknete Bachbetten, der Boden ringsum ist ausgedorrt. Pflanzen mit spitzen Dornen und harten Zacken heften sich mit ihren Widerhaken an Kleider und zerkratzen die Arme. Said Ibrahim Achmed weicht den Dornen mühelos aus. Trittsicher umrundet er die riesigen Felsen, die nach dem letzten Gewittersturm den Hang heruntergedonnert sind. Der hagere Mann trägt einen weinroten Macawis, so heißt der traditionelle Rock der Somali-Männer. Über seiner Schulter hängt ein Kübel, den er sich aus einem Plastik-Kanister zurechtgeschnitten hat. Sein Ziel sind mehrere kleine Bäume, die am Hang stehen und der Hitze trotzen. Sie krallen ihre Wurzeln tief ins Gestein. Die schlanken Stämme sind von einer schuppigen Rinde bedeckt, die wenigen kleinen Blätter erinnern an die einer Mimose.
Said zieht sich routiniert an einem Ast hoch und betrachtet aufmerksam die Rinde. Hier findet der 45-Jährige, was er gesucht hat: Kleine Harzkörner kleben am Baum. Er greift zu seinem Spachtel, schabt die Körner ab und lässt sie in seinen Kübel fallen. „Das ist Maydi, der beste Weihrauch der Welt. Der Baum, von dem er stammt, wächst nur hier in unseren Bergen.“ Das ist also der sagenumwobene Weihrauch, dem seit jeher eine mystische, gar göttliche Aura anhaftet: der bis heute mit seinem unvergleichlichen Duft verzaubert, der sinnlich wirkt und gleichzeitig Reinheit verströmt.
Die drei Weisen aus dem Morgenland brachten dem neugeborenen Heiland drei der kostbarsten Geschenke der damaligen Zeit: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Buddhisten und Hindus opfern Weihrauch, in der katholischen und orthodoxen Liturgie werden die Körner bei festlichen Anlässen in Weihrauchfässern verbrannt, damit sie ihr himmlisches Aroma freisetzen. Für die Bauern in den Bergen der Provinz Sanaag ist Weihrauch dagegen etwas ganz Profanes: die wichtigste Verdienstquelle. In Madar Moge, dem Dorf von Said Ibrahim Achmed, leben alle 80 Familien vom Verkauf des Harzes. Denn das Land eignet sich nicht für Ackerbau. Und ein paar Ziegen allein reichen nicht zum Überleben. Wenn die Regenzeit Anfang Juni zu Ende geht, beginnt die Ernte. Jeden Morgen zieht Said mit einigen Nachbarn kurz nach Sonnenaufgang los, um, wie sie sagen, „die Bäume zu melken“. Mit ihren scharfen Spachteln schlagen sie an mehreren Stellen die Rinde vom Stamm. Aus der Wunde tritt eine klebrige, milchige Flüssigkeit aus, die bald trocknen wird. „In zehn bis 14 Tagen komme ich zurück, um Maydi zu ernten“, sagt Said und steigt wieder vom Baum. „Mein Vater und mein Großvater haben dasselbe getan, andere Arbeit gibt es hier nicht.“
Frauen erben keine Bäume
Jede Familie in Madar Moge hat ihre eigenen Bäume, die seit vielen Generationen an die Söhne vererbt werden. Zwar sind im Islam auch Frauen erbberechtigt, doch das gilt nicht für die Weihrauchbäume. Said besitzt rund 350 Bäume. Jeden Einzelnen kann er bis zu zehnmal pro Jahr „melken“ und ihm so jeweils zwei bis fünf Kilogramm Harz abgewinnen. Seine Ernte lässt Said in einer Höhle am Rande des Dorfes trocknen. Danach packt er sie in Säcke zu 50 Kilogramm und übergibt sie an die Dorfkooperative. Pro Kilogramm bekommt er rund sechs US-Dollar (gut fünf Euro), im Weihrauchgeschäft wird alles in Dollar beglichen. Die Käufer bringen die Ware anschließend mit ihren klapprigen Lastwagen zu den Händlern in die Provinzhauptstadt Erigavo. Die Weihrauch-Bäume, die zu der Gattung Boswellia gehören, wachsen am Horn von Afrika, im Süden der Arabischen Halbinsel, in der Sahelzone Westafrikas und in Indien. Zwischen den Harzen der etwa 16 Boswellia- Arten gibt es große Unterschiede.
Die Zentrale von Barkhads Exportfirma liegt in der Hauptstadt Hargeisa, zusätzlich unterhält er mehrere Lagerhäuser in der 500 Kilometer entfernten Weihrauchregion. Wenn er kommt, um dort nach dem Rechten zu sehen, stehen die Clanältesten und Lokalpolitiker Schlange, um ihn zu begrüßen. Im Schneidersitz thront Barkhad an der Stirnseite eines leeren Raumes und nimmt die Huldigungen entgegen. Er ist der größte Arbeitgeber der Region und auch der wichtigste Wohltäter. Zusammen mit seinem größten Kunden, der US-Firma doTerra, die Naturöle vertreibt, baut er in Erigavo das erste moderne Krankenhaus.
Der Immobilienmarkt boomt
Barkhad Jibril Hassan ist dank Weihrauch einer der reichsten Menschen des Landes geworden. Ihm gehören Hotels und Mietshäuser in Hargeisa und Berbera, und er überlegt bereits, eine Shopping-Mall bauen zu lassen. Der Immobilienmarkt in Somaliland boomt, die Wirtschaft in der ehemaligen britischen Kolonie wächst – trotz widriger Umstände: Seit 30 Jahren kämpft Somaliland um seine Unabhängigkeit vom krisengeplagten Somalia, zu dem es de jure noch gehört. „Noch fehlt uns die Anerkennung durch die internationale Staatengemeinschaft“, erklärt der Geschäftsmann. „Die rechtliche Unsicherheit schreckt internationale Investoren ab.“ Somaliland ist eine archaische Gesellschaft, geprägt von Clandenken und Blutrache. Doch sie konnte die Ausbreitung des Islamischen Fundamentalismus mit seinen Terroranschlägen, wie sie Somalia erschüttern, bisher verhindern.
Seit Jahren gibt es faire Wahlen und funktionierende demokratische Institutionen, dazu eine stabile Währung. „Das Geschäftsrisiko mag vielleicht groß sein“, gibt Barkhad Jibril Hassan zu. Erfreulicherweise sind es auch die Gewinnmargen!“ – vor allem auf dem Markt für Weihrauch. Das Zentrum des Weihrauch-Geschäfts ist die Provinzhauptstadt Erigavo, hier operieren rund 100 Händler. Sie kaufen das Harz in den Dörfern und verkaufen es an Großhändler und Exporteure wie Barkhad Jibril Hassan. Der Stadt merkt man ihre wirtschaftliche Bedeutung nicht an. Einfache Häuser aus Stein und Wellblech reihen sich inmitten einer staubtrockenen, baumlosen Landschaft aneinander, nur wenige Straßen sind asphaltiert. Der Wind wirbelt immer wieder Sand- und Staubwolken auf.
Sie entfernen Rinde, Sandkörner, Steine und andere Verunreinigungen. Dann werden die Harzstücke der Größe nach sortiert: klein, mittel und groß. Die jungen Frauen schuften im Akkord, etwa 50 Cent bekommen sie pro verarbeitetem Kilogramm. Die Arbeit ist mühselig, Geduld und Genauigkeit sind gefragt. Selbst geübte Arbeiterinnen schaffen selten mehr als fünf Kilo pro Tag. Dennoch ist der Job als Sortiererin bei den Frauen in Erigavo gefragt. Sultan Ali Jussuf Abdi trifft man am besten in einem Café in der Nähe der Moschee in Erigavo. „Weihrauch ist ein Geschenk Gottes“, sagt der 59-Jährige, der im regionalen Rat der Ältesten sitzt und den Gouverneur der Provinz Sanaag berät. „Sammler und Sortiererinnen, Packleute und Händler – mindestens 100 000 Menschen in Sanaag verdienen ihr Einkommen mit dem Harz. Wir müssen alles tun, um die Wälder zu bewahren, denn ohne Weihrauch sind wir verloren.“
Tatsächlich ist die wertvolle Ressource in Gefahr. Klimawandel und Übernutzung bedrohen die Weihrauchbäume. Ohne Vorsichtsmaßnahmen wird sich deren Zahl in den nächsten 15 Jahren halbieren, warnt der Ökologe Franz Bongers von der niederländischen Universität Wageningen, der die Boswellia-Bestände in Äthiopien untersucht hat. In 50 Jahren könnte der äthiopische Weihrauch ganz verschwunden sein. Stress für die Pflanzen Auch in Somaliland ist der Bestand bedroht. In den vergangenen Jahren gab es in der Region zwei Dürreperioden. In ihrer Not versuchten die Bauern, mehr Weihrauch zu ernten. Sie ließen die Bäume kaum ruhen, schnitten sie an zu vielen Stellen an. Die Folge: Viele Bäume, die durch den Wassermangel ohnehin schon geschwächt waren, trockneten aus und starben. Ein weiteres Problem ist das Bevölkerungswachstum. „Die Bäume, die einst meinem Vater allein gehörten, muss ich heute gemeinsam mit meinen drei Brüdern bewirtschaften“, sagt Said Ibrahim Achmed. „Das reicht nicht, um alle vier Familien zu ernähren.“
„Weihrauch erlebt eine Renaissance, auch durch die Wellness-Industrie“, bestätigt René Csuk, Chemie-Professor an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg. Die Substanz habe nach derzeitigem Wissensstand kaum Nebenwirkungen und könne die Wirkung anderer Arzneimittel verstärken. Doch noch sei sie nicht ausreichend erforscht und erwiesen. Großhändler Barkhad Jibril Hassan freut sich über die wachsende Nachfrage. Aber auch er weiß, dass dieser Boom die verfügbaren Bestände bedroht. „Der einziger Ausweg heißt: Bäume pflanzen!“
Die Boswellia ist allerdings äußerst kapriziös, oft gehen die Samen nicht auf. Die Bauern in Somaliland glauben deswegen sogar, dass die Bäume nicht kultiviert werden können. Doch in Oman haben Weihrauchexporteure schon erste kleine Plantagen angelegt und warten jetzt, bis die Bäume das Produktionsalter erreichen. Das südarabische Land hat zudem schon vor Jahren den Export von Rohharz verboten. Weihrauch wird seither vor Ort zu Öl und Pflegeprodukten verarbeitet. Das sichert Arbeitsplätze und schafft Mehrwert. Für Barkhad Jibril Hassan ist klar: „Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen!“
Text: Andrzej Rybak; Fotos: Florian Bachmeier
Schauen Sie auch in unsere Bildergalerie zur Gewinnung und Verarbeitung des Weihrauchbaum-Harzes
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