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Un­ter­wegs in...Gha­na

kon­ti­nen­te-Re­dak­teur Franz Jus­sen ist ge­mein­sam mit dem Fo­to­gra­fen Fritz Stark auf Re­cher­che­r­ei­se in Gha­na un­ter­wegs. Was er un­ter­wegs er­lebt, be­rich­tet er in sei­nem Rei­se­ta­ge­buch.
Text: Franz Jus­sen; Fo­tos: Fritz Stark


18. Au­gust 2019

Christ­li­che Kir­chen wet­t­ei­fern um die Gunst der Gläu­bi­gen

Wer er­le­ben möch­te, wie christ­li­che Kir­chen of­fen und laut, aber durch­aus fair um An­hän­ger wer­ben, soll­te Gha­na be­su­chen. Vor al­lem im Sü­den des afri­ka­ni­schen Lan­des, in der hek­ti­schen und men­schen­über­füll­ten Haupt­stadt Ac­c­ra und ent­lang der viel­be­völ­ker­ten Küs­te zum Golf von Gui­nea dröh­nen ei­nem die Oh­ren nicht nur von dem end­lo­sen Ge­hu­pe der Au­tos und Mo­tor­rä­der auf den chro­nisch über­füll­ten Stra­ßen. Das Krei­schen der Stra­ßen­p­re­di­ger durch ih­re über­steu­er­ten Laut­sp­re­cher­an­la­gen setzt dem Gan­zen die akus­ti­sche Kro­ne auf. Als ob dies nicht rei­chen wür­de, lächeln dem Be­trach­ter von den un­zäh­l­i­gen Wer­be­ta­feln und Groß­flächen­pla­ka­ten mas­sen­haft mehr oder min­der be­kann­te Pre­di­ger oder Hei­ler ent­ge­gen. Da­bei sind es nicht nur bap­tis­ti­sche, evan­ge­li­ka­le oder pen­te­kos­ta­le Heils­ver­sp­re­cher, die um die Gunst der Gläu­bi­gen buh­len. Auch die ka­tho­li­sche Kir­che scheut sich nicht, auf rie­si­gen Wer­be­ta­feln an mar­kan­ten Plät­zen und Kreu­zun­gen auf sich und ih­re Ver­an­stal­tun­gen hin­zu­wei­sen. Mus­li­me neh­men an dem Wett­be­werb üb­ri­gens nicht teil: Ob­wohl sie mit rund 30 Pro­zent ei­nen nen­nens­wer­ten An­teil der Be­völ­ke­rung stel­len, tau­chen is­la­mi­sche Pla­ka­te im Stra­ßen­bild kaum auf. In Gha­na schla­gen die re­li­giö­sen Uh­ren of­fen­bar an­ders als in vie­len an­de­ren Län­dern Afri­kas, in de­nen is­la­mis­ti­sche Fun­da­men­ta­lis­ten auf dem Vor­marsch sind.




20. Au­gust 2019

Nächt­li­che Par­ty mit den To­ten

Un­er­war­te­ter Aufruhr auf dem gro­ßen Platz vor der ka­tho­li­schen Ma­ri­en­kir­che in Ken­gen. Das un­schein­ba­re Dorf im süd­west­li­chen Zip­fel Gha­nas wirkt auf­ge­wühlt am Tag un­se­rer An­kunft. Der Grund ist sch­nell er­mit­telt: We­ni­ge Stun­den zu­vor ist ei­ne der dor­fäl­tes­ten Frau­en ge­s­tor­ben – im Al­ter von mehr als 110 Jah­ren. Und nun ge­schieht, was wir in die­ser Form bis­her nicht kann­ten: Nach dem Got­tes­di­enst be­ginnt die lan­ge Par­tynacht zu Eh­ren der Ver­s­tor­be­nen, die in auf­ge­bahr­tem Zu­stand dem Er­eig­nis bei­wohnt. Dröh­nen­de Mu­sik aus Laut­sp­re­chern, die von ei­ner an­ge­heu­er­ten viel­köp­fi­gen Band er­zeugt wird, Ge­trän­ke, Spei­sen und Tanz ma­chen for­tan den Kirch­platz zur Par­ty­mei­le. Hun­der­te Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­ge und Gäs­te wol­len be­schwingt, mit leich­tem Hüft­schwung oder rhyth­mi­schen Dau­er­be­we­gun­gen der Ver­s­tor­be­nen letz­te Eh­re er­wei­sen.

Als frisch an­ge­reis­te Gäs­te ver­si­chern wir den nächs­ten An­ge­hö­ri­gen un­ser Mit­ge­fühl, su­chen dann aber zü­g­ig ei­ne neue Blei­be, denn hier am Kirch­platz, wo auch un­se­re nächt­li­che Un­ter­kunft sein soll, wer­den wir ab­seh­bar in die­ser Nacht kein Au­ge zu­ma­chen kön­nen.
Bei un­se­rer Rück­kehr am nächs­ten Mor­gen wird der Leich­nam ge­ra­de in den Sarg ge­legt, um mit dem Ge­denk­got­tes­di­enst und der Bei­set­zung be­gin­nen zu kön­nen. Die Lei­chen­kis­te ist mit kö­n­ig­li­chen Sym­bo­len ver­ziert, denn die Ver­s­tor­be­ne ge­hör­te ei­ner al­ten Häupt­lings­fa­mi­lie an. Die Par­ty­gäs­te sind al­le ge­b­lie­ben, aber die zu­rück­lie­gen­de Nacht hat sie ge­zeich­net. Al­le Ver­s­tor­be­nen wür­den auf die­se Wei­se ge­ehrt, ver­si­chert uns der ört­li­che Pfar­rer. Wer al­so die­se be­son­de­re Form des Lei­chen­sch­maus er­le­ben möch­te, hat hier­zu in Ken­gen im­mer mal wie­der Ge­le­gen­heit.




21. Au­gust 2019

Das Stel­zen­dorf Nzu­le­zo: Pad­delnd zum Welt­kul­tur­er­be

Weil die ka­tho­li­sche Kir­che sich kein mo­der­nes und teu­res Mo­tor­boot leis­ten kann, bleibt nur die Mög­lich­keit, uns mit dem al­ten und be­schei­de­nen Ka­nu aus Holz auf den Was­ser­weg zu ma­chen. Ei­ne Stun­de et­wa dau­ert un­se­re pad­deln­de Über­fahrt zum Dorf Nzu­le­zo im Wes­ten Gha­nas, wo wir ei­nen Got­tes­di­enst in der Christ­kö­n­ig-Kir­che mit­fei­ern wol­len. Der klei­ne Ort mit sei­nen rund 500 Ein­woh­nern, die auf und vom Was­ser le­ben, steht auf Stel­zen und Platt­for­men im Am­an­zu­ri-See. Die Unes­co hat das Stel­zen­dorf im Jahr 2000 zum Welt­kul­tur­er­be er­nannt. Das Le­ben hier war lan­ge be­schwer­lich, der Fisch­fang bil­de­te die ein­zi­ge Le­bens­grund­la­ge der Men­schen.
Heu­te ist das an­ders: Das Stel­zen­dorf ist seit ei­ni­gen Jah­ren ei­ne be­deu­ten­de tou­ris­ti­sche At­trak­ti­on. Der Tou­ris­mus ist jetzt ein pro­fi­ta­b­les Ge­schäft, von dem vie­le Ein­woh­ner Nzu­le­zos mitt­ler­wei­le le­ben kön­nen. Ei­ni­ge Dorf­be­woh­ner fer­ti­gen Kunst­hand­werk und ver­kau­fen es an die Rei­sen­den. Ren­ner sind die ge­schnitz­ten Mi­nia­tur-Ka­nus.

Die Tou­ris­ten sind Nzu­le­zo je­doch Fluch und Se­gen zu­g­leich: Mit ih­nen sind nicht nur Geld und Be­schäf­ti­gung ins Stel­zen­dorf ge­kom­men, son­dern auch ei­ne Men­ge Müll, dem die Be­woh­ner kaum noch Herr wer­den. Un­ter den Platt­for­men der sch­lich­ten Wohn­hüt­ten trei­ben mas­sen­haft Plas­tik­fla­schen und Müll­tü­ten, die die Be­su­cher hin­ter­las­sen ha­ben. Es mag ei­ner der Grün­de da­für sein, dass nicht al­le Be­woh­ner der In­sel glück­lich mit dem stei­gen­den na­tio­na­len und in­ter­na­tio­na­len Be­kannt­heits­grad ih­res Dor­fes sind. Das „Ve­ne­dig Gha­na­s“, wie die Wer­be­st­ra­te­gen den Ort ger­ne nen­nen, hat zu­min­dest dies mit sei­nem ita­lie­ni­schen Vor­bild ge­mein: Es droht an den Tou­ris­ten zu er­sti­cken.




23. Au­gust 2019

Fort Apol­lo­nia: Er­in­ne­rung an 400 Jah­re Skla­ve­rei

Fort Apol­lo­nia steht für ei­nes der dun­kels­ten Ka­pi­tel in der Mensch­heits­ge­schich­te: Das von 1765 bis 1771 von den Bri­ten er­bau­te Ge­mäu­er war ei­nes von mehr als 50 Forts ent­lang der gha­nai­schen At­lan­tik­küs­te, von dem aus Men­schen als Skla­ven nach Ame­ri­ka, Eu­ro­pa und Asi­en ver­schifft wur­den. In Gha­na be­gann über­haupt die Ge­schich­te der Skla­ve­rei: Vor ge­nau 400 Jah­ren wur­den von hier aus die ers­ten Skla­ven ver­kauft.
Be­vor für die Skla­ven die men­sche­n­un­wür­di­ge Rei­se nach Über­see be­gann, wur­den sie ir­gend­wo in We­st­afri­ka „ein­ge­fan­gen“ und in ein Fort ge­bracht, wo sie bis zum Ein­tref­fen des Trans­port­schif­fes oft mo­na­te­lang un­ter un­wür­digs­ten Be­din­gun­gen „zwi­schen­ge­la­ger­t“ wur­den – manch­mal ein­gep­fercht mit bis zu 30 Per­so­nen in ei­nem nicht ein­mal zehn Quad­r­at­me­ter gro­ßen Raum.


God­f­rey Yaw Au­byn, 49 (rechts ), Lei­ter von Apol­lo­nia, hält die Er­in­ne­rung und das Ge­den­ken an das trau­ri­ge Ka­pi­tel in der Ge­schich­te Afri­kas und sei­ne de­tail­lier­ten Ab­läu­fe für un­ver­zicht­bar. Er hat das Mu­se­um aber zu­g­leich als ei­ne Art Hei­mat- und Völ­ker­kun­de­mu­se­um ein­rich­ten las­sen, das die Sit­ten und Ge­bräu­che des in die­ser Re­gi­on le­ben­den Vol­kes der Nze­ma do­ku­men­tiert. Da­mit wird der Be­such im Fort zu ei­ner Art Brü­cken­schlag in der Ge­schich­te Afri­kas.







24. Au­gust 2019

Die No­vi­zin­nen von Ko­fo­ri­dua

Es geht le­ben­dig zu im No­vi­ziat von Ko­fo­ri­dua, der grü­nen Stadt in den Ber­gen rund zwei Au­to­stun­den nörd­lich von Ac­c­ra. Wir tref­fen bei un­se­rem Be­such auf sechs No­vi­zin­nen und drei Pos­tu­lan­tin­nen der "Die­ne­rin­nen des gött­li­chen Er­lö­sers" ("Hand­maids of the Di­vi­ne Re­dee­mer", HDR) die in drei Jah­ren Aus­bil­dung prü­fen wol­len, ob sie für ein Le­ben nach den Or­dens­gelüb­den ge­eig­net sind. Da­für ha­ben sie sich ei­nen kli­ma­tisch sehr an­ge­neh­men Ort im Mit­tel­ge­bir­ge vor dem gro­ßen Vol­ta-See aus­ge­sucht.

Ger­ne ge­wäh­ren uns die bes­tens ge­la­un­ten jun­gen Frau­en und die Aus­bil­dungs-Schwes­tern ei­nen Ein­blick in ih­ren All­tag, der vor­wie­gend, aber nicht nur aus Ge­bet, Ge­sang und Un­ter­richt be­steht. Die No­vi­zin­nen stel­len auch Sei­fe und Wa­sch­mit­tel her und be­t­rei­ben ei­ne Hos­ti­en­bä­cke­rei, die al­le Ge­mein­den des Bis­tums Ko­fo­ri­dua be­lie­fert. Da­mit tra­gen die No­vi­zin­nen auf ih­re ei­ge­ne Wei­se zum Un­ter­halt der Or­dens­ge­mein­schaft bei, die aus­sch­ließ­lich von ei­ge­nen Er­lö­sen und Spen­den lebt, denn staat­li­che Zu­wen­dun­gen er­hal­ten die Or­den in Gha­na nicht ein­mal für ih­re Schu­len und Kran­ken­häu­ser.

1957 grün­de­ten der aus der Ka­ri­bik stam­men­de Stey­ler Mis­sio­nar und Bi­schof Jo­seph Oli­ver Bo­wers und die ar­gen­ti­ni­sche Spi­ri­ta­ne­rin Pro­vi­den­cia Hein den Or­den, der Jahr um Jahr wei­ter wächst, weil sich vie­le jun­ge Frau­en in Gha­na für ein Le­ben im Or­den in­ter­es­sie­ren. In­zwi­schen ha­ben die HDR-Schwes­tern be­reits 112 Mit­g­lie­der. In den ers­ten drei Jah­ren, al­so wäh­rend der "Pro­be­zeit" von Pos­tu­lat und No­vi­ziat, er­hal­ten die jun­gen Frau­en üb­ri­gens kei­ne Be­rufs­aus­bil­dung, son­dern ler­nen aus­sch­ließ­lich das Or­dens­le­ben und sei­ne Re­geln ken­nen. Da­mit soll ver­hin­dert wer­den, dass der Or­den nur zur Be­rufs­aus­bil­dung ge­nutzt wird.



26. Au­gust 2019

Im „He­xen­dor­f“ Gna­ni:
Be­geg­nung mit dem „Chie­f“

Für uns Eu­ro­päer kaum vor­s­tell­bar: Aber es gibt den He­xen­glau­ben in ei­ni­gen Re­gio­nen Afri­kas im­mer noch. Wir be­geg­nen dem Phä­no­men im Nor­den Gha­nas, in der Diöze­se Yen­di. Ganz im Os­ten, un­weit der Gren­ze zu To­go, be­su­chen wir Gna­ni, ein eher tra­di­tio­nel­les Dorf mit ei­ner Be­son­der­heit: Gna­ni nimmt ver­meint­li­che He­xen und von He­xe­rei-Vor­wür­fen be­trof­fe­ne Fa­mi­li­en auf. Sie sind aus ih­ren Hei­ma­t­or­ten ge­f­lo­hen, weil sie dort wie Aus­sät­zi­ge be­han­delt wer­den und mit Er­mor­dung be­droht sind. Un­ter den rund 700 Flücht­lin­gen in Gna­ni sind al­lein fast 200 Wit­wen, die nach dem Tod ih­res Man­nes der He­xe­rei be­zich­tigt wur­den. Im He­xen­dorf Gna­ni kön­nen sie sich frei und si­cher be­we­gen.

Gna­ni ein He­xen­dorf zu nen­nen, wie es üb­lich ist, fin­det der ka­tho­li­sche Pfar­rer der Ge­mein­de „Gu­ter Hir­te“, Da­vid Ka­jal, der gleich­zei­tig Ge­ne­ral­vi­kar der Diöze­se Yen­di ist, nicht mehr zeit­ge­mäß. Da­für sei­en die meis­ten Flücht­lin­ge schon zu gut in­te­griert im Dorf. Zu­dem sei­en sie ja gar kei­ne He­xen, sagt Ka­jal, be­vor er uns ins Dorf schickt. Dort hat er uns beim „Chie­f“, dem Dorf­vor­ste­her an­ge­kün­digt. Für ei­nen Rund­gang durch den Ort be­darf es der Zu­stim­mung von Shei Al­has­san, 48, der auch ei­ne Art tra­di­tio­nel­ler Pries­ter, Tin­da­na, ist. So kom­men wir zu der Eh­re, mit ihm ei­ni­ge Wor­te sp­re­chen zu dür­fen. Der Chief ist uns wohl­ge­son­nen und er­laubt uns, sein Dorf zu be­su­chen. Gna­ni ist ei­nes von fünf so­ge­nann­ten He­xen­dör­fern („witch camps“) in der Re­gi­on. Die Zahl lässt ah­nen, wie stark ver­b­rei­tet der He­xen­glau­be hier tat­säch­lich noch ist. Mehr über den He­xen­glau­ben wer­den wir in der No­vem­ber-De­zem­ber-Aus­ga­be von Kon­ti­nen­te be­rich­ten.

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