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Unterwegs in ... Nordostindien und Nepal
kontinente-Chefredakteurin Beatrix Gramlich ist gemeinsam mit Fotografin Bettina Flitner zwei Wochen in
Indien und Nepal unterwegs. Hier berichtet sie von ihren Erlebnissen während der Reise.
Text: Beatrix Gramlich; Fotos: Bettina Flitner
Hügellandschaft in Mizoram |
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Tag 1
Angekommen in Mizoram
14 Stunden über den Wolken, dann spuckt uns der Flieger aus in einer anderen Welt. Wir landen in Mizoram in Nordostindien – eine Bergregion, in der sich Hügel wie Drachenzähne aneinanderreihen. An den Hängen wachsen Bananenstauden und Teak-Bäume, Holzhäuser thronen auf schwindelerregenden Stelzen über dem Abgrund. Mizoram ist ein Land der Superlative: die bergigste und mit 99 Prozent seiner zehn Millionen Einwohner die christlichste Region in ganz Indien. Über die Grenze zu Myanmar sind seit dem Militärputsch im Februar 2021 eine Million Flüchtlinge hierher gekommen. Anders als die Zentralregierung in Delhi heißt Mizoram sie willkommen. Denn hier leben dieselben Völker wie in Myanmar. Diese Flüchtlinge wollen wir treffen – in einem Lager in Zokhawthar, wo Ordensschwestern sich um sie kümmern. |
Während einer abenteuerlichen Autofahrt |
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Tag 2
Unterwegs mit Geduld und Gottvertrauen
Morgens um sechs brechen wir auf. Von Aizawl, der Hauptstadt von Mizoram geht es zu den Missionary Sisters of Mary Help of Christians: sieben Stunden Fahrt für knapp 200 Kilometer, auf Berg- und Passstraßen, oft zu eng zum Überholen. Sammeltaxis und in die Jahre gekommene, grellbunt bemalte Lkw kriechen die Serpentinen hinauf. Wo es an Verkehrssicherheit fehlt, fahren sie mit Gottvertrauen, Rosenkranz und Heiligenfiguren auf der Kühlerhaube. Wir haben Glück, und kein Erdrutsch blockiert die Straße. Dafür ist die Straße an manchen Stellen vorübergehend wegen Bauarbeiten gesperrt, und wir müssen warten. Am frühen Nachmittag erreichen wir Champhai. Nach einer Mittagsrast im Schwesternkonvent geht es weiter ins Flüchtlingscamp. |
Ein Mädchen im Flüchtlingslager |
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Tag 3
Plötzlich in Myanmar
Der Spielplatz von Zokhawthar ist seit zwei Jahren ein Flüchtlingslager. Knapp 500 Menschen leben hier in Hütten, notdürftig zusammengezimmert aus Baumstämmen und Plastikplanen. Sie haben erlebt, wie ihre Dörfer bombardiert und Zivilisten erschossen wurden; sie mussten um ihr Leben fürchten, nur weil sie sich für Demokratie engagieren. Ihre Heimat liegt einen Steinwurf entfernt, auf der anderen Seite des Flusses Tiau. Inmitten von Händlern und Passanten überqueren die Schwestern am Nachmittag mit uns die stählerne Brücke darüber. Plötzlich stehen wir in Myanmar – ohne jede Kontrolle und ohne Visum. Der Gemeindepfarrer wartet schon. Er fährt mit uns zum nahegelegenen, herzförmigen Rih-See: ein Heiligtum für die Volksgruppen beidseits der Grenze. Doch der Ausflug ist unheimlich. Wir fahren durch Geisterstraßen, in denen niemand mehr wohnt und noch Weihnachts- und Happy New Year-Girlanden vor den Fenstern wehen. Und für den Militärposten auf dem Hügel sind wir ein gut sichtbares Ziel. |
Big Ben mit Palmen in Kalkutta |
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Tag 4 und 5
Verkehrs-Chaos unter Palmen
Auf dem Weg nach Nepal verbringen wir eine Nacht in Kalkutta. Als wir uns dem Flughafen nähern, grüßt plötzlich ein Big Ben-Turm. Die Missionary Sisters of Mary Help of Christians kümmern sich in der Millionenstadt um Straßenkinder.
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Verkehr im nächtlichen Kalkutta |
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Abends marschieren wir mit den Ordensfrauen und 30 Mädchen strammen Schrittes quer durch die Stadt zum Gottesdienst. Die Messe dauert drei Stunden, was offenbar niemanden abschreckt. Und das, obwohl nur drei der 30 Mädchen katholisch sind. Als wir nach Hause gehen, ist es schon Nacht. Der Verkehr ist ungebrochen, chaotisch, laut. Pkw, Lastwagen, Rikschas, Radfahrer und Fußgänger kämpfen um jeden Meter. „Blow the horn!“, steht auf vielen klapprigen Gefährten. Eine reichlich überflüssige Aufforderung. Es fahren sowie alle mit der Hand an der Hupe. |
Hindu-Denkmal auf dem Dubur Square |
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Tag 6
Tour über den Palastplatz in Kathmandu
Am Mittag landen wir in Kathmandu. Die nepalesische Hauptstadt hüllt sich in eine Dunstglocke. Keine Chance, die im Reiseführer angepriesene grandiose Himalaya-Kulisse zu sehen. Dafür entschädigt ein Gang in die Altstadt: Im Herzen von Kathmandu liegt der riesige Palastplatz, der Durbur Square: genau genommen eine Ansammlung von mehr als 40 größeren und kleineren Plätze voller Hindu-Schreine, -Tempel und Denkmäler. Mittendrin der alte Königspalast aus dem 16. Jahrhundert, in dem Nepals Herrscher bis 1908 residierten. Erst 2008 wurde das hinduistische Königreich zur Demokratie. |
Im Gespräch mit einer Frau im Flüchtlingslager |
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Tag 7
Im Flüchtlings-Camp Damak
Bhutan, ein winziges Königreich im Himalaya, hat das Bruttonationalglück in seiner Verfassung verankert. Doch das Glück gilt nicht für alle. Schon gar nicht für die Menschen, die der Herrscher Anfang der 1990er-Jahre mit Gewalt vertreiben ließ. 100 000 Frauen, Männer und Kinder nepalesischer Abstammung mussten damals das Land verlassen – weil sie angeblich Illegale waren und das Land überfremdeten. Tatsächlich hatten sie gegen den Herrscher aufbegehrt, der nun um seine Macht fürchtete. Auch Nepal will die Flüchtlinge nicht und pfercht sie in Camps. 30 Jahre später haben die USA, Kanada, Australien, die Niederlande, Dänemark, Norwegen und andere Länder zehntausende dieser Flüchtlinge aufgenommen. Doch mehr als 6000 leben immer noch in Lagern – staatenlos und ohne bürgerliche Rechte – wie in Damak im Südosten Nepals. |
Dhauli Devi ist nach vier Jahren als Arbeitsmigrantin wieder zurück in ihrem Dorf. |
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Tag 8
Zerplatzte Träume
Dhauli Devi Coach dachte, sie sollte in Kuwait arbeiten. Zwei Jahre wollte sie bleiben und Geld verdienen – für ein besseres Leben daheim in Nepal, vielleicht ein kleines Haus. Dann landete sie in Saudi Arabien. Die Arbeitsagentur hatte sie einfach weitervermittelt. Zwei Jahre schuftete die Mutter von Söhnen in einem Haushalt – vom Morgengrauen bis tief in die Nacht. Sie sah nichts von ihrer Umgebung und keinen Cent Lohn. Die 350 Euro, die sie am Ende bekam, kassierte der Jobvermittler. Danach wollte Dhauli Devi nur noch nach Hause. Aber ihr Arbeitsagent zwang sie, nach Kuwait zu gehen. Hier wurde es noch schlimmer. Vier Jahre später ist sie 42 und zurück in ihrem Dorf: eine von vielen nepalesischen Arbeitsmigranten, die mit falschen Versprechungen ins Ausland gelockt werden und mit zerplatzten Träumen heimkehren. |
Auf der Straße warnen Schilder:„Vorsicht, Elefanten kreuzen!“ |
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Tag 9
Aalglatte Agenten
Wir beobachten, wie ein ständiger Strom von Waren und Menschen im Südosten Nepals die Brücke über den Mechi nach Indien überquert. In der Grenzstadt Kakarbhitta bieten mehr als 70 Agenturen die Arbeitsvermittlung ins Ausland an – allem voran in die Golfstaaten. Ein Agent ist bereit, mit uns zu sprechen: ein aalglatter junger Mann, der versucht, sich mit Plastikbrille ein seriöses Aussehen zu verleihen, und beteuert, welch wertvolle Arbeit für die Bedürftigen sein Unternehmen leiste.
Es dämmert schon, als wir zu den „Daughters of the Cross“ in Maheshpur weiterfahren.
Rechts und links der Straße erstreckt sich schier endlos der Staatsforst. Immer wieder warnen Schilder: „Vorsicht, Elefanten kreuzen!“
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In Maheshpur bei 40 Grad |
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Tag 10
Zum Glück gibt's Wäscheleinen
Im Südosten in Maheshpur kühlt es auch nachts kaum noch ab. Im Morgengrauen jagt eine Horde Affen über die Mauer um den Klostergarten und hält sich an den Bananenbäumen schadlos. Tagsüber klettern die Temperaturen auf 40 Grad. Aber zum Glück gibt es bei den Schwestern immer eine Wäscheleine! |
Schwestern und Patienten in der Freiluft-Krankenstation |
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Tag 11
Klinik unter Bäumen
Am Vormittag brechen wir mit Schwester Bindu, Schwester Rita und ihrer mobilen Klinik auf. Beide sind Krankenschwestern. Im Umkreis von 90 Kilometern fahren sie an jedem Wochentag mit ihrem Jeep in die Dörfer und eröffnen dort unter Wellblechdächern und Bäumen ihre Gesundheitsstation: ein Klapptisch, Klappstühle, ein Karton mit Krankenakten, einer voller Arzneimittel.
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Lange Reise, kleine Verschnaufpause: während unseres Heckklappen-Picknicks
Fahrer Rubin Kamala nimmt die Patientendaten auf, die Ordensfrauen messen Blutdruck, stellen die Diagnose und verordnen Medikamente. Krankenschwester Manita Sita Ramchandra gibt sie aus und schreibt mit Edding die Dosierung auf Tablettenfolien und Fläschchen. Bis zum Abend hat das Team drei Stationen besucht und knapp 60 Patienten behandelt. Und wir hatten ein romantisches Picknick auf der Heckklappe.
Shila Uram pflückt Tee seit sie acht ist. |
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Tag 12
Bitterer Tee
Kniehohe Sträucher voll sattgrüner Blätter, beschattet von schlanken, hohen Bäumen: Bis zum Horizont erstrecken sich die Teeplantagen, die gleich hinter dem Garten der Schwestern beginnen. Doch die Idylle trügt. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Teepflücker sind erbärmlich. Für die kontinente-Rubrik „Mein Land, mein Leben, meine Liebe“ interviewen wir Shila Uram, 45. Sie ist nie zur Schule gegangen. Seit sie acht Jahre alt ist, pflückt sie Tee. Pro Tag muss sie mindestens 30 Kilo schaffen. Ihr Lohn für die Knochenarbeit: sieben Euro. |
Bei unserer Fahrt durch die milchige Landschaft |
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Tag 13
Der Kühler kocht
In zwei Tagen fliegen wir von Kathmandu zurück nach Deutschland. Wir haben beschlossen, die 450 Kilometer bis zur Hauptstadt mit dem Auto zurückzulegen, in der Hoffnung, endlich Nepals atemberaubende Berge zu sehen. Keine gute Entscheidung, wie sich herausstellt. Wir sind kaum hundert Kilometer gefahren und kriechen gerade mitten im Nirgendwo eine Passstraße hinauf, als am Armaturenbrett eine Warnlampe aufleuchtet. „Achtung! Der Motor läuft heiß!“ schallt eine Computeransage durch den Innenraum. Das Kühlwasser kocht und ist auf gefährlich niedrigem Stand. Glücklicherweise haben wir genügend Trinkwasser dabei und können nachfüllen. Das wiederholen wir von nun an in schöner Regelmäßigkeit. Statt der angekündigten zehn Stunden, dauert die Fahrt fast 14. Die Berge sehen wir wieder nicht. Die Landschaft verschwindet unter einer dichten, milchigen Dunstglocke, genährt durch Brandrodung auf den Feldern. |
Keine falschen Versprechungen mehr:
Die Mädchen sind sicher im „Safe House“. |
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Tag 14
Sicher vor Freiern
Im „Safe House“ der Schwestern vom Guten Hirten in Kathmandu sind sie endlich sicher: Mädchen, die aus ihrem Dorf in die Hauptstadt kamen, um in Tanzbars oder sogenannten „Cabin Restaurants“ zu arbeiten – Lokale, mit kleinen Séparés, in denen sie mit den männlichen Gästen essen sollen. Die jungen Frauen hatten keine Ahnung, was sie danach erwartet. Die Arbeitsvermittler hatten ihnen einen Job als Kellnerin versprochen. |
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Tag 15
Menschenhandel an Bord
Die meisten Passagiere sind an Bord. Gleich beginnt unsere Heimreise von Kathmandu über Dubai nach Düsseldorf. Ich freue mich schon über eine freie Sitzreihe, als in letzter Minute fünf junge Nepalesinnen ins Flugzeug drängen. Mit Mühe bekommen sie ihr voluminöses Handgepäck noch verstaut, dann sinken sie in die Sitze. Einige fangen an zu weinen. Sie fliegen nach Russland, um dort zu arbeiten – in einer Eiscremefabrik oder Wäscherei: junge Frauen zwischen 21 und 31, die kaum Englisch sprechen und ihr Dorf wahrscheinlich noch nie verlassen haben. Jetzt schicken ihre Eltern sie in die Fremde, um Geld zu verdienen. Alle halten sie die gleiche Mappe mit Papieren der Vermittlungsagentur in der Hand. Ich schreibe die Telefonnummer der Caritas auf eine Brechtüte und dass sie dort anrufen können, wenn sie Hilfe brauchen. Das Thema Menschenhandel ist auf einmal ganz nah. |
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Der Film erzählt von Schwester Marie Catherine im Niger, die zur Versöhnung von Muslimen und Christen im ärmsten Land der Welt beiträgt. |
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