Motor der GemeindeDer Job frisst Stunden. Viel Zeit für sich bleibt ihr nicht. Aber mit Sanftmutund Leidenschaft bringt Margaret John Kiria als alleinerziehende Mutter Familie und Berufung unter einen Hut. |
Text: Franz Jussen; Fotos: Fritz Stark
Es ist noch dunkel an der Küste Tansanias. In Bagamoyo hat Margaret John Kiria (40) ihre Töchter Cäcilia (15) und Claudia (12) früh geweckt und den Blutdruck der Mutter gewissenhaft kontrolliert. Noch bevor der erste Sonnenstrahl den Horizont über dem Indischen Ozean erhellt, macht sich Margaret auf - wie immer mit ihrer grellgrünen Handtasche in der Armbeuge. Sie genießt den viertelstündigen Fußweg von ihrem kleinen Lehmhaus zum Gemeindezentrum der Pfarrei "Erscheinung des Herrn". Die wenigen Minuten der Stille vor Sonnenaufgang sind meist die einzigen des Tages, die sie ganz für sich allein hat.
In den Schlafsälen des Internats, das zum Gemeindezentrum gehört, schlummern 250 Grundschüler in ihren Kissen. Margaret muss ihren Träumen mit einem liebevollen, aber kräftigen "Guten Morgen! Heute wird ein schöner Tag!" ein Ende setzen. Es braucht seine Zeit, bis alle aufgestanden, gewaschen und in ihre Schuluniform geschlüpft sind. Die nutzt Margaret, um kiloweise Porridge, leicht gesüßten Haferbrei, für die Kinderschar vorzubereiten. In bunten Plastikbechern, mit denen sie den Brei aus dem Eimer schöpft, überreicht sie den eintrudelnden Mädchen und Jungen das Frühstück. Ein kurzer Blick bei jedem Kind reicht, um sich zu vergewissern, ob Morgenwäsche und Gaderobe gelungen sind. Ein kleiner Fingerzeig, um auch die noch etwas Verschlafenen daran zu erinnern, sich in Reih und Glied einzuordnen. Mit jedem Becher Brei, der geleert wird, steigt der Lärmpegel im Speisesaal hörbar an. Ein kurzes, kräftiges Händeklatschen Margarets schafft schlagartig absolute Ruhe. Große Worte braucht Margaret nicht, kleine Gesten reichen. Das Ritual ist den Kindern vertraut: Nach einigen Sekunden innerer Sammlung sprechen sie gemeinsam das Morgengebet - und gehen in die Schule.
Terminplanung einer Katechistin
Von der Rasselbande ist Margaret aber nur für kurze Zeit befreit. Den katholischen Grundschülern wird sie heute Vormittag noch Katechismus-Unterricht erteilen. Doch vorher trifft sie sich im Pfarrbüro mit Pater Francis Kimaro, 39, einem von drei Spiritanerpatres der Missionsgesellschaft vom Heiligen Geist, die in der weitläufigen Gemeinde von Bagamoyo die Seelsorger stellen. Mit ihm bespricht sie den Tagesplan. Pater Francis bittet sie, nach Kiromo, einer von zehn Außenstationen der Pfarrei zu fahren, um mit den zwei jungen, aber noch unerfahrenen Katechisten der kleinen St.-Teresa-Kirche den Wortgottesdienst für den kommenden Sonntag durchzugehen.
Katechese auf dem Schulhof
Margaret kommt die Bitte gelegen, denn sie wollte ohnehin in den nahen Stadtteil Sanzale fahren, um nach dem Rechten bei der Alten-Wohngemeinschaft zu sehen. Für den Abend lädt der Spiritanerpater die Katechistin zum Gottesdienst mit einer neu gegründeten Kleinen Christlichen Gemeinschaft ein. Anlass ist eine Hauseinweihung und die Verlobung eines jungen Paares.
Als sie das Pfarrbüro verlässt, tobt sich auf dem Schulhof eine Klasse beim Fußballspiel aus. Nahtlos geht der Sportunterricht in Glaubensunterweisung über. Die Kinder, die keine Ausdauer oder Lust mehr haben, sammeln sich am Rande des Spielfelds unter einem Schatten spendenden Baum um Margaret. Die Pause bis zum regulären Start der Katechismus-Stunde überbrücken alle gemeinsam mit dem Rosenkranzgebet. Das kleine Handbuch mit den Gebetstexten in Kisuaheli, der Sprache Ostafrikas, brauchen die meisten Kinder dazu gar nicht mehr. Sie kennen die Texte auswendig, denn Margaret betet oft mit ihnen. Weil viele der Kinder am Sonntag nach Ostern zur Erstkommunion gehen werden, bereitet Margaret sie seit Monaten auf diesen besonderen Tag im kommenden April vor, an dem sie erstmals eine geweihte Hostie in der Pfarrkirche in Empfang nehmen dürfen.
Eine Stunde später schaut die Katechistin auf dem Weg zur Busstation noch einmal kurz zu Hause vorbei. Ihre Mutter ist krank. Ständige Kreislaufprobleme. Deswegen hat sie die betagte Dame vor einigen Monaten zu sich geholt, obwohl der Platz in dem kleinen Häuschen der Familie für eine vierte Bewohnerin kaum ausreicht. Die zwei winzigen, provisorisch abgetrennten Zimmerchen rechts und links des Wohnzimmers sind seither doppelt belegt: Eines für Margaret und ihre Mutter, eines für die beiden Töchter. Nachts und ab dem frühen Nachmittag, wenn die Töchter aus der Schule kommen, ist die Betreuung der Mutter gewährleistet, aber die Vormittage durchlebt Margaret voller Sorge um sie.
Abstecher zur der Alten-WG
Einmal wöchentlich schaut Margaret bei den Seniorinnen in Sanzale nach dem Rechten. 20 Minuten mit dem Bus und ebenso lange zu Fuß dauert die Strecke in den südöstlichen Stadtteil Bagamoyos. Sieben katholische Damen im Alter zwischen 66 und 98 Jahren leben hier in einer Art Alten-Wohngemeinschaft. Margaret ist ihr Kontakt in die Außenwelt. Und verständnisvolle Ansprechpartnerin für alle Lebens- und Glaubensfragen. „Einsamkeit macht krank. Jeder Mensch braucht Kontakte“, erklärt die Katechistin. „Wer kümmert sich denn um diese Frauen, wenn nicht die Gemeinde?“, fragt Margaret rhetorisch. Sie beklagt damit indirekt den Umstand, dass die Kinder der Seniorinnen entweder weit entfernt leben oder wenig Zeit für ihre Mütter haben. So hat sie sich kurzerhand entschlossen, die Betreuung der Alten-WG zu übernehmen. Sie besorgt Medikamente oder organisiert Arztbesuche in Notfällen. Vor allem aber nimmt sie sich Zeit für Gespräche und Gebete. Das lieben die alten Damen besonders an der Katechistin, die immer gute Laune, viel Verständnis für ihre Alltagssorgen und eine unermüdliche Energie mitbringt.
Kranken und Sterbenden beistehen
Ein altes Ehepaar in der Nachbarschaft ist nach dem plötzlichen Aids-Tod ihrer Tochter mit der neuen Situation überfordert, berichtet ihr eine der Seniorinnen. Zwei kleine Kinder hat die Verstorbene hinterlassen. Die Erziehung der beiden Enkeltöchter stellt die Großeltern vor eine schier unlösbare Aufgabe. Margaret macht sich umgehend auf den Weg in die Siedlung der schicksalsgeplagten Familie, um zu trösten und Mut zu machen. Dass es sich um eine moslemische Familie handelt, stört weder die Hilfebedürftigen noch die Helferin. Sie steht Alten, Kranken und Sterbenden bei, ganz gleich, welcher Religion sie angehören. Das hat ihr großen Respekt auch unter der mehrheitlich islamischen Bevölkerung der Stadt eingebracht. Für das alte Ehepaar kann sie heute wenig tun. Aber sie verspricht, mit den Spiritanerpatres zu reden. Vielleicht lassen sich für die beiden Mädchen zwei Plätze im Internat für das nächste Schuljahr organisieren.
In der erst halbfertigen St.-Teresa-Kirche in Kiromo warten die beiden jungen Katechisten bereits auf Margaret. Pater Francis hatte ihr Kommen per Handy angekündigt. Eine Gruppe von zwölf weiteren Anwohnern hat sich spontan dazu gesellt. Sie hoffen darauf, dass Margaret mit ihnen eine kleine Katechese hält – und werden nicht enttäuscht. Margaret ist eine erfahrene Katechistin. Sie benötigt in solchen Fällen keine Vorbereitung, zückt ihr kleines Handbuch aus ihrer grellgrünen Handtasche, um dann doch ihren Zuhörern frei heraus zu erklären, dass christliche Eltern ihren Kindern ein gutes Vorbild und deren erste Glaubensboten sein sollten. Nach einer halben Stunde löst sich die kleine Gemeinde zufrieden auf. Den Gottesdienst, den die beiden örtlichen Katechisten für den Sonntag vorbereitet haben, lobt Margaret. Ein „gut gemacht“ aus ihrem Munde kommt einer Seligsprechung nahe. Nicht ohne ihre jungen Kollegen zu ermutigen, so engagiert wie bisher weiterzumachen, tritt sie den Heimweg an.
Töchter erleichtern den Alltag
Ihre Töchter Claudia und Cäcilia haben das Essen längst vorbereitet. Sie sind daran gewöhnt, dass ihre Mutter erst am späten Nachmittag von ihren Besuchen in den Außenstationen der Pfarrei zurückkehrt, manchmal sogar erst nach Sonnenuntergang. Ugali haben die Mädchen auf der Feuerstelle vor dem Haus gekocht, den in Ostafrika typischen Getreidebrei aus Maismehl und Wasser, der zu einem festen Kloß geformt wird. Dazu gibt es braune Bohnen in Soße, die dem Essen seinen Geschmack verleihen. Margaret ist stolz auf ihre selbstständigen Töchter. Sie träumt davon, dass wenigstens eine von ihnen einmal wird studieren können. Aber sie weiß noch nicht, wie sie das mit ihrem Kleinstgehalt als Katechistin bezahlen soll.
Das Mittagessen nutzt die vierköpfige Familie, Neuigkeiten aus Alltag und Schule auszutauschen. Das Familienmanagement ist für Margaret leichter geworden, seit sie ihre Töchter für mehrere Stunden am Tag aus den Augen lassen kann. Das gilt auch für den Abend. Bevor Margaret zur Hauseinweihung in der Nachbarschaft geht, hat sie noch etwas Zeit, im Gemeindezentrum zu berichten, was sie in Kiromo und Sanzale erfahren hat. Vor der Pfarrkirche trifft sie Pater Valentine Bayo (56), den verantwortlichen Pfarrer der Gemeinde, der in ihrem Leben eine ganz besondere Rolle spielt. Bayo, wie ihn alle nur nennen, gilt als der Geistliche, dem die katholische Kirche in Bagamoyo quasi ihre Existenz zu verdanken hat. Als Anfang der 90-er-Jahre die Küstenstadt mit ihren rund 30.000 Einwohnern, darunter wenige tausend Katholiken, plötzlich ohne Priester da stand, erklärte sich der Bayo bereit, einen Neuanfang zu wagen. Er wollte nicht tatenlos zusehen, wie der Ort, der in der Geschichte der Kirche Ostafrikas und seiner Ordensgemeinschaft eine bedeutende Rolle spielt, einfach in Vergessenheit gerät. Schließlich waren es Spiritaner, die vor 150 Jahren in Bagamoyo die erste katholische Missionsstation Ostafrikas errichteten und seither hier die Seelsorger stellten. Eine ihrer ersten Taten war es 1868, ein christliches Dorf für freigekaufte Sklaven zu gründen. Die Spiritaner verbreiteten von hier aus den christlichen Glauben auf dem ostafrikanischen Festland, bauten Kirchen, Schulen und Gesundheitszentren. Und sie bildeten Katechisten aus. Die Kandidaten dafür fanden sie unter den freigekauften Sklaven.
Lebenskünstlerin und Familienmutter
An diese spiritanische Tradition der Katechistenausbildung mag Bayo gedacht haben, als er gleich im ersten Jahr seines Einsatzes in Bagamoyo Margaret kennenlernte. Sie war damals gerade erst aus ihrer Heimat am Fuße des Kilimanjaros nach Bagamoyo gezogen, um eine Stelle als Kindergärtnerin anzutreten. Als engagierte Katholikin brachte sie auch eine gute Grundausbildung als Katechistin mit, die sie im kirchlichen Ausbildungszentrum von Moshi erfahren hatte. Bayo erkannte früh die Fähigkeiten der jungen Frau. Wenige Jahre später konnte er sie überzeugen, sich ganz in den Dienst der Gemeinde zu stellen. Was ihr als Katechistin noch fehlte, brachte ihr Bayo über Jahre nebenher selbst bei. „Sie ist meine rechte Hand und das Rückgrat der Pfarrei“, schwärmt Bayo heute. „Ohne Menschen wie sie könnten wir das Gemeindeleben nicht aufrecht erhalten.“ Margarets Stärken sind nach Bayos Worten ihr offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Mitmenschen und ihre langjährige Erfahrung als Katechistin: „Sie weiß, wo der Schuh gerade drückt, wo sie helfen kann oder den Pfarrer einschalten muss. Margaret ist meine Brücke zu den Gläubigen.“
Dabei hatte sie es nicht immer leicht. Der Vater ihrer Kinder weigerte sich, sie zu heiraten und ließ sie eines Tages einfach sitzen. Aber auch das konnte die Katechistin nicht davon abhalten, ihre Aufgabe für die Gemeinde gewissenhaft zu erfüllen – unermüdlich, bodenständig und absolut zuverlässig, Tag für Tag seit 20 Jahren. Wohl auch, weil Margaret der wandelnde Beweis für die Vereinbarkeit von Familie und Berufung ist, nennt Bayo die Lebenskünstlerin liebevoll „matron of the parish“, was so viel bedeutet wie „Familienmutter der Pfarrei“. Dass ihr Pfarrer sie derart lobt, erfreut und beschämt die bescheidene Katechistin zugleich. „Ich muss gehen, das Fest beginnt gleich“, schiebt sie eilig einen Grund vor, sich der ihr peinlichen Schwärmerei entziehen zu können. Und schon ist sie wieder mit ihrer grellgrünen Handtasche unterwegs. Diesmal, um zu feiern, was ihr selbst in ihrem bisherigen Leben verwehrt geblieben ist: eine Verlobung.
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Fürsorge: Vormittags kümmert sich Margaret um die rund 250 Schüler des Internates in Bagamoyo. Für sie ist sie während der Woche eine Art Mutterersatz.
Trost: Nach dem Tod der Tochter braucht das alte Ehepaar (rechts) Margarets Hilfe.
Gebet: Der Rosenkranz ist den Kindern in Bagamoyo vertraut.
Etappe: Auf dem Weg in die Außenstationen der Pfarrei legt Margaret täglich viele Kilometer zurück.
Hilfe: Senioren ist Margaret eine große Stütze.
Glaubensunterweisung: In der St.-Teresa-Kirche in Kiromo hält Margaret spontan eine Katechese.
Familienglück: Der Esstisch führt Margaret einmal täglich mit Töchtern und Mutter zusammen.
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