Sr. Nicoletta Spezzati ist Untersekretärin der Ordenskongregation im Vatikan. Foto: Czernin |
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Interview mit Sr. Nicoletta Spezzati
Dem „weiblichen Genius“ mehr Stimme verleihen
Schwester Nicoeletta Spezzati zählt zu den ranghöchsten Frauen im Vatikan. Sie ist „Untersekretärin an der Ordenskongregation“ und gehört somit zur vierköpfigen Führungsriege eines päpstlichen Ministeriums. Derzeit sind ein Fünftel der Papst-Mitarbeiter Frauen.
Schwester Nicoletta Spezzati, wie geht es Ihnen im Vatikan, unter so vielen Männern?
Sr. Nicoletta Spezzati: Es war für mich nie ein Problem, hier im Vatikan unter vielen Männern und Priestern zu arbeiten. Es gibt einen Platz für mich in diesem Umfeld, für mich als Frau und als geweihte Ordensfrau. Ich habe ein freundschaftliches Verhältnis zu den Priestern, einfach und ungezwungen, und ich begegne ihnen mit Wohlwollen. Anstatt sich den Männern entgegenzusetzen, ist es meiner Ansicht nach viel wichtiger, an ihrer Seite zu arbeiten, damit neue Beziehungen entstehen können. Wir Frauen können die Männer mit unseren Augen auf Dinge aufmerksam machen, die sie mit der Logik alleine gar nicht erkennen können. Wir haben ein intuitives Verständnis und sehen hinter dem Papier immer auch die Person.
Existiert also im Vatikan ein komplementäres Verhältnis, ein Verhältnis gegenseitiger Ergänzung zwischen Mann und Frau?
Sr. Nicoletta Spezzati: Ich glaube sehr an diese Ergänzung. Ich kann mir eine rein aus Männern oder rein aus Frauen bestehende Regierung nicht vorstellen. Die Komplementarität gibt es auch im geweihten Leben. Was bezeugen wir? Letztendlich drücken wir durch unser Leben aus, dass es möglich ist, zu lieben und zu dienen, in dieser Haltung der Keuschheit. Das ist die Bedingung für eine gegenseitige Achtung und Freundschaft. Ich hatte nie ein Problem damit, auch wenn mir bewusst ist, dass die Kirche den Frauen noch eine stärkere Stimme verleihen muss. Der heilige Papst Johannes Paul II. hat das schon in seinem Apostolischen Schreiben „Mulieris dignitatem“ ausgedrückt, wo er vom „weiblichen Genius“ spricht. Vielleicht muss sich die Kirche noch ein wenig bekehren, um diesem „weiblichen Genius“ mehr Stimme zu verleihen. Die Frau war über Jahrhunderte in der Kirche zwar präsent, vor allem in den Werken der Nächstenliebe, aber die Kirche war fast ausschließlich von Männern geprägt.
Die Frauen haben oft gelitten und sind nach ihrem Tod heiliggesprochen worden.
Sr. Nicoletta Spezzati: Auch das ist passiert. Aber die Geschichte lehrt uns auch, dass es eigentlich immer Frauen waren, die uns die Kirche nahegebracht haben. Sie haben die Hauskirche geprägt, die Kirche des guten Samariters, die die Armen umarmt und barmherzig ist. Wie viele Frauenorden haben ihre Weiblichkeit unter das Volk Gottes gebracht! In Wahrheit gab es immer eine starke Präsenz der Frauen in der Kirche. Heute brauchen wir vielleicht eine noch stärkere Präsenz der Frau, die ausspricht, was sie denkt und auch Beziehungen nach außen pflegt.
Braucht es nicht auch eine größere Anerkennung der Frauen?
Sr. Nicoletta Spezzati: Ja. Ich habe ein wenig darüber recherchiert: Die ersten Ansprachen von Päpsten über die Würde der Frau gehen auf Pius XII. zurück. Danach sagte Johannes XXIII. in einer Ansprache während des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Die Zeit der Frauen ist gekommen.“ Danach hat Paul VI. und vor allem auch Johannes Paul II. über die Würde der Frau gesprochen. Auch Benedikt XVI. hat einen wunderbaren Brief an die Frauen geschrieben, als er noch Kardinal war. Und natürlich spricht auch Franziskus in „Evangelii Gaudium“ darüber. Es ist nur eine Frage der Zeit. Es sind nur bereits zu viele Jahrhunderte vergangen, wo sich alles abgelagert hat.
Auch in der Gesellschaft hat sich die Rolle der Frau stark gewandelt.
Sr. Nicoletta Spezzati: Ja, deshalb wird auch das 20. Jahrhundert gerne das Jahrhundert der Frauen genannt. Aber ich bin mit dem Feminismus nicht einverstanden. Um gewisse Positionen in der Gesellschaft zu erlangen, werden die Feministinnen dann oft noch aggressiver als Männer, noch missgünstiger, und sie wollen noch mehr Macht. Wir übernehmen so nur die schlechtesten Eigenschaften der Männer. Aber die eigentliche Herausforderung besteht doch darin, weiblich zu bleiben, auch wenn wir die Position bekleiden, die uns aufgrund unserer Ausbildung und Professionalität zusteht.
Wie erleben Sie das „Jahr des geweihten Lebens“?
Sr. Nicoletta Spezzati: Als Papst Franziskus das „Jahr des geweihten Lebens“ verkündet hatte, waren wir sehr erfreut darüber. Die Ordensleute haben es als eine Bestätigung ihrer kirchlichen Identität empfunden. Es ist eine besondere Zeit der Gnade, die als solche von den geweihten Männern und Frauen dankbar angenommen wird. Es ist ein besonderer Kairos, ein günstiger Moment, in dem die Ordensleute die Wiederkunft des Herrn in neuer Weise erwarten. Es fanden bereits viele Veranstaltungen zu dem Thema statt.
Kann man sagen, dass es ein Revival des Ordenslebens gibt?
Sr. Nicoletta Spezzati: Es gibt viele neue Knospen und Triebe in der Kirche. Die jungen Menschen, die heute in einen Orden eintreten, sind sich mehr über den Schritt, den sie tun, bewusst. Sie sind besser ausgebildet und daher auch nicht mehr so jung. Es gibt weniger, die eintreten, aber es gibt sie. Dann gibt es auch neue Formen des geweihten Lebens. Es gibt Gesellschaften des apostolischen Lebens, Säkular-Institute, neue monastische Lebensformen, auch den „Ordo Virginum“, der gerade in den USA ein großes Revival erlebt. Ich glaube, es wird immer Männer und Frauen geben, die dem Herrn nachfolgen wollen, in der Form eines Lebens nach den evangelischen Räten. Wir brauchen dafür heute weniger Strukturen, als vielmehr spirituellere Formen des Zusammenlebens.
Wie beurteilen Sie die Krise des Ordenslebens nach dem Konzil?
Sr. Nicoletta Spezzati: Natürlich gab es auch eine Krise, weil im Prozess der Erneuerung Dinge angerührt wurden, die früher als unverrückbar galten. Klar war das für viele auch ein Moment der Verunsicherung. Aber es wurde vieles vereinfacht. Zumindest die großen Orden, die starke Wurzeln haben, konnten diesen Erneuerungsprozess gut überstehen. Heute wollen hingegen manche neue Orden vor das Konzil zurückkehren, sie haben fundamentalistische Tendenzen. Aber das ist nicht möglich, und Papst Franziskus möchte das nicht.
Ist das nicht auch eine Antwort auf die Krise?
Sr. Nicoletta Spezzati: Ja, sie wollen in die sicheren Bahnen von früher zurückkehren. Viele junge Menschen, die in ein Kloster oder Ordensleben eintreten, suchen eine Sicherheit, die sie oft in ihren eigenen Familien nicht mehr finden. Sie wollen vom Ordensinstitut gestärkt werden, nicht durch ihre eigene Persönlichkeit. Das ist eine Gefahr. Wer hingegen in einen Orden eintritt, der bereits einen geschichtlichen Prozess hinter sich hat und zwischen den wichtigen und weniger essentiellen Dingen unterscheiden kann, der erfährt, dass das einzig Wichtige das Evangelium Jesu Christi ist. Diese Orden sind viel offener, sie lassen der Person mehr Freiheit, selbst Entscheidungen zu treffen.
Welche Herausforderung ist es für die Orden, an die „Ränder der Welt“ zu gehen?
Sr. Nicoletta Spezzati: In einen Orden treten Menschen aus der ganzen Welt, aus den verschiedensten kulturellen Hintergründen ein. Die Gemeinschaften sind international und interkulturell geprägt. Das führt auch zu großen Spannungen, zum Beispiel zwischen der afrikanischen und der europäischen Kultur. Wir müssen unsere eigene Kultur von der Kultur des Evangeliums beurteilen lassen. Welche Grenzen hat die europäische Kultur im Vergleich zur Kultur des Evangeliums? Welche Grenzen kennt die afrikanische Kultur? Die negativen Tendenzen einer jeweiligen Kultur müssen gereinigt werden, nicht aber indem man versucht, alles gleich zu machen oder, dass die eine Kultur die Kultur des anderen übertrumpfen möchte. Man muss seine eigene Kultur schätzen, um die Kultur des anderen aufnehmen zu können. Wir müssen in einen Dialog mit den anderen treten, um die Schönheit der anderen Kultur erkennen zu können. Wir erhalten auch von dieser Kultur viel Gutes.
Das Interview führte Marie Czernin, Redakteurin von missio Österreich. |