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Interview mit Obiora Ike
„Wenn es in Afrika brennt,
brennt es auch in Europa!“
Msgr. Professor Obiora Ike, ehemaliger Generalvikar des Bistums Enugu in Nigeria, sprach mit Kontinenteredakteur Pater Samuel Mgbecheta CSSp über die Hintergründe von Boko Haram, die Zukunft Nigerias und die weltweiten Auswirkungen der Unruhen. Lesen Sie hier das Interview in ungekürzter Form.
Boko Haram hat sich zur Entführung von rund 275 Mädchen aus einer staatlichen Oberschule in Chibok im nigerianschen Bundesstaat Borno in der Nacht vom 14. April 2014 bekannt. Was halten Sie von diesen Gräueltaten?
Überall auf der Welt, wo Menschen gekidnappt werden, betrachte ich das als eine kriminelle Tat. Darüber hinaus ist uns allen der Schutz von Jugendlichen so wichtig. Um dieses traurige Ereignis aufzuklären, bemüht sich die nigerianische Regierung daher herauszufinden, ob diese Mädchen tatsächlich verschleppt worden sind. Denn zum Zeitpunkt der Entführung, sollten alle Schulen im Bundesstaat Borno eigentlich geschlossen sein. Wer hat die Schule aufgemacht? Wie kommt es, dass die drei Kinder der Schuldirektorin, die ebenfalls in dieser Schule sind, nicht verschleppt worden sind? Wo waren ihre Kinder? Wo waren die Soldaten zu dieser Zeit? Wie konnte das Ereignis von Chibok geschehen, in einem Ort der überwiegend christlich ist? Und wie kommt es dazu, dass unsere Soldaten die Mädchen nicht finden konnten? Das sind die Fragen, die gestellt werden müssen.
„Boko Haram“ bedeutet sinngemäß „westliche Erziehung ist Sünde“. Wie kann man ihre Angriffe erklären? Was wollen sie durch ihre Überfälle erreichen?
Boko Haram ist kein Freund von irgendjemandem und attackiert jeden als Feind. Islam bedeutet in arabischer Sprache soviel wie Erlangung von Frieden durch Unterwerfung unter Allah. Aber Anhänger von Boko Haram bringen auch Muslime um und brennen Moscheen nieder. Deshalb lehnen anständige Muslime in Nigeria Boko Haram ab. Sie ist keine islamistische oder religiöse Bewegung, sondern eine rein terroristische Gruppe. Sie sind Terroristen so wie Al-Qaida oder Al-Shabaab Terroristen sind. Sie lehnen die westliche Erziehung ab, die Modernität, Entwicklung, Fortschritt, Offenheit zur Globalisierung und Technologie bringt. Wollen die Anhänger vom Boko Haram in das Steinzeitalter zurückkehren? Der Gründer dieser Bewegung ist Ustaz Mohammed Yusuf. Er selbst hat die Universität besucht und war sogar Minister in der Regierung des nigerianischen Bundesstaat Borno in Maidugri. Später kämpfte er gegen diese Regierung und holte dazu junge Leute in seiner Moschee zusammen. Da hat er sie mit der ihm eigenen Methode der Predigt infiziert und jetzt sind sie außer Kontrolle und unlenkbar. Denn über viele Jahre hinweg wurden sie - wie ich sagen möchte - mit Unsinn gefüttert und sie glauben, dass westliche Erziehung Sünde ist. Das kommt der Umwertung aller Werte gleich.
Angesichts der Tatsache, dass Nigeria ein Land mit 160 Millionen Einwohnern und mehr als 400 Volksgruppen ist; was müsste geschehen, damit das Zusammenleben zwischen den Menschen unterschiedlicher Religionen, Kulturen und Weltanschauungen gefördert wird?
Nigeria ist eine multireligiöse Gesellschaft. Das Zusammenleben von Christen und Muslimen in diesem Land ist beispielhaft. Überall sieht man Familien, in denen zum Beispiel der Vater Muslim ist und die Mutter eine Christin ist, oder ein Bruder ist Anhänger der Naturreligion während eine Schwester anderer Religion angehört. Alle haben denselben Familiennamen und wohnen in derselben Wohnung zusammen. Religion trennt sie nicht voneinander. Kurzum: in Nigeria ist das Zusammenleben eine gelebte Realität. Aber das Problem, das sich seit 30 Jahren stellt, ist dass einige Länder ihr Interesse durchsetzen wollen, Nigeria zu einem islamischen Land zu machen. Diese Lobbyisten und Interessenvertreter kamen zum Teil aus Saudi Arabien, aber unter dem verstorbenen Revolutionsführer (und Präsidenten) Muammar Gaddafi, der mit viel Geld und Gewalt viele Menschen indoktriniert hat, auch aus Libyen. Auch der Iran hat viele nigerianische Jugendliche aufgenommen und sie in der schiitisch-islamischen Glaubensausrichtung ausgebildet. Dazu kommen auch die radikale Islamisten aus Mali, Niger und der ganzen Sahelregion. Hier sehen wir Menschen, die Interesse haben, Anhänger in Nigeria zu gewinnen. Auch, einige Politiker wollen in bestimmten Bundesstaaten die Scharia einführen. Sie wollen eine islamische Justiz haben. Sie wollen eine islamische Bank haben. Damit stören sie den Frieden im Land. Die Herausforderung ist die Instrumentalisierung der Religion durch mächtige Menschen.
Wäre - in Anbetracht der Spannungen in Nordnigeria - die Teilung des Landes wie im Südsudan oder in der Ukraine nicht eine bessere Lösung?
Wo hört der Norden auf? Und wo beginnt Süd? Nigeria ist eine durch und durch pluralistische Gesellschaft. Im Bundesstaat Borno gibt es eine große Anzahl Menschen, die Muslime sind. Aber ebenso gibt es da auch Menschen, die Christen sind. Im Süden des Landes leben sowohl Christen als auch Anhänger der Naturreligionen. Der Bundesstaat Jos gehört wie auch der Bundesstaat Kaduna zu Nordnigeria. Aber der Anteil der Christen in Kaduna liegt bei 70 Prozent, während der Anteil der Christen in Jos bei 60 Prozent liegt. Wenn die Lösung der jetzigen Auseinandersetzung in Nigeria in der Teilung des Landes bestehen sollte - was würde man mit den Christen in Jos und Kaduna machen? Sie in den Süden schicken? Und die Muslime im Süden – sollen wir sie alle in den Norden schicken? So einfach geht das nicht! Die Muslime in Jos wollen ein Emirat haben und unter einer Schariaregierung leben, und das innerhalb eines größeren Bundesstaat Plateau. Aber das ist nicht möglich. Die nigerianische Verfassung erlaubt so etwas nicht. Das ist das Problem in Jos. In Kaduna gibt es ganz andere Probleme. Hier geht es um Ungerechtigkeiten. Einfache Völker wurden über viele Jahre unterdrückt und haben keinen Zugang zur Macht. Kurzum - die Probleme in Nigeria sind völlig andere als die in Südsudan, wo Muslime überwiegend im Norden und Christen zumeist im Süden leben. Und auch dort sind – selbst nach der Teilung des Landes in Nord- und Südsudan die Probleme nicht gelöst. Denn im Südsudan, wo die Christen leben, gibt es Krieg. Daher kann man Nigeria mit anderen Ländern nicht vergleichen oder die Lösungen, die man in anderen Ländern ausprobiert hat, nach Nigeria exportieren. Nigeria hat 36 Bundesländer. Nur in einem Bundesland „Borno State“ (Chibok), ist dieses traurige Ereignis passiert. Aber es gibt 35 Bundesländer, in denen Menschen ihr Leben friedlich führen. Unsere Unterschiede sind kein Grund dafür, das Land zu teilen. Wir haben Demokratie und in Artikel 10 unserer Verfassung heißt es: „Die Bundesregierung oder die Regierung eines Bundesstaates soll keine Religion als Staatsreligion festlegen.“ Die Mehrheit der Menschen will ein großes und geeintes Nigeria. Sie wollen sogar ein geeintes Afrika. Sie wollen in Frieden leben und geschützt werden. Die Medien vermitteln den Eindruck, dass es in ganz Nigeria brennt. So ist es aber nicht!
Aber das Land ist riesengroß. Ist es nicht eine schwierige Aufgabe für die Regierung über 160 Millionen Menschen zusammenzuführen?
Überall wo Menschen sind, sei es in den USA oder in Deutschland, ganz gleich ob sie nur 200.000 Menschen sind oder ein paar Millionen wie in der Ukraine oder in Syrien, oder aber mehrere Millionen wie in Nigeria, Menschen sind immer schwierig. Sie brechen die Gesetze. Sie unterlaufen die Gesetze. Sie akzeptieren keine höhere moralische Instanz. Ja, Menschen versteigen sich manchmal sogar dazu selber Gott zu spielen. Die Menschen beugen sich nicht dem Staat, der Ordnung, der Disziplin, den Werte, den moralischen Handlungen. Deswegen kommt es immer wieder zu solchen Auseinandersetzungen oder Problemen. Nur durch einen Dialog auf Augenhöhe können wir Schritte vorwärts machen und gemeinsame Lösungen für unsere Probleme finden. Aber, dass man uns manchmal von außen beeinflussen will ist unverantwortlich; zum Beispiel was Saudi Arabien in afrikanischen Ländern wie Ägypten, Sudan, Nigeria, Kenia mit Geld macht; was Libyen mit der Verteilung der Waffen gemacht hat, überall dort, wo Menschen eigentlich friedlich gelebt haben, wie z.B. in Burundi, in Mali. Das ist eine Einmischung in die Angelegenheiten eines Landes und stiftet Unruhe und Probleme. Die ganzen Waffen, die man von Libyen geholt hat, sind nun im Umlauf in den Händen von Terroristen in Nigeria. In unserer jetzigen Situation müssen wir die Waffenproduzenten, -händler und die die Waffen verteilen, fragen, ob das der richtige Weg ist, Geld zu verdienen. Ist das ethisch und moralisch verantwortlich?
Das Verhalten der nigerianischen Regierung bei der Suche nach den verschleppten Schulmädchen erweckt den Eindruck, dass die Regierung inkompetent ist. Teilen Sie diese Meinung?
Diese Meinung ist nicht nur falsch, sondern auch respektlos gegenüber der Regierung. Boko Haram existiert schon seit 2002. Die damalige Regierung konnte das nicht verhindern und jetzt will man dem amtierenden Präsidenten die ganze Schuld allein geben. Die jetzige Regierung hat alles Mögliche unternommen. Aber was wollen Sie mit Terroristen tun? Warum hat man in Amerika nicht verhindert, dass Bin Laden das World Trade Center bombardiert trotz aller Sicherheitsvorkehrungen des FBI? Keine Regierung kann allein dagegen erfolgreich kämpfen. In unserem Nachbarland Kamerun beispielsweise ist ein riesiges Gebiet wie verlassen. Da gibt es keine Präsenz der Regierung. Von dort kommen diese Terroristen und nach dort ziehen sie sich immer wieder zurück. An den Grenzen Nigerias zu Niger, Tschad und Kamerun, da muss man auch international agieren und zusammenarbeiten. Nigeria hat immer für eine solche Zusammenarbeit plädiert und gekämpft, lange Zeit ohne Erfolg. Jetzt aber scheint es einigermaßen zu funktionieren, seit es in der Zentralafrikanischen Republik auch die Seneca gibt, eine islamische Miliz, die die Regierung übernehmen möchte; daneben gibt es in Mali die radikale islamische Gruppe Azawad, eine terroristische Gruppe. Sie haben bereits Timbuktu und Gao annektiert. Auch die Ereignisse in Libyen, besonders in Benghazi sind in diesem Zusammenhang bedeutend, ebenso wie in Somalia, wo es eine ähnlich unerfreuliche Situation gibt. Also, Terrorismus ist keine singuläre Realität. Die Zusammenarbeit und der Austausch von Militärintelligenz auf internationaler Ebene sind deshalb unabdingbar. Aber schlussendlich ist das Einzige, das alles kontrollieren kann, die moralische Instanz des Menschen, eine gute Erziehung, gute Familie, gegenseitige Achtung und gegenseitiger Respekt. Das sind Werte, die wir den Menschen von Kindheit an beibringen müssen.
Wie können die Christen in Nordnigeria, die Opfer dieser Anschläge sind, schützen?
Aber es sind nicht nur Christen Opfer. Alle Nigerianer sind Opfer. Politiker sind Opfer. Einfache Menschen sind Opfer. Muslime sind Opfer. Christen sind Opfer. Das Bürogebäude der UNO ist Opfer. Das Militär ist Opfer. Hier können und sollen wir keine Abgrenzung vornehmen. Das ist auch die Meinung der von Präsident Goodluck Jonathan einberufenen Nationalkonferenz. Wir sind zunächst einmal alle
Nigerianer.
Welchen Rat würden Sie der nigerianischen Regierung für die Bekämpfung von Boko Haram und ähnliche menschenverachtende radikale Bewegung in Zukunft geben?
Die Regierung muss dafür sorgen, dass die Infrastruktur in jeweiligen Bundesstaaten verbessert wird. Armut zwingt viele Menschen geradezu zur Anwendung von Gewalt, zur Missachtung und zum Missbrauch Sie macht viele jungen Menschen anfällig für radikalen Ideologie. Natürlich glauben arme Menschen an denjenigen, der ihnen ihr tägliches Brot beschert und sind schnell bereit alle seine Anweisungen durchzuführen. Auch die Korruption muss bekämpft werden. So muss beispielsweise verhindert werden, dass Gelder für Schulbau genehmigt und ausgezahlt werden, und trotzdem keine Schulen gebaut werden. Das ist Sprengstoff. Außerdem müssen Menschen, die das Gemeinwohl stören, konsequent bestraft werden. Alle Bürger Nigerias sollen dazu beitragen, dass ein Rechtsstaat existiert, mit Sicherheit und Wirtschaftspotential und mit politischer Ordnung. Aber all das hat in Nigeria noch keine lange Tradition. Denn wir sind ein Entwicklungsland. Wir sind noch im Lernprozess. Es ist unrealistisch für Nigeria das zu erwarten, was man in Deutschland schon erreicht hat. Vor 50 Jahren, als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland eine demokratische Rechtsform etabliert wurde, war Nigeria immer noch eine britische Kolonie. Die englische Kolonialregierung war noch in Nigeria und sogar der Sklavenhandel blühte noch. Erst später, im Jahr 1960, haben wir begonnen, uns von der britischen Kolonialmacht zu befreien.
Ihrer Meinung nach entspricht oft das, was die Medien veröffentlichen nicht der Wirklichkeit vor Ort. Können Sie das ein klein wenig erläutern?
Man darf nicht vergessen, dass einige Leute Medien bezahlen. Viele Medienhäuser haben etwas zu verkaufen. Sie haben eine ideologische Orientierung. Nigeria ist ein großes Land, das auch riesige Potenziale hat. Nigeria hat so viel Gutes aufzuweisen. Zum Beispiel eine starke Glaubenszugehörigkeit, die Kirchen sind immer voll. Die Menschen glauben an die christlichen oder islamischen Werte. Nigeria ist ein Land, in dem es einen geistlichen "Nachwuchsboom" gibt. Es gibt viele Priesteramtkandidaten und Ordensberufungen. Das ist ein großer Segen für unsere heutige Welt. Im Priesterseminar in Enugu, im Süden Nigerias haben wir über 1000 Seminaristen. In diesem Jahr allein werden 650 Männer aus verschiedenen Diözesen zu katholischen Priestern geweiht. Nigeria hat das größte Episkopat in Afrika. Aber Nigeria hat auch andere Reichtümer. Es ist sehr reich an Bodenschätzen und an Bevölkerung. Hier leben einige der herausragendsten Schriftsteller Afrikas. Das sind die Potenziale eines Landes. Dem sollte bei der Berichterstattung Rechnung getragen werden. Durch dieses Ereignis ist Nigeria ins Rampenlicht gerückt. Das ist auch wichtig, denn wir sehen, dass die Weltgemeinschaft zumindest solidarisch handelt. Wir schätzen es sehr hoch, aber wir brauchen Medienleute, die ihre Arbeit ernst und wahrnehmen, die sachlich berichten. Die Missionszeitschrift KONTINENTE gibt hier ein gutes Beispiel. Sie haben Kontakt mit mir aufgenommen, damit ich ihnen die Wahrheit über die Situation in Nigeria erzähle. Manche Journalisten schreiben einfach ab, was sie bei CNN oder BBC gesehen oder gehört haben.
Welche Art von Hilfe oder Unterstützung erwarten Nigerianer von westlichen Ländern?
Nigeria ist so ein wichtiges Land in Afrika mit über 160 Millionen Einwohnern. Wenn es in Nigeria etwas Gravierendes passiert, wohin flüchten dann diese Menschen? Daher ist es angebracht, dass man Stabilisierung in Ankerländern wie Nigeria unterstützt und ermöglicht. Dies beginnt mit einer guten Regierungsstruktur, die in der Lage ist Korruption zu bekämpfen, Ausbildung zu ermöglichen, und die dafür sorgt, dass Entwicklungspotentiale erreicht werden können. Unsere Freunde in Europa müssen wir auch mit ins Boot nehmen. Manchmal verstehen sie nicht ganz unsere Situation. Aber wir müssen sie daran erinnern, dass wir in einer globalisierten Welt leben. Sie müssen verstehen; wenn es in Afrika brennt, brennt es auch in Europa. Ganz konkret, das Problem mit radikalen Islamisten existiert nicht nur in Nigeria. Und wenn man nicht mitmacht, weil man meint, dass das aber in Afrika passiert und nicht bei uns in Europa, soll man sich nicht wundern wenn plötzlich dasselbe oder ähnliches Problem eignes Land erreicht. Daher sollen unsere Freunde in Europa aus dem Schlaf erwachen und helfen, damit Afrika nicht brennt. Es geht hier um die globale Solidarität im Sinne des Evangeliums Jesu. Das ist was wir heute brauchen. Sie leben im Wohlstand und haben vergessen, wo sie begonnen haben. Einige meinen, Wohlstand ist die Antwort auf die Probleme in der Welt. Aber dies stimmt nicht. Er ist nur ein Begleiter. Die Menschheit schöpft aus religiösen Quellen. Das ist der Sinn unseres Lebens, nicht Geld, sondern Gott selbst, der uns seinen Geist gibt, ohne den wir nichts vermögen.
Welche Lehre kann man aus den Geschehnissen der letzten Wochen in Nigeria ziehen?
Terrorismus kann überall geschehen. Es kann in der Kirche, auf der Straße, im Bus, auf dem Markt passieren. Terrorismus ist wie ein Lauffeuer, das sich schnell verbreitet. Die Bekämpfung des Terrorismus ist eine weltweite Verantwortung für alle. Es ist unsinnig sich gegenseitig die Schuld für Terrorismus zu geben. Besser ist es, sich zusammenzutun und dagegen zu kämpfen. Wir müssen zusammen bleiben und zusammen handeln. Terrorismus ist unser gemeinsamer Feind.
Sie sind Mitglied der Untersuchungskommission, die vom nigerianischen Präsidenten einberufen wurde. Welche Aufgabe hat diese Kommission?
Ich gehöre zu den Delegierten, die zurzeit in Abuja an der Nationalkonferenz (d.h. eine Dialogkommission) teilnehmen. Dieses Gremium hat die Aufgabe Probleme, die es derzeit in Nigeria gibt, durch Dialog zu klären und nach gemeinsamer Lösung zu suchen. Der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan hat dafür zahlreiche namenhafte Nigerianer einberufen. Unsere Aufgabe ist es, den derzeitigen Status quo in Nigeria, in allen Punkten zu erfassen und zu beschreiben, sachlich und konstruktiv, und wenn es sein muss eine Art neuer Verfassung schreiben. Wir wollen nach einem gemeinsamen Weg in die Zukunft suchen. Wir tagen seit dem 17. März und können bisher gute Erfolge aufweisen. Boko Haram ist natürlich auch ein wichtiges Thema für uns. Was ich in unserer Kommission erlebt habe, ist eine große Liebe, eine große Freundschaft, ein großes Verständnis zwischen Anhängern unterschiedlicher religiösen Gruppen. Das ist ein unzweifelhaftes Zeichen dafür, dass wir trotz unserer verschiedenen Meinungen und unterschiedlichen Religionen ein großes Land bauen wollen und können.
Aber viele Menschen in Nigeria glauben nicht an mögliche Erfolge dieser Versammlung.
Wir wissen nicht, was die Menschen wirklich glauben. Jeder Mensch hat natürlich das Recht zu glauben, was er will. Aber die Versammlung leistet wirklich Großartiges. Allein die Ergebnisse der jüngsten Zeit, heute in der Kommission betreffend die Religion, gestern in der Umweltkommission oder letzte Woche in der Kommission, die über politische Strukturen arbeitet sind beeindruckend. Überall gibt es beeindruckende und hoffnungsvoll stimmende Berichte und Prozesse.
In einem Interview, haben sie gesagt: „Was die Europäer nur nicht verstehen, ist, dass es kein arabischer Frühling zur Verwestlichung ist, sondern ein arabischer Frühling zur Arabisierung und Islamisierung.“ Was meinen Sie damit? Können Sie dies anhand eines Beispiels verdeutlichen?
Ja, das habe ich vor drei Jahren gesagt hinsichtlich der Geschehnisse in islamischen Ländern wie Tunesien, Libyen und Ägypten, den sogenannten arabischen Frühling, so formuliert. Ich selber bin in einer muslimischen und von arabischer Kultur geprägten Gegend in Nigeria geboren und auch aufgewachsen, und daher mit dieser Kultur sehr vertraut. Eine Arabisierung gleicht einer Islamisierung. Viele Menschen haben unterstellt, es geht in Tunesien um Demokratie. Diese Ansicht teile ich nicht. Vielmehr erlebten die Menschen in diesen islamischen Ländern eigentlich eine Krise; ja man könnte sagen, sie erleben ihr Zeitalter der Aufklärung. Im Hintergrund standen die Fragen: Welcher Weg führt aus dem Scheideweg der Globalisierung? Welche Antwort gibt die islamische Religion auf die Globalisierung? Die Menschen in diesen Kulturen müssen langsam von Monarchie und Diktaturen zur Freiheit und zu einem freien Menschen kommen. Es fragt sich: Was ist da der richtige Weg? Das ist das Problem. Hinzu kommt, dass die meisten Menschen gar nicht wussten, dass dieser arabische Frühling zum Ursprung, ja zum Fundament der islamischen Religion zurückkehren wollte. Das habe ich mit meiner Aussage gemeint und es scheint sich tatsächlich zu bestätigen.
Sie haben 1986 das katholische Institut für Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden in Enugu gegründet. Was war die Intention, was sind die Aufgaben dieses Instituts?
Wir verbreiten die christlichen Soziallehre und bieten auch Glaubenskurse an. Wir bringen dem einfachen Volk die Lehre Jesu nahe. Das ist eine anspruchsvolle Arbeit. Wir initiieren und tragen auch Entwicklungsprojekte, vor allem landwirtschaftliche Projekte. Wir unterstützen den Bau von Krankenhäusern und engagieren uns verstärkt für Fragen der Gerechtigkeit und des Frieden. Wir sind präsent in den Gefängnissen und unterstützen dort die Gefangenen. Wir setzen uns auch dafür ein, dass Menschenrechte und die Würde eines jeden Menschen geachtet werden. Wir fördern Ausbildung und bemühen uns darum, den Menschen vorzuleben, dass Frieden durch Dialog erreicht werden kann; wir betreiben darüber hinaus Caritasarbeit und haben ein Herz für die Armen. In den vergangenen Jahren hat das katholische Institut für Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden über 900 Projekte realisiert. Ja, noch mehr: In fast allen Pfarreien in Südostnigeria gibt es ein Büro unseres Institutes für Gerechtigkeit und Frieden. Wir bieten Kurse und Ausbildung für Priester, Seminaristen und Ordensleute an, aber auch für die Laien. Unser Institut veröffentlicht Bücher sowie eine Zeitschrift. Wir nehmen Stellungen zu verschiedenen Ereignissen und Themen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Wir scheuen uns nicht die Meinung bzw. Position der Kirche zu bestimmten, brennenden Themen offen zu formulieren und diese zu verteidigen. All dieses tun wir letztlich mit dem Ziel das Evangelium Jesu Christi zu verbreiten, damit seine Botschaft unter uns Wurzeln schlagen und die Herzen der Menschen erreichen kann. Ich glaube, die Arbeit, die unser Institut leistet, ist eine sehr wichtige Arbeit zur Verbreitung der christlichen Lehre. Aber in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn, hier vor allem Prof. Roos, haben wir damals begonnen und wir wollen unsere Arbeit auch weiter fortsetzen. So kommt in drei Wochen eine Gruppe der Universität in Washington zu uns nach Enugu für einen gemeinsamen Sommerkurs mit unserem Institut CIDJAP (Catholic Institute for Development, Justice and Peace). Durch die Aktivitäten und Engagements unseres Institutes wurde sogar eine von der Regierung anerkannte, selbstständige Universität für das Bistum Enugu gegründet, an der Studenten aus verschiedenen Regionen Nigerias studieren. Das ist – grobskizziert - der Beitrag den unser Institut zur Entwicklung in Nigerias leistet.
Und wie finanzieren Sie diese vielfältigen Aufgaben und Projekte?
Jesus hat uns gesagt, dass der Glaube Früchte tragen wird. Wenn die Menschen sehen, dass wir unsere Arbeit engagiert und überzeugt tun, dann sind sie in der Regel auch uns zu unterstützen. Einige stellen Geld bereit, andere schenken ihre Zeit, wieder andere bringen ihre Ideen ein. Das Wichtigste dabei ist, der gute Wille der Menschen; denn wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Zusätzlich zu Spenden von Privatpersonen erhalten wir die Unterstützung unseres Bistums. Auch die päpstlichen Missionswerke, Hilfsorganisationen wie Missio und Misereor haben uns in den letzten Jahren viel unterstützt. Darüber hinaus betreiben wir auch Projekte, die die Selbstständigkeit fördern. Durch unsere katholische Mikrofinanzbank können wir mit unserem Gewinn armen Menschen helfen, ihr Leben in die Hand zu nehmen und ihre Zukunft zu gestalten. Es ist ein Gotteswerk. Wenn man glaubt, arbeitet und betet, dann wird Gott schon dafür sorgen, dass es gelingt. Es geht nicht um uns, sondern um Gott und sein Reich hier auf Erden.
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