Heiner Bielefeldt. Foto: Jobst Rüthers |
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„Ein ausgesprochen dorniges Feld!“
Interview mit Heiner Bielefeldt
Gewalt, Verfolgung, Diskriminierung: Die Freiheit zum eigenen Glauben ist in vielen Ländern nicht sichergestellt. Ein Gespräch darüber mit dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt.
Herr Professor Bielefeldt, wie definieren Sie den Begriff „Religionsfreiheit“?
Heiner Bielefeldt: Der Begriff Religionsfreiheit ist eine Kurzformel für die Gedankenfreiheit, Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Weltanschauungsfreiheit. Es geht um die Freiheit jedes Menschen, seinen Glauben zu äußern, seinen Glauben vielleicht auch zu ändern, seinen Glauben zu kommunizieren, sich mit anderen zusammenzuschließen, Organisationen aufzubauen, Gemeindeleben zu entwickeln; nicht zuletzt geht es auch um religiöse Erziehung von Kindern. Religionsfreiheit bezieht sich auf Privates und auf Öffentliches, sie hat individuelle, gemeinschaftliche, institutionelle und organisatorische Komponenten.
Wer wird geschützt, die Kirchen, die Religionsgemeinschaften?
Es geht um ein breit zu verstehendes Menschenrecht, nämlich Schutz des Menschen in den weiten Bezügen von Religion und Weltanschauung. Träger dieses Rechts sind nicht Religionen direkt, sondern Menschen, ihre Würde und ihre Freiheit.
Sie sind Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, was ist Ihre Aufgabe?
Als Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit wurde ich 2010 vom Menschenrechtsrat der UNO gewählt, es ist ein Ehrenamt. Es geht um drei Schwerpunkte: Ich mache Einzelfallarbeit. Ich führe Recherchereisen durch, so genannte fact finding missions. Und ich leiste Themenberichterstattung in internationalen Konferenzen, zum Beispiel in der Generalversammlung der UNO oder im Menschenrechtsrat.
Können Sie diese Arbeiten beschreiben?
In der Einzelfallarbeit befasse mich mit Beschwerden, Anfragen oder Klagen zu einzelnen Situationen. Das geschieht auf diplomatischem Wege, ich recherchiere dazu und stelle zum Beispiel Anfragen an staatliche Stellen. Das geschieht zunächst vertraulich, einmal jährlich wird die ganze Korrespondenz, inklusive der Antworten oder auch ausbleibende Antworten der Staaten, dann aber veröffentlicht. Dabei gilt es natürlich, die Betroffenen zu schützen. Die Recherchereisen führen mich in einzelne Länder, um sich dort mit der Situation der Religionsfreiheit insgesamt zu befassen. Ich führe normalerweise zwei solche Reisen pro Jahr durch, die von einem Team vorbereitet werden und als kleine Gruppe durchgeführt werden. Mehr kann ich ehrenamtlich nicht leisten. Wir führen dabei intensive Gespräche mit staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen und Einzelpersonen durch. Ich habe den Eindruck, dass wir tiefe und oft überraschende Einblicke erhalten.
Was sind Themen der internationalen Konferenzen?
Im Oktober habe ich an der Generalversammlung der UNO in New York teilgenommen und einen Bericht zum Thema Glaubenswechsel vorgetragen, also über den Wechsel von einer in eine andere Religion. Die so genannte Konversion ist in einigen Regionen zwischen Christen und Muslimen sehr problematisch. Es passiert, dass ein christliches Mädchen mit einem Muslim verheiratet wird und dann gezwungen wird, den Glauben des Mannes anzunehmen. Oder eine jemand möchte vom Islam zum christlichen Glauben wechseln, seine Familie und das Umfeld aber erlauben ihm das nicht. In machen Staaten ist die Konversion sogar per Gesetz verboten oder wird administrativ massiv behindert. Auch über die Möglichkeiten und Grenzen von Missionstätigkeit müssen wir beraten, da es immer wieder zu Konflikten kommt. Klar ist aber, dass Missionstätigkeit generell von der Religionsfreiheit umfasst ist.
Woher beziehen Sie Ihre Informationen?
Möglichkeiten, sich zu informieren, gibt es genug. Eine wichtige Quelle sind Kontakte. Organisationen und Gruppen aus aller Welt melden sich und suchen das Gespräch, an meinem Arbeitsplatz in der Universität genauso wie am Sitz der UN in Genf oder in New York. Ich treffe Delegationen aus Orissa in Indien, Gruppen von Tibetanern oder iranische Christen. Wenn ich am Sitz der UN in Genf oder New York bin, ist das immer die Gelegenheit, mit vielen Gruppen zu reden. Das geschieht dann sehr, sehr intensiv. Hilfreich sind auch die Recherchen des amerikanischen State Departments. Das Außenministerium der USA veröffentlicht jedes Jahr eine ausführliche Bestandsaufnahme über die Religionsfreiheit in allen Ländern der Welt, hier fließen die Informationen aus aller Welt zusammen, die von den US-Botschaften zusammengetragen werden.
Eine wichtige Informationsquelle sind Ihre Reisen. Wie frei können Sie sich bewegen, gibt es Risiken oder Einschränkungen?
Es gibt Risiken, die bestehen aber vor allem für die Gesprächspartner. Meine Informanten bleiben nach den Gesprächen, nach meiner Abreise, ja im Land. Sie haben ihre Familien dort, ihre Kinder besuchen dort die Schule, und es gibt oft berechtigte Sorge vor Mobbing bis hin zu direkten Repressalien. Unsere Delegation besteht normalerweise aus fünf oder sechs Leuten, und wir tragen Verantwortung, dass unsere Gesprächspartner nicht gefährdet werden. Im Zweifel müssen wir auf Kontakte und Gespräche verzichten. Zu Beginn einer Reise gibt es immer ein Sicherheitsbriefing durch die UNO vor Ort, für die eigene persönliche Sicherheit genauso wie für den Umgang mit unseren Gesprächspartnern.
Wie kommen die Kontakte zustande?
Zum Beispiel über Personen, die im Ausland leben, über Exilgemeinden in Deutschland, über die internationalen Kontakte der Religionsgemeinschaften. Wir stellen manchmal fest, dass, wenn wir in ein Land einreisen, die Regierung sehr interessiert ist zu wissen, mit wem wir Gespräche führen. Zum Schutz unserer Informanten müssen wir natürlich hart bleiben und über unsere Kontakte schweigen.
Passiert es, dass Ihre Delegation vom Geheimdienst begleitet und die Gespräche abgehört werden?
Man muss mit allem rechnen. Während meiner letzten Mission in Nordzypern bemerkten wir Leute, die uns filmten. Und es tauchte bei einer Versammlung mit einer christlichen Minderheit jemand auf, der nicht zu der Gruppe gehörte, offenbar ein Geheimdienstmensch. Den haben wir aber rausgebeten, das war in diesem Fall auch nicht weiter schwierig. In Ländern, in denen der Geheimdienst sehr aktiv ist, haben die Menschen gelernt, damit umzugehen und sich darauf einzutellen.
Welche Zahlen legen Sie zugrunde, wenn Sie die Situation bedrängter und verfolgter Christen beschreiben?
Ich habe keine Zahlen anzubieten und bin auch skeptisch gegenüber den Zahlen, die gelegentlich in der Öffentlichkeit kursieren. Zumeist handelt es sich um grobe Schätzungen. Wichtiger als konkrete Zahlen scheint mir, sich auf klar nachvollziehbare Definitionen zu verständigen. Wir reden über die Verfolgung, Diskriminierung und Bedrängung von Christen. Verfolgung, Diskriminierung und Bedrängung sind unterschiedliche Tatbestände. Wir müssen außerdem unterscheiden, ob es die Christen als Christen sind, die da verfolgt werden wegen ihrer Überzeugung, oder ob es um Kontrollpolitik geht, weil Gemeinden sich treffen, und der Staat wissen will, was treiben die da eigentlich? Oder geht es um Christen, die zugleich einer ethnischen Gruppe und Minderheit angehören und es eine Diskriminierung der ethnischen Minderheit gibt? Mit Zahlen bin ich generell vorsichtig, aber es sind zweifellos viele Menschen weltweit, auch viele Millionen von Christen, betroffen von Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit.
Was sind die Gründe für die Einschränkung?
Die Gründe sind vielfältig: sei es, dass der Staat seine eigene Ideologie durchsetzen will, dass er kontrollieren will und Sorge vor dem Eigenleben von Religionsgemeinschaften hat, oder dass eine Religion vor einer anderen bevorzugt werden soll. Nach meiner Einschätzung geht es in China beispielsweise primär um Kontrolle. Das chinesische Regime hat heute einen weniger ideologisch durchgreifenden Anspruch als vielmehr einen kontrollpolitischen Anspruch, sie wollen wissen, was passiert wo, und wenn sich Hauskirchen, Untergrundkirchen und christliche Gemeinden versammeln, ist das prinzipiell suspekt und setzt Mechanismen von Überwachung und Repression bis hin zu Arbeitslagern in Gang.
Schränkt nur der Staat die Religionsfreiheit ein?
Nein. Wir haben ganz unterschiedliche Formen von Verletzung der Religionsfreiheit zu beklagen, das geht bis hin zu Tötungsdelikten. Solche Gewalt wird häufig von nicht-staatlichen Gruppen verübt. Es gibt Terrorgruppen wie Boko Haram in Nigeria, wir kennen selbst ernannte Wächtergruppen, salafistische Gruppen, die Kirchen in Ägypten anzünden. Der Staat agiert zum Beispiel mit administrativen Schikanen, etwa der Anforderung, dass bestimmte Gemeinden sich regelmäßig registrieren lassen müssen. Da sind dann lange Fragebögen auszufüllen, die Betroffenen müssen alles offen legen, und man kann sich vorstellen: je mehr Bürokratie, desto abschreckender ist es. Der Staat beschlagnahmt, der Staat schließt Kirchen und kirchliche Gebäude. Wir kennen auch diskriminierende Strukturen im Familienrecht, weil zum Beispiel gemischtreligiöse Ehen nicht vorgesehen sind. Es gibt außerdem staatlich geduldete Indoktrination in der Schule, Entfremdung der Kinder von ihren Eltern, wo christliche Minderheiten wenige Chancen haben, islamischem Unterricht in den Schulen zu umgehen.
Wie bewerten Sie diese Einschränkungen von Freiheit?
In Ländern, in denen Christen bedrängt, diskriminiert oder verfolgt werden, werden meistens auch andere verfolgt, das sollte man immer im Blick haben. Meistens hat das damit zu tun, dass ein Klima herrscht, das misstrauisch gegenüber Minderheiten ist. Dramatisch wird es, wenn Gruppen zur Projektionsfläche für Hass gegenüber den Westen werden, wie beispielsweise im Irak, wo das Trauma des Irakkriegs auch an den Christen abreagiert wird.
Wie kann Veränderung stattfinden? Was ist zu tun?
In manchen Ländern geht es darum, überhaupt erst einmal rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen. An dieser Stelle nur einige Schlagworte: Aufbau von Rechtsstaatlichkeit, von menschenrechtlicher Infrastruktur, von Zivilgesellschaft, von nationalen Menschenrechtsinstitutionen. Es geht meistens nicht allein um Religionsfreiheit, es geht auch um ein offenes Bildungssystem, um private und öffentliche Schulen, um religiösen Pluralismus im Schulsystem, um wirksame Antidiskriminierungspolitik, um Öffnung sozialer Räume, bis hin zum Pluralismus im Arbeitsmarkt, denn es darf nicht sein, dass jemand keine Arbeit bekommt, weil er einer bestimmten Religion angehört. Religionsfreiheit ist ein Querschnittsthema und betrifft alle Politikbereiche. Der entscheidende Wandel geht übrigens immer vom Inneren einer Gesellschaft aus, er muss von innen getragen werden; internationale Begleitung von außen kann aber eine konstruktive Rolle spielen.
Wie beurteilen Sie das Handeln der katholischen Kirche und die Rolle des Papstes?
Die katholische Kirche hat seit dem II. Vatikanischen Konzil eine eindeutige Position, nämlich für umfassende Religionsfreiheit, und zwar als ein zentrales Menschenrecht, das für alle Menschen gilt. Der jetzige Papst und seine Vorgänger haben diese Linie durchgängig verfolgt. In der Definition der Religionsfreiheit ist die katholische Kirche weiter als viele andere. Aber: Ich erlebe die katholische Kirche zugleich als wenig präsent in den UN-Debatten zur Religionsfreiheit. In den unterschiedlichen UN-Gremien, in denen ich seit gut 2 Jahren tätig bin, tauchen Vertreter der katholischen Kirche weniger auf etwa Angehörige protestantischer Freikirchen, die sich leichter damit tun, als als Bestandteil der Zivilgesellschaft zu operieren. Daher wünsche ich mir eine stärkere Präsenz der katholischen Kirche im Dialog mit Nicht-Regierungsorganisationen, anscheinend tut sie sich schwer, in solchen zivilgesellschaftlichen Organisationsformen präsent zu sein. Es wäre hilfreich, denn auch dort finden wichtige Debatten statt.
Ein besonderes Problem stellt die Missionstätigkeit dar, sie wird teilweise verfolgt.
Zur Religionsfreiheit gehört die Freiheit der Mission. Es geht um die Möglichkeit, andere Menschen zum Glauben einzuladen. In vielen Ländern ist das nicht möglich. Ich schätze, das rund ein Drittel der Staaten zum Teil strafrechtliche, zum Teil administrative Restriktionen gegen Missionstätigkeit anwenden. Dies trifft oftmals besonders protestantische Gemeinden, aber auch Mormonen oder Zeugen Jehovas. Problematische Einschränkungen der Religionsfreiheit finden sich nicht nur in islamischen Ländern, sondern auch in einigen europäischen Staaten, Griechenland beispielsweise. Auf der andern Seite gibt es natürlich auch Formen von Missionstätigkeit, die Schaden anrichten, vor denen sich ein Staat schützen will. Hier können Selbstverpflichtungen der Religionsgemeinschaften sinnvoll sein, und die Staaten müssen offener werden für kirchliches Handeln.
Gibt es auch Themen, die Sie in Deutschland sorgenvoll wahrnehmen?
Insgesamt sieht es in Deutschland in Sachen der Religionsfreiheit recht gut aus. Erschreckt hat mich aber die Heftigkeit in der Debatte über die Beschneidung. Nachdem ein Kölner Gericht die Beschneidung eines muslimischen Jungen als prinzipiell strafbare Körperverletzung bezeichnet hatte und die öffentliche Debatte darüber sehr heftig verlief, habe ich bei jüdischen und muslimischen Eltern viel Verbitterung erlebt. Jüdische Eltern mussten erleben, dass man ihnen vorwirft, sie verstümmelten wehrlose Kinder. Die religiöse Sozialisation von Kindern wurde als barbarischer Akt diskreditiert. Die Wucht, die Aggression, spricht nicht für ein offenes, religionsfreundliches Klima. Ich gewinne den Eindruck, dass für viele Menschen Religion nicht in eine aufgeklärte Gesellschaft passt.
Das Interview führte Jobst Rüthers. |