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Interview mit Niko Paech
„Weg mit dem Überfluss“
Wachstumskritiker Niko Paech plädiert für eine Wirtschaft ohne Wachstum. Er fordert einen bescheidenen Lebensstil, kürzere Arbeitszeiten und mehr Selbstversorgung. In seiner Vision der „Postwachstumsökonomie“ werden Umwelt und Gesundheit nicht länger ausgebeutet.
Herr Paech, Sommer 2050 in Oldenburg: Ihre Vision einer Wirtschaft ohne Wachstum hat sich durchgesetzt. Wie präsentiert sich die Stadt?
Niko Paech: Es werden keine Flächen mehr versiegelt oder bebaut. Stattdessen sind Rückbauprogramme in vollem Gange. Unnötige Verkehrs- und Gewerbeflächen werden in grüne Areale zurück verwandelt. Die Stadt ist nahezu autofrei. Fahrräder, Lastenfahrräder und der ÖPNV dominieren das Stadtbild. Es herrschen rege Marktaktivitäten. Viele Werkstätten bereichern die Szenerie: Hier wird repariert, was das Zeug hält. Handwerkliche und künstlerische Aktivitäten sind überall sichtbar. Da die Leute im Schnitt nur noch 20 Stunden arbeiten, haben sie genügend Zeit, gemeinschaftlich Versorgungsleistungen zu gestalten.
Das hört sich paradiesisch an...
Überall sprießen Gemeinschaftsgärten, Verschenkläden, Zeittauschbörsen, Verleihstationen. Eine Regionalwährung für Oldenburg und die naheliegende Region ist ein weiteres Element, das sofort ins Auge sticht. Am noch verbliebenen Einzelhandel fallen zwei Dinge auf: Einwegverpackungen sind verschwunden. Außerdem verfügen die Einzelhändler über Reparaturabteilungen, in denen die Kunden mitwirken und sich in die Pflege und Reparatur ihrer erworbenen Produkte einweisen lassen. Es sind überdies völlig neue Wohnformen entstanden.
Wovon leben die Menschen, wenn deutlich weniger produziert wird?
Wer Güter doppelt so lange nutzt, braucht nur halb so viel Geld und Produktion. Wer Waschmaschine oder Auto mit drei anderen Personen teilt, reduziert die andernfalls benötigte Produktion und das benötigte Geld auf ein Drittel. Ernährungsgewohnheiten anpassen und Nahrungsmittel teilweise selbst anbauen und zubereiten, bringt ebenfalls doppelte Einsparung, nämlich an Ökologie und Geld. Auf Grundlage einer solchen Versorgung kommen die meisten Menschen mit dem Geld aus, das sie in einer 20-Stunden-Arbeitswoche verdienen können.
Was sind Ihre Hauptkritikpunkte am derzeitigen Wirtschaftssystem?
Menschen, die grenzenlos Technik nutzen und weltweit ständig mobil sind, leben ökologisch maßlos über ihre Verhältnisse. Die Versorgungssysteme sind in hohem Maße von Industrialisierung und Globalisierung abhängig. Sie sind kapitalintensiv und lassen sich nicht ohne Wachstum stabilisieren. Es entstehen über industrielle Fremdversorgung – die derzeit noch als Freiheitsgewinn glorifiziert wird – immense Abhängigkeiten. Die zeigen sich, falls das System strauchelt, was infolge absehbarer Ressourcen- und Finanzkrisen kaum zu verhindern sein dürfte.
Es gibt Passivhäuser, Hybridautos, Biotreibstoffe. Sind das nicht gute Zeichen?
Auch vermeintlich grüne Produkte und Technologien sind niemals zum ökologischen Nulltarif zu haben. Ihre Beispiele lösen das Problem jedenfalls nicht.
Was ist denn die Lösung?
Wir werden drei Versorgungssysteme kombinieren: Eine restliche, etwa um die Hälfte reduzierte und ökologisch optimierte Industrie, die ergänzt wird um eine Regionalökonomie und den Selbstversorgungssektor.
Arbeiten die Menschen anders in einem Wirtschaftssystem ohne Wachstum?
Sie sind körperlich aktiver, sozial vernetzter und psychisch stabiler, weil sie ihr Schaffen direkter erleben und stärker selbst beeinflussen. Außerdem können sie sich vom Leistungsdruck, der durch Konsum, Mobilität und ständigen Telekommunikationsstress anfällt, befreien. Wenige Dinge intensiver zu nutzen und andere souverän zu ignorieren, bedeutet weniger Stress und mehr Glück.
Was brauchen wir, um gut leben zu können?
Jeder Mensch dürfte in einer global gerechten Welt unter der Bedingung, dass das Zwei- Grad-Klimaschutzziel eingehalten wird, mit dem Betrieb von Auto, Heizung, Kühlschrank maximal 2,7 Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen. Jeder kann selbst entscheiden, was er sich dafür leisten will. Flugreisen sind dann nur noch in mehrjährigen Abständen möglich, so viel lässt sich in jedem Fall sagen.
Verzichten Sie persönlich?
Ich verzichte nicht, sondern halte mir Überfluss vom Leib, den ich kaum verarbeiten könnte. Zudem fällt mir ein ehrlicheres Leben leichter, das nicht auf billigen Ausreden gründet. Ich brauche kein Auto, keine Flugreisen, kein Smartphone, Handy oder Fernseher. Ich bin Vegetarier und komme mit sehr wenigen Textilien aus, weil ich sie lange trage. Meine Möbel sind uralter Schrott. Die meisten technischen Geräte leihe ich mir, wenn ich sie brauche, oder nutze sie gemeinsam mit Nachbarn, wie die Waschmaschine.
Haben Sie keine Schwächen?
Dann und wann kaufe ich Bücher, ab und zu mal CDs, ich trinke zu viel Kaffee und surfe zu viel im Internet. Aber ich arbeite daran!
Ihr Lebensstil ist aktuell noch nicht mehrheitsfähig. Deprimiert Sie das?
Überhaupt nicht. Vorerst geht es darum, bereits sensibilisierte Minderheiten darin zu bestärken, postwachstumstaugliche Lebensstile einzuüben. Denn wenn das System zusammenkracht, können die in den Nischen zum Kopieren bereitgehaltenen Modelle übernommen werden und so zum würdevollen Überleben der Gesellschaft beitragen.
Drei Dinge, die jeder sofort unternehmen könnte, um nachhaltiger zu leben?
Erstens die eigene CO2-Bilanz ermitteln. Das geht kinderleicht mit einem CO2-Rechner im Netz. Zweitens das Leben von Mobilitäts- und Konsumaktivitäten entrümpeln. Drittens schauen, wo ich mit Selbstversorgung beginnen kann – bezogen auf Reparatur, Gemeinschaftsnutzung und eigene Herstellung, etwa im Nahrungsbereich.
Die katholische Kirche und ihre Hilfswerke sind weltweit aktiv. Worin liegt die Chance?
Ein Austausch mit anderen Kulturen ist erst dann sinnvoll, wenn sich das europäische Sendebewusstsein dadurch legitimieren lässt, dass wir hier ein Lebensmodell glaubwürdig praktizieren, dass guten Gewissens auch auf andere Kontinente übertragbar ist. Denn ein Problem, dass wir nicht in Europa lösen, werden wir erst recht nicht in Afrika in den Griff kriegen. Das Entwicklungsland sind wir selbst, weil wir immer brutaler über unsere Verhältnisse leben. Indem wir dies verleugnen, wird der interkulturelle Austausch zu einem Vehikel für die globale Übertragung des nicht Übertragbaren. Das kann nur in einer Eskalation enden.
Ist Papst Franziskus für Sie ein Mitstreiter?
Ja, absolut. Ich bin inspiriert dadurch, dass wir diesen erfrischenden Papst haben, der auch unbequeme Wahrheiten ausspricht.
Das Interview führte Eva-Maria Werner.
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