Bischof Claude Rault, Algerien. Foto: Diocèse de Laghouat-Ghardaia |
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Interview mit Bischof Rault
„Die Wüste ist meine Kathedrale”
Bischof Claude Rault ist ein Mann der Wüste. Sein Bistum liegt in der algerischen Sahara und ist eines der größten der Welt. Deshalb ist der 75-Jährige viel unterwegs. „Mein Büro, das sind mein Handy und mein Computer“, sagt er.
Bischof Rault, was ist für Sie das Besondere an der Wüste?
Die Wüste hat mich immer begeistert, sie ist Teil meines Lebens. Aber erst in den letzten Jahren habe ich mich gefragt, warum zieht dich diese unendliche Weite so an? Es kommt vor, dass ich 500 Kilometer geradeaus fahre – und ich habe mich noch nie gelangweilt.
Haben Sie eine Antwort darauf?
Ich glaube, dass es eine große Gemeinsamkeit zwischen der Wüste und dem menschlichen Herzen gibt. Die Wüste ist unendlich weit, und ich glaube, dass das Herz einer Person unendlich weit ist. Das Herz ist leer und gleichzeitig von einer Fülle bewohnt. Und die Wüste ist so ähnlich. Sie ist so vielfältig und verändert sich auf beeindruckende Weise. Jede Stunde wechseln die Farben. Es gibt Variationen, die uns auch etwas über die Schönheit des Lichtes in uns selbst lehren. Für mich enthüllt dieser Zauber der Landschaft die Innerlichkeit des Menschen. Es gibt auch Momente, in denen die Wüste trist ist. Dann gibt es keine Sonne mehr, weil ein Sandsturm oder Wolken aufgezogen sind. So gibt es auch in meinem Leben Zeiten, in denen es düster ist. Ich denke, dass die Wüste alle Farben unseres Lebens widerspiegelt.
Und wie wird die Wüste für Sie zur Kathedrale?
Ich kann mir die Wüste nicht vorstellen ohne die Menschen, die dort leben. Als Bischof bin ich ja für ein Volk geweiht, nicht für ein Gebiet. Oft sagt man, dass ein bestimmter Ort der Sitz eines Bischofs ist. Ich betrachte meine Berufung als viel umfassender, nicht an eine Stadt, sondern an das Ganze der großen Wüste gebunden. Einschließlich der Muslime. Mit dem Buch „Die Wüste ist meine Kathedrale“ wollte ich mein Leben und das Leben meiner Diözese inmitten des Islam beschreiben.
Wie sieht Ihr Bistum aus?
Es gibt ungefähr 70 Christen, die ständig dort leben. Und 3.800.000 muslimische Einwohner. Deshalb betrachte ich mich nicht nur als Bischof der wenigen Christen. Ich will nicht sagen, dass ich für die Muslime verantwortlich bin, aber ich trage sie in meinem Herzen. Ich fühle mich ihnen sehr verbunden.
Ist es nicht manchmal entmutigend für Sie, dass in Ihrem Bistum nur so wenige Christen leben?
Ganz und gar nicht. Es ist wichtig, dass die Kirche mitten in dieser muslimischen Welt lebt. Für mich ist die Kirche unentbehrlich für die Welt. Wie groß die christliche Gemeinschaft ist, liegt in Gottes Hand. Es ist nicht unsere Aufgabe, Menschen zwangsweise zu Christen zu machen. Wir sind eine kleine Kirche, aber wir dienen dem Kommen des Reiches Gottes. Und das umfasst nicht nur die Kirche, sondern alle Menschen der Seligpreisungen, die mit uns zusammen leben. Meine Freude ist es, zu sehen, dass knapp 100 Christen unter 3,8 Millionen Muslimen Zeugen dafür sind, dass das Reich Gottes gegenwärtig ist – auch unter den Menschen, die vielleicht gar nicht wissen, dass sie Teil dieses Reiches Gottes sind.
Wie bezeugen Sie es?
Wie Jesus müssen wir sehen, dass das Reich Gottes schon da ist. Er sieht um sich herum Menschen, die die wesentlichen Teile des Reiches Gottes schon leben. Und das hat er enthüllt, er hat es gesagt! Eine andere Art, als Kirche unter den Muslimen präsent zu sein, ist es, Gottesdienst zu feiern. Durch das Sakrament werden wir zum Leib Christi. Deshalb ist es für mich unverzichtbar, dass die Kirche auf der ganzen Welt präsent ist, ob in großer oder in kleiner Zahl. Um sichtbar zu machen, dass das Reich Gottes da ist.
Sie gehören zum Orden der „Afrikamissionare“. Was haben Sie vom Leben in der Wüste inmitten der Muslime gelernt?
Die Wüste und auch die Muslime erinnern mich an die Transzendenz Gottes. Schon als junger Priester war ich jedes Mal beeindruckt, wenn die jungen Muslime nach dem Unterricht den Gebetsteppich ausrollten und beteten. Oder wenn ich jetzt mit dem Bus die Wüste durchquere: Dann hält der Bus gleich nach Sonnenuntergang, alle steigen aus, stellen sich in die Wüste und beten zu Gott. Zu sehen, wie sehr die Dimension des Transzendenten in ihren Gesprächen lebt, manchmal aus Gewohnheit, aber ich glaube auch aus Überzeugung, zu sehen, wie sehr die Menschen, auch die bescheidensten, von der Gegenwart Gottes bewohnt sind – das ruft in mir die transzendente Dimension meines Lebens wach.
Verändert die Wüste auch das Zusammenleben der Menschen?
Die Gastfreundschaft ist in der Wüste heilig. Den Anderen aufzunehmen, ist lebenswichtig. Jemand, der Durst hat, ist unmittelbar auf einen Anderen angewiesen. Im Arabischen gibt es ein Sprichwort: „Der Gast ist der Gast Gottes.“ Die Wüste lehrt quer durch alle Bevölkerungsschichten, wie wichtig Gastfreundschaft und Solidarität sind. Wenn ich in der Wüste eine Panne habe, habe ich nie Angst. Denn ich weiß, dass jemand anhalten wird. Diese gegenseitige Hilfsbereitschaft ist sehr wichtig. Man findet sie auch in den Familien, denn im Islam ist die Gastfreundschaft heilig. Ich habe es einmal erlebt, als ich mit zwei Freunden zeltete. Ein junger Mann kam zu uns und lud mich und meine Freunde ein, die Zelte auf seinem Hof aufzuschlagen. Als es Zeit für das Abendessen war, brachte er uns Couscous. Und ich bin sicher, dass es das Essen war, das für die Familie vorgesehen war. Aber man brachte es uns! Für die Muslime ist es etwas Natürliches: Der Gast ist ein von Gott Gesandter.
Wie leben Sie den Dialog zwischen Christen und Muslimen?
Der erste Schritt ist für mich der Dialog des Lebens und der Beziehungen. Wir haben das Glück, unter Muslimen zu leben und nicht nur unter uns. Unser Leben entwickelt sich im Zusammenleben mit den Muslimen. Das führt uns zu einem Dialog des Alltags. Es gibt einen großen gegenseitigen Respekt. Zum Beispiel schreibe ich den Muslimen zum Opferfest immer einen Brief mit guten Wünschen, ebenso zum Beginn und zum Ende des Fastenmonats. Wir freuen uns mit ihnen. Und so kommen sie auch an Ostern oder Weihnachten zu uns und wünschen uns ein schönes Fest. Es ist ein Dialog der gegenseitigen Anerkennung und der Freundschaft. Dieses Zusammenleben ist die Grundlage für einen Dialog der Ideen.
Das Interview führte Stefan Voges. |