Treu bis aufs Blut
Märtyrer sind kein Phänomen der frühen Kirche, sondern brutale Gegenwart. Von 100 Menschen, die heute weltweit wegen ihres Glaubens ermordet werden, sind 75 Christen. Ihr Bekennermut, ihre Glaubensstärke und ihre Demut faszinieren auch Menschen des 21. Jahrhunderts.
Foto: Yates/ddp
Shahbaz Bhatti hat es geahnt, vielleicht sogar mehr als das. Als Minister für religiöse Minderheiten fordert der pakistanische Katholik, das umstrittene Blasphemiegesetz zu reformieren und erhält dafür wiederholt Morddrohungen von Islamisten. Der 42-Jährige ist das einzige christliche Mitglied im Kabinett. Am Morgen des 2. März 2011 lauern ihm vermummte Attentäter auf. Auf dem Weg zur Arbeit wird Bhatti von Taliban in seinem Auto erschossen.
In einer Art „geistlichem Testament“ schreibt der Politiker Jahre vor seinem Tod, ihm seien höhere Regierungsämter angeboten worden, falls er seinen Kampf für die Christen aufgäbe. Er habe diese abgelehnt, auch wenn er sich damit in Lebensgefahr begeben habe. „Für Christus will ich leben und für Ihn will ich sterben“, heißt es schlicht in seinem Testament. „Ich lebe für meine Gemeinschaft und die leidenden Menschen, und ich werde sterben, weil ich für ihre Rechte kämpfe... Eher will ich sterben, als Kompromisse einzugehen und meinen Überzeugungen wie der Gerechtigkeit untreu zu werden.“
Schon wenige Monate nach seinem Tod sagt Prälat Helmut Moll, Beauftragter und Autor der Deutschen Bischofskonferenz für das „Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“, erhalte es für möglich, dass Bhatti als katholischer Märtyrer anerkannt wird. Tatsächlich scheint sein Blutzeugnis die offiziellen Kriterien zu erfüllen, die Papst Benedikt XIV. Mitte des 18. Jahrhunderts aufgestellt hat: den gewaltsamen Tod, den Hass auf den Glauben auf Seiten der Verfolger, und die Annahme des Willens Gottes trotz Todesbedrohung.
Die Geschichte des Christentums ist gepflastert mit Blutzeugen. Jesus selbst hat mit seinem Kreuzestod diese Tradition begründet. Doch was die meisten Katholiken – zumal im freien Westen –eher in die Zeit der frühen Kirche datieren, ist brutale Gegenwart. Vor allem in Missionsländern. Christen sind die am meisten verfolgte Religionsgruppe der Welt: Von 100 Menschen, die weltweit wegen ihres Glaubens ermordet werden, sind 75 Christen. Zum ersten Mal seit dem Beginn seines Siegeszuges in der Spätantike habe das Christentum „Züge der urchristlichen Kleinheit und Verletzlichkeit wiedergewonnen“, stellte der ZEIT-Autor Jan Roß unlängst fest.
Märtyrer sind keine Täter
Niemand wünscht sich einen gewaltsamen Tod. Selbst dem noch so opferbereiten Christen ist es nicht gestattet, sich einen Märtyrertod zu wünschen. Obwohl es in frühen Epochen der Kirchengeschichte so etwas wie Martyriumssehnsucht gab. Ganz abgesehen von jenen dunklen Zeiten, in denen der Tod eines Kreuzfahrers, der mit dem Schwert in der Hand für das Christentum in den Heiligen Krieg zog, als Martyrium gedeutet werden konnte. Weit entfernt von islamistischen Selbstmordattentätern unserer Tage, die sich und andere um des Glaubens und des eigenen Heils willen in den Tod stürzen und Märtyrer nennen, waren diese Christen also nicht immer. Doch der Märtyrer im christlichen Verständnis ist kein Täter und schon gar keiner, der Unschuldige mit in den Tod reißt. Er ist vielmehr ein Opfer. Der Märtyrerbegriff habe in der Alltagssprache einen inflationären Bedeutungswandel erfahren, stellt Moll fest. „Wenn ein Politiker abgesetzt wird, dann heißt es, das sei ein Märtyrer der Bundeskanzlerin. Wenn ein Fußballspieler vom Bundestrainer gerügt und vom Platz gewiesen wird, gilt er in der Presse als Märtyrer. Das ist nicht das entscheidende und substanzielle Verständnis des Märtyrers. Wir bleiben bei dem ursprünglichen Begriff ,martys‘ – der Zeuge: Der Märtyrer soll Zeuge der Wahrheit sein, er soll nicht einer Ideologie folgen, für die er zu sterben bereit oder sich selber umzubringen in der Lage ist. Sondern er soll Zeugnis geben von der Wahrheit, die in Christus Gestalt genommen hat, und wie er bereit sein, für den Glauben, wenn es nötig ist, auch zu sterben.“ Aber: Sind wir für die Sache Gottes nicht lebendig nützlicher als tot? „Wenn Christus selber am Kreuz gestorben ist, dann kann der Jünger, der diesen Weg nachgehen will, nicht ein bequemes Wellnessleben führen“, antwortet Prälat Moll. „Der Christ von heute ist aufgerufen, seinem Meister zu folgen. Nicht nur in der Verkündigung des Evangeliums, sondern auch, dass er für das Evangelium mitleidet und notfalls für seinen Glauben stirbt.“ So unbequem das klingen mag: Das Einstehen dafür, Christ zu sein mit allen Konsequenzen, ist ein wesentliches Element des Glaubens, grundlegend für die christliche Identität, von Anfang an. Wer sich das klar macht, kann befreit die Möglichkeiten nutzen, die unser Gesellschaftssystem bietet. Das gilt für die öffentliche Religionsausübung wie für ethische und gesellschaftliche Impulse aus Glaubensüberzeugung.
Authentische Vorbilder
Der Märtyrer operiert eigentlich aus einer Position der Schwäche, die er in einen Triumph zu verwandeln sucht, einen Sieg. Und der findet nicht in einem irdischen, sondern in einem himmlischen Reich statt. „Die Provokation einer solchen Haltung liegt heute darin, dieses Leben nicht als ‚letzte Chance‘ zu begreifen, sondern etwas darüber zu setzen“, betont Moll. „Paulus sagt, wir sind Pilger und Fremdlinge auf dieser Erde. Wir sind hier unterwegs, aber nicht am Ziel. Seine Sehnsucht, für Christus zu sterben, entspringt dem Verlangen, mit Gott verbunden zu sein. Das Sterben ist eben nicht ein schriller Misston, der meinem Leben ein schnelles Ende setzt. Und der Tod ist auch nicht die Endstation, wie 40 Prozent der Menschen meinen, sondern die Begegnung mit dem lebendigen Gott.“
Doch man muss kein gläubiger Christ sein, um von Märtyrern beeindruckt zu sein. „Die Menschen suchen im Inneren doch immer authentische Vorbilder und glaubwürdige Exempel, wo Innen und Außen aufeinander ganz bezogen sind“, sagt Moll. „Die finden sie heute leider weder in der Politik noch im Sport noch im Showgeschäft. Die Menschen interessieren sich für Märtyrer, weil sie uns zeigen, dass es sich lohnt, ein glaubwürdiges Leben gelebt und eine Überzeugung wirklich bis in den Tod offenkundig gemacht zu haben.“ Märtyrer werfen uns auf die Frage zurück: Was ist der Sinn des Lebens? Wofür lohnt es sich zu leben – und zu sterben? Sie bezeugen, „dass der Mensch eine Höhe erreichen kann, in der die Wahrheit stärker ist als alle Gewalt“, schrieb Erich Fromm. Das ist es, was ihn im Gedächtnis der Menschen unsterblich macht.
„Das Blut der Märtyrer ist die Saat der Kirche“, lautet ein Satz vom Kirchenlehrer Tertullian. Das stimmt nicht immer, sagt Moll. In Japan zum Beispiel, wo im 17. und 18. Jahrhundert viele Christen umgebracht wurden, habe das Blut der Märtyrer diese Wirkung nicht gehabt. Aber in Liberia. Für fünf Schwestern vom Orden der „Anbeterinnen des Blutes Christi“ (ASC) nahm ihr missionarischer Einsatz in Gardnersville ein jähes Ende. Ihre Arbeit schien zuvor kein Ende zu nehmen: Krankenpflege, Schulunterricht, Nachbarschaftshilfe und die große Aufgabe, den Frauen von Gardnersville zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu verhelfen. Dafür waren sie aus Illinois/USA nach Liberia gekommen. Täglich konnten sie das Dröhnen der Gewehre und das Donnern von Mörsern hören. Der Bürgerkrieg kam Tag für Tag näher. Bleiben oder fliehen? Sie haben diese Wahl nie ernsthaft getroffen. Denn es gab so viel zu tun. Dafür waren sie hier. Und dafür wollten sie bleiben. Das Ende kam schnell und brutal: Zwei Schwestern wurden auf der Straße aus einem Hinterhalt erschossen, die anderen drei auf dem Klostergelände. Damals, 1992, war die gesamte Kommunität in Liberia vernichtet. Physisch. Doch ihr Geist blieb lebendig. Klerus und Gemeinden pflegten die Erinnerung an sie: Sie gründeten eine „Heilige Märtyrer“-Pfarrei, errichteten ein Kreuz zu Ehren der fünf Blutzeuginnen, Gesundheits- und Bildungsinstitutionen wurden nach ihnen benannt und einige Absolventen von ASC-Schulen gaben ihren Kindern die Namen der Ermordeten. Überall erinnert man sich an ihren Geist der Liebe und ihre schöpferische Hingabe und die Menschen wünschen sich, dass die ASC-Schwestern zurückkommen.
2010 machte der Orden einen neuen Anfang in Liberia. Eine der Schwestern erzählt: „Einmal rief ein Mann mich zu sich und sagte: ,Du kannst hier niemals weggehen. Denn unser Boden ist mit dem Blut deiner Schwestern getränkt und wird deshalb für immer dein Zuhause sein.‘ “
Von Veronika Buter
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