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Spu­ren des Ko­lo­nia­lis­mus

Cé­l­ia Xa­kria­bá trägt ih­ren Kopf­sch­muck aus Über­zeu­gung. Die jun­ge Ak­ti­vis­tin kämpft für
die Sicht­bar­keit der in­di­ge­nen Völ­ker in Bra­si­li­en. Die Po­li­tik des ak­tu­el­len Prä­si­den­ten
Jair Bol­sona­ro droht de­ren Le­bens­raum zu zer­stö­ren. Ihr Kampf zeigt ei­ne der Spu­ren, die der
Ko­lo­nia­lis­mus in der mo­der­nen Welt hin­ter­las­sen hat.

Die Vor­stel­lung, dass ei­ni­ge Völ­ker die­ser Welt nicht in der La­ge sei­en, sich selbst zu re­gie­ren und statt­des­sen Un­ter­stüt­zung von so­ge­nann­ten „zi­vi­li­sier­ten Völ­kern“ brau­chen, klingt heut­zu­ta­ge alt­mo­disch. Denn for­mal exis­tiert Ko­lo­nia­lis­mus nicht mehr. Zwi­schen 1945 und 1960 er­lang­ten et­wa drei Dut­zend afri­ka­ni­sche und asia­ti­sche Staa­ten die Un­ab­hän­gig­keit von ih­ren eu­ro­päi­schen Ko­lo­nial­her­ren. Den­noch wird bis heu­te im­mer wie­der der Vor­wurf laut, dass wir nicht in ei­ner vom Ko­lo­nia­lis­mus be­f­rei­ten, das heißt in ei­ner post­ko­lo­nia­len Welt leb­ten, son­dern viel­mehr in ei­ner Welt, die ei­ne neo­ko­lo­nia­le Ord­nung auf­weist.Vie­le Spu­ren des Ko­lo­nia­lis­mus sind auch in un­se­rer mo­der­nen Welt noch zu fin­den: et­wa wenn in­ter­na­tio­na­ler Han­del zu Aus­beu­tung führt, in­di­ge­ne Völ­ker aus ih­rem Le­bens­raum ver­trie­ben wer­den oder wenn ehe­ma­li­ge Ko­lo­nial­mäch­te die da­mals in ih­ren Ko­lo­ni­en er­beu­te­te Kunst heu­te nicht zu­rück­ge­ben. Das Er­be des Ko­lo­nia­lis­mus wirkt noch im­mer in un­se­ren Köp­fen: Es zeigt sich da­rin, wie wir mit an­de­ren Men­schen um­ge­hen.

Plas­tik­müll für Viet­nam
Der welt­wei­te Han­del mit Müll ist ein Bei­spiel un­ter vie­len für re­spekt­lo­sen Um­gang mit Men­schen und Um­welt. Jähr­lich ver­schifft Deut­sch­land rund ei­ne Mil­li­on Ton­nen Plas­tik­müll im Wert von knapp 350 Mil­lio­nen Eu­ro nach Asi­en. Das ent­spricht laut Na­tur­schutz­bund (NA­BU) et­wa ei­nem Sechs­tel des ins­ge­s­amt in Deut­sch­land pro­du­zier­ten Plas­tik­mülls. Die Zah­len aus Ge­samt­eu­ro­pa dürf­ten deut­lich dar­über lie­gen. Statt im Re­cy­c­ling oder ei­ner si­che­ren eu­ro­päi­schen Müll­ver­b­ren­nungs­an­la­ge lan­det der Ab­fall in Asi­en häu­fig auf dre­cki­gen De­po­ni­en oder im Meer. Als Recht­fer­ti­gung di­ent das Ar­gu­ment, dass hier so­ge­nann­te Müll­samm­ler noch ver­wert­ba­re Ma­te­ria­li­en aus­sor­tie­ren und sie zu ei­nem klei­nen Preis wei­ter­ver­kau­fen. Welt­weit ar­bei­ten et­wa 15 bis 20 Mil­lio­nen sol­cher Müll­samm­ler in der in­for­mel­len Ab­fall­wirt­schaft, laut An­ga­ben der Ge­sell­schaft für In­ter­na­tio­na­le Zu­sam­men­ar­beit (GIZ). Sie ha­ben we­nig Per­spek­ti­ven, aus die­sem Kreis­lauf her­aus­zu­kom­men, so lan­ge welt­weit nicht we­ni­ger Müll pro­du­ziert und größ­t­en­teils auch im ei­ge­nen Land ent­s­orgt wird. Dem­nach exis­tie­re für die gro­ße Mehr­heit der „Drit­ten Wel­t“ noch im­mer ei­ne „ko­lo­nia­le Ar­beits­tei­lung“, so Aram Ziai, Po­li­tik­wis­sen­schaft­ler am Bon­ner Zen­trum für Ent­wick­lungs­for­schung. Roh­stof­fe für den glo­ba­len Nor­den, Müll und über­schüs­si­ge Wa­ren für den glo­ba­len Sü­den.

Denn his­to­risch wa­ren die Ko­lo­ni­en häu­fig als neu­er Ab­satz­markt für die auf­st­re­ben­den In­du­s­trie­län­der in­ter­es­sant. Was zu Hau­se nicht ver­kauft wer­den konn­te, bot man dort an. Die­se Pra­xis gibt es auch noch heu­te, oft un­ter dem Deck­man­tel des Frei­han­dels. Der Dum­ping­ex­port von eu­ro­päi­schem Ge­flü­gel in afri­ka­ni­sche Län­der, ge­gen den sich die jun­gen Staa­ten un­ter an­de­rem durch die Ab­hän­gig­keit von Ent­wick­lungs­gel­dern kaum weh­ren kön­nen, ist ein Bei­spiel. So be­sch­loss Gha­na im Jahr 2003 ein Ge­setz, wel­ches die Ein­fuhr­zöl­le auf Ge­flü­gel von 20 auf 40 Pro­zent er­höhen soll­te. Zu­vor hat­te die Re­gie­rung fest­ge­s­tellt, dass der An­teil der ein­hei­mi­schen Ge­flü­gel­pro­duk­ti­on am gha­nai­schen Markt von 95 auf elf Pro­zent ein­ge­bro­chen war. Die höhe­ren Zöl­le soll­ten die ein­hei­mi­schen Bau­ern vor den bil­li­gen Ge­flü­gel­pro­duk­ten aus der EU schüt­zen. Nach Be­ra­tun­gen mit dem In­ter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fond (IWF) nahm Gha­na die Ge­set­ze je­doch plötz­lich zu­rück. Die Par­la­ments­mit­g­lie­der spra­chen im An­schluss von Druck durch den IWF, die lo­ka­len Bau­ern­ver­bän­de von ei­nem Dik­tat. In die­sem Fall er­scheint der Vor­wurf neo­ko­lo­nia­ler Be­ein­flus­sung laut Aram Ziai plau­si­bel, auch wenn die Ein­schrän­kung der gha­nai­schen Sou­ve­räni­tät hier nur in in­for­mel­len Ge­sprächen statt­fand. Das Zau­ber­wort des wel­t­um­span­nen­den Han­dels ist die Glo­ba­li­sie­rung, de­ren An­fän­ge zu­rück in die Ära des Ko­lo­nia­lis­mus füh­ren: Erst durch die Lie­fe­rung von Roh­stof­fen aus den Ko­lo­ni­en wa­ren Ko­lo­nial­mäch­te wie Großbri­tan­ni­en, Fran­k­reich und Deut­sch­land in der La­ge, ih­re Ent­wick­lung vor­an­zu­t­rei­ben und im­mer mehr Tech­no­lo­gie zu pro­du­zie­ren. Der Welt­han­del ist durch­zo­gen von ko­lo­nia­len Spu­ren, und wo er aus­beu­tet, schränkt er die Selbst­be­stim­mung an­de­rer ein.

„Ko­lo­nia­lis­mus be­ginnt in den Köp­fen“
Auch die In­di­ge­ne Cé­l­ia Xa­kria­bá be­trach­tet ei­ne Ein­schrän­kung in ih­re kul­tu­rel­le Selbst­be­stim­mung als ko­lo­nia­les Han­deln. Ih­re ers­te Schu­le sei der „in­di­ge­ne Kampf“ ge­we­sen, „das Be­wusst­sein, dass Ko­lo­nia­lis­mus in den Köp­fen“ be­gin­ne. Wenn Bra­si­li­ens Prä­si­dent Jair Bol­sona­ro die tra­di­tio­nel­len Ter­ri­to­ri­en der Ur­ein­woh­ner im Ama­zo­nas-Re­gen­wald nicht an­er­kennt, um sie zur Roh­stof­f­aus­beu­tung frei­zu­ge­ben, be­droht er auch das Fort­be­ste­hen hier le­ben­der Volks­grup­pen. Die St­ra­te­gie sei, In­di­ge­ne als Hin­der­nis für den Fort­schritt dar­zu­s­tel­len, so die 29-jäh­ri­ge Ak­ti­vis­tin. Das Ziel: „uns kul­tu­rell aus­zu­lö­schen“. Auch des­halb trägt sie stolz ih­ren Fe­der­kopf­sch­muck. Sie kämpft für die Sicht­bar­keit in­di­ge­ner Völ­ker in Bra­si­li­en, hält Re­den vor po­li­ti­schen Gre­mi­en welt­weit. Wenn der Ama­zo­nas wei­ter­hin zu we­nig vor der mo­der­nen Kul­tur des Raub­baus ge­schützt wird, hät­te dies weit­rei­chen­de Fol­gen für rund ei­ne
Mil­li­on In­di­ge­ne, al­lein in Bra­si­li­en.

Der Ur­sprung der mo­der­nen Kul­tur sei phi­lo­so­phisch in der Auf­klär­ung zu fin­den, so der ja­mai­ka­ni­sche Phi­lo­soph Char­les Mills. Und aus­ge­rech­net bei Im­ma­nu­el Kant ha­be er den Satz ge­fun­den, dass „die Mensch­heit in der Ras­se der Wei­ßen zu ih­rer größ­ten Voll­kom­men­heit“ ge­langt sei. Heut­zu­ta­ge scheint zwar we­ni­ger die Ras­se oder die Haut­far­be aus­schlag­ge­bend für aus­beu­te­ri­sche Macht­ver­hält­nis­se zu sein. Doch das Dik­tat des Fort­schritts und der Wett­be­werbs­fähig­keit am Welt­markt hat sei­ne ganz ei­ge­ne Macht ent­wi­ckelt. Man stel­le sich vor, die Kul­tur der Sc­höp­fungs­be­wah­rung vie­ler in­di­ge­nen Grup­pen hät­te sich gleich­be­rech­tigt ent­wi­ckelt: In den Au­gen Xa­kria­bás könn­ten al­le Völ­ker fried­lich mit­ein­an­der le­ben. Sie set­ze gro­ße Hoff­nun­gen in die eu­ro­päi­sche Klima­be­we­gung.

Ko­lo­nia­le Kunst in Mu­se­en
Auch vie­le Nach­fah­ren von Op­fern des Ko­lo­nia­lis­mus möch­ten nur eins: fried­lich le­ben und gleich­be­rech­tigt be­han­delt wer­den. Für vie­le ge­hört ei­ne of­fi­zi­el­le Ent­schul­di­gung der ehe­ma­li­gen Ko­lo­nial­staa­ten da­zu. Dies zeigt sich et­wa in ak­tu­el­len De­bat­ten um zahl­rei­che ko­lo­nia­le Kunst­schät­ze, die im Fal­le Deut­sch­lands vor al­lem aus „Deutsch-Süd­we­st­afri­ka“, dem heu­ti­gen Na­mi­bia, stam­men und in deut­schen Mu­se­en la­gern. Heu­te gilt die Kunst als Raub­kunst. 20000 Ex­po­na­te aus al­ler Welt ge­be es in der Bun­des­re­pu­b­lik, doch wie vie­le zwei­fel­haf­ter Her­kunft sind, sei der Re­gie­rung nicht be­kannt. Seit Jah­ren for­dern die Nach­fah­ren der da­mals Ko­lo­ni­sier­ten, An­ge­hö­ri­ge der in­di­ge­nen Volks­grup­pen der Na­ma und He­re­ro, un­ter an­de­rem die Rück­ga­be sol­cher Kunst­ge­gen­stän­de von Deut­sch­land.

Dies sei vor al­lem im Sin­ne ei­nes kul­tu­rel­len Aus­tau­sches, so der Ham­bur­ger Ko­lo­nia­lis­mus­for­scher Jür­gen Zim­me­rer. Man müs­se den Men­schen die Mög­lich­keit ge­ben, „die Kunst ih­rer Vor­fah­ren an­se­hen zu kön­nen“. Doch bis­her hat we­nig Au­f­ar­bei­tung in der Fra­ge der Raub­kunst statt­ge­fun­den, nur ein­zel­ne Ob­jek­te wur­den an Na­mi­bia zu­rück­ge­ge­ben. So lan­ge wir aber sol­che Fra­gen ver­drän­gen, Volks­grup­pen un­ter­drü­cken und wei­ter aus­beu­te­ri­schen Han­del be­t­rei­ben, set­zen wir ko­lo­nia­le Denk­mus­ter fort.

Fo­to: Car­val­ho/ZU­MA Wi­re/Ala­my Li­ve News
Text: Le­na Mons­hau­sen



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