Die heitere RebellionDie Nachkommen der Sklaven in Ecuador kämpfen bis heute um ihre Rechte. Nach dem Erdbeben
von 2016 will die Regierung sie von der Insel Muisne vertreiben, um dort Hotels zu bauen.
Die Comboni-Missionare unterstützen den kreativen Protest der Bevölkerung. |
Text: Sandra Weiss; Fotos: Florian Kopp
Inmitten eingestürzter Fischerhütten stimmt Linver Nazareno einen fröhlichen Rhythmus auf der Marimba an. Das hölzerne Xylophon stammt aus Afrika, dem Land seiner Vorfahren. Für Nazareno ist es ein Symbol der Hoffnung und des Widerstands: „Selbst wenn sie uns alles nehmen, haben wir noch immer unsere Kultur“, sagt der Musiker. Nazareno ist ein sympathischer Mann, jemand, der immer Rat weiß – oder zumindest mit einem lustigen Spruch die Stimmung auflockert. Der 42-Jährige ist viel Kummer gewöhnt. Seine Heimat, die Insel Muisne vor der ecuadorianischen Pazifikküste, war das Epizentrum des schweren Erdbebens, das im April 2016 über 650 Menschen das Leben kostete und wirtschaftliche Schäden in Höhe von drei Milliarden US-Dollar anrichtete.
Vernachlässigte Smaragdküste
Schon vor dem Beben war die Region vernachlässigt. „Esmeraldas“, Smaragde, tauften die spanischen Kolonialherren im 16. Jahrhundert die grüne, von dichten Wäldern und Mangroven bewachsene Küste. Edelsteine fanden sie dort nicht, dafür aber recht streitbare Ureinwohner, weshalb die Eroberer ihre Fahrt lieber fortsetzten. Die ersten Siedler waren schwarze Sklaven, die nach dem Schiffbruch ihres Frachters in die unwegsamen Wälder flohen und dort bald ihre eigene Republik errichteten. „Frei durch Rebellion“, lautet das Motto der Provinz. Weit weg von der Hauptstadt Quito, wo die spanischen Kolonialherren ihre Pracht entfalteten, waren sie über Jahrhunderte hinweg auf sich allein gestellt.
Musik, Tanz und Gesang sind bis heute der Rückhalt einer vom Schicksal gebeutelten Gemeinschaft, und in der „Casa Palenque”, dem kirchlich geförderten Kulturzentrum in der Provinzhauptstadt Esmeraldas, findet die Afro-Gemeinschaft ein Refugium.
Diskriminierung ist tief verwurzelt
Führungsfiguren wie Nazareno zu erkennen und zu fördern, ist ein wichtiger Bestandteil der Schwarzenpastorale des Vikariats von Esmeraldas, wie ihr Leiter, der Comboni-Vikar Martín Balza erläutert, während im Hintergrund laute, fröhliche Musik erklingt. Es ist Afro-Kulturfest auf den Straßen von Esmeraldas. Der süßlich-würzige Duft afrikanischer Gerichte liegt in der Luft, Trommelrhythmen bringen auch die steifsten Hüften zum Schwingen, und das Publikum applaudiert bunt gekleideten Tänzerinnen, die akrobatische Einlagen darbieten. Zum feierlichen Anlass haben sich ein Abgeordneter aus Quito und Provinzgrößen eingefunden. Breit lächelnd lassen sie sich mit der örtlichen Schönheitskönigin ablichten. Auf Festen und Ehrungen zeigen sich die Politiker gerne und beschwören die Integration. Doch wenn schwarze Aktivisten auf der Bühne das Wort ergreifen, wird schnell klar, dass den vielen Versprechungen wenig Taten folgen. Die Diskriminierung ist kulturell noch immer tief verwurzelt.
Eine abgeschiedene Region
Erst seit 1997 werden Schwarze, die über eine Million der Ecuadorianer stellen, in der Verfassung überhaupt als Staatsbürger erwähnt. Bislang gab es erst einen einzigen schwarzen Minister; und Balza bangt, ob der im kommenden Jahr auslaufende Nutzungsvertrag für das Kulturzentrum von den Behörden verlängert wird. Dass sich die schwarze Kultur so lange behaupten konnte, liegt auch an der Abgeschiedenheit der Region. Bis Ende des 18. Jahrhunderts gab es nur Trampelpfade vom Hochland in diese Küstengegend. „Erst vor hundert Jahren wurde eine Straße gebaut“, erzählt Balza. Sie diente vor allem dazu, die Schätze aus Esmeraldas abzutransportieren – vor allem Edelhölzer und Gold. Später kamen die Agro-Monokulturen Zucker, Kakao und Ölpalmen dazu, dann die industrielle Krabbenzucht, für die die Mangroven abgeholzt wurden. „Der Gewinn ging an die Kapitalisten, und die Armen blieben in einer Wüste zurück“, kritisiert der Bischof von Esmeraldas, Eugenio Arellano. „Die Industrie war stärker als die Gesetze.“ Seit 40 Jahren lebt der aus Spanien stammende Comboni-Missionar in der Region. Im Gegensatz zur Elite Ecuadors. Die blieb weiter im Hochland wohnen; die Schwarzen aus Esmeraldas waren für sie billige Arbeitskräfte. Wenig wurde investiert in Bildung und Infrastruktur. 51 Prozent der Bevölkerung gelten als arm; elf Prozent sind Analphabeten.
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