Träume wagenKolumbiens Regierung hat die Hafenstadt Tumaco abgeschrieben. Nicht so der Comboni-Orden.
Dessen „Casa Afro“ holt Jugendliche weg von Gewalt und Kriminalität
und eröffnet ihnen neue Chancen. |
Text: Sandra Weiss
Fotos: Florian Kopp
Luiser Dajome bietet der Statistik die Stirn. Theoretisch hat der schlacksige junge Schwarze kaum eine Chance, vom vorgezeichneten Weg abzuweichen. Wer aus dem Viertel Nuevo Milenio in der kolumbianischen Hafenstadt Tumaco stammt, der ist gebrandmarkt. Für den Rest der kolumbianischen Gesellschaft ist der vor allem von Schwarzen bewohnte Stadtteil der Vorhof zur Hölle.
In Tumaco wohnten nur Drogenhändler, Prostituierte und Guerilleros, hört man bei den Cocktailpartys der Elite in der Hauptstadt Bogotá. Kaum einer von ihnen hat je einen Fuß in die schwüle Hafenstadt am Pazifik gesetzt. Der Anblick von Nuevo Milenio ist erschreckend: Das Viertel wurde auf abgeholzten Mangroven errichtet und wird regelmäßig überflutet. In den hölzernen Pfahlbauten ist es stickig, Moskitos plagen die Bewohner. Es stinkt nach Benzin, Gammelfisch und Urin. Hupende Mopeds umkurven Müllberge und mit Wasser gefüllte Schlaglöcher. Kinder irren halbnackt durch die Straßen. Der Staat überlässt die Bewohner sich selbst.
Gangs beherrschen die Stadt
Es gibt keinen Trinkwasseranschluss, keine Abwasserleitungen und nur ein schlechtes Strom- und Telefonnetz. Ein paar beengte, Stacheldraht bewehrte Schulen sind leicht zu verwechseln mit der Kaserne, die an der einzigen Zufahrtsstraße in das Viertel errichtet wurde. Doch schon einen Steinwurf von deren Wachtürmen entfernt beginnt die Herrschaft der Drogengangs. Junge Männer mit Baseballkappen lungern dort an den Straßenecken und beobachten offenbar beiläufig das Geschehen. Es sind Späher und Verbindungsleute der Drogenmafia. Sie haben es auf Jungs wie Luisner abgesehen. Die sind leichte Beute für ein schmutziges Geschäft, in dem die Jugendlichen von Tumaco verschlissen werden.

Ulrike Purrer, Leiterin des Jugendhauses „Casa Afro“, und Luisner
Außerhalb von Tumaco gibt es keine Straßen, nur Flussverbindungen. Fast alle im Landesinnern leben vom Anbau von Koka, der Grundlage für Kokain. „Meine Familie stammt vom Land“, erzählt Luisner. Er spricht leise, denn man weiß nie so genau, wer zuhört. Holzwand an Holzwand lebt man hier. Der 23-Jährige hört den ohrenbetäubenden Reggaeton zu nachtschlafender Zeit aus dem angrenzenden Haus. Er bekommt mit, wenn der betrunkene Nachbar seine Frau schlägt oder sich an der Stieftochter vergeht. Doch jetzt ist es still, offenbar ist niemand zu Hause. „Irgendwann wurden wir bedroht und flohen in die Stadt“, sagt Luisner.
Um die Kontrolle über die Kokabauern und ihr Produkt tobt ein blutiger Kampf zwischen verschiedenen Drogenbanden. Die Flucht in die Stadt brachte nur kurz Erleichterung. Bald zog der Vater zu einer neuen, jüngeren Frau, Luisners Mutter stand mit zehnhungrigen Kindern alleine da. Sie begann, Süßigkeiten im Stadtzentrum von Tumaco zu verkaufen, wo mehr Men- schen einen festen Job haben und das Geld lockerer sitzt.
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