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Der Vormarsch der Islamisten
Burkina Faso, Niger, Benin oder Mosambik: In vielen afrikanischen Ländern, die bisher für ein friedliches Zusammenleben von Christen und Muslimen standen, fassen Islamisten Fuß. Thérèse Millogo ist Lehrerin und gehört der Kongregation der Kleinen Schwestern von der heiligen Kindheit an. Die 57-Jährige berichtet von der Situation in Burkina Faso.
Wie war die Situation in Burkina Faso vor den ersten Anschlägen?
In Burkina Faso beruht die religiöse Koexistenz auf einer langen Tradition des zivilen Friedens. Früher konnte jeder Besucher, der in unser Land reiste, feststellen, dass Toleranz herrscht. In Burkina Faso gab es nie einen zivilen Konflikt oder Spannungen aufgrund der Religionszugehörigkeit. Muslime, Christen, und Animisten lebten zusammen, waren Nachbarn, besuchten sich gegenseitig und heirateten. Die Anschläge vom Januar 2016 waren ein Schock, sowohl für die Bevölkerung als auch für die herrschende Klasse. Angst und Misstrauen breiteten sich im Land aus. Die Identifizierung der Urheber dieser Anschläge war Anlass für eine gewisse Stigmatisierung der muslimischen Religion.
Warum breitet sich der Islamismus in Burkina Faso aus?
Die Frage ist komplex. Wir können nur Hypothesen aufstellen. In der Tat war die politische, humanitäre, soziale und administrative Elite lange Zeit nicht muslimisch, obwohl die Muslime in der burkinischen Bevölkerung die Mehrheit bilden. Beispielsweise wurde das katholische Schulwesen lange Zeit als ein Instrument der Kolonialherrschaft angesehen. Die „Schule des Weißen“ sollte daher vermieden werden. Dies zeigt sich in der Vielzahl der Schulen, die heutzutage unter dem Kommando der Terroristen geschlossen werden. Die muslimische Religion, die keine politischen, humanitären, sozialen oder administrativen Aufgaben hatte, stand lange Zeit unter der Herrschaft des Gewohnheitsrechts, dann der Kolonialisierung und schließlich des Katholizismus. Die Unsicherheit ist zwar größtenteils auf eine Ausweitung des Grenzkonflikts zurückzuführen, die Krise in Burkina deutet jedoch auch auf eine endogene soziale Dynamik hin.
Das bedeutet?
Die bewaffnete Gruppe, die der Hauptakteur der Unsicherheit zu sein scheint, ist in erster Linie eine Protestbewegung gegen die soziale Ordnung, die in der überwiegend muslimischen Sahelzone Burkina Fasos herrscht. Die Bewegung tritt für die Gleichheit der sozialen Klassen ein. Sie bringt die Beschwerden der schweigenden Mehrheit zum Ausdruck, die weder über politische Macht noch über religiöse Autorität verfügt, keine Arbeitsplätze hat und von Armut geprägt ist. Der Islam wird somit zum Bezugspunkt für den Protest gegen eine erstarrte Gruppe, die Frustrationen produziert. Armut und Arbeitslosigkeit sind zweifellos Faktoren. Die Rekrutierung kann bei Jugendlichen, die in prekären Verhältnissen leben und arbeitslos sind, leichter sein. Es versteht sich auch von selbst, dass sich Jugendliche in Gebieten, in denen der Staat am wenigsten in Infrastruktur und soziale Güter für die Entwicklung investiert, verlassen fühlen und eher bereit sind, auf die Forderungen der Anwerber zu reagieren.
Was heißt das für Ihren Alltag?
In unserer Schule bilden muslimische Kinder die Mehrheit. Wir bemühen uns um Patenschaften für alle Kinder aus prekären Familienverhältnissen, unabhängig von ihrer Religion. Wir halten uns an unser Bildungsprojekt, das mit Gebet und Religionsunterricht verbunden ist, mit striktem Respekt vor anderen Religionen. In der Kranken- und der Entbindungsstation kommen die verschleierten muslimischen Frauen am häufigsten. Wir sind erstaunt über ihre Offenheit, ihre Freude, unser Gesundheitssystem zu besuchen, und sie drücken offen aus, dass sie gut aufgenommen und behandelt werden. Es gibt kein Zögern und keine Angst, sie wie jeden anderen Menschen ohne Diskriminierung zu empfangen und zu pflegen. Auch an unserem Hydranten, an dem wir täglich Wasser ausschenken, sind muslimische Frauen am zahlreichsten vertreten. An muslimischen Feiertagen wie Tabaski bringen sie uns Essen mit, und an Weihnachten bringen wir ihnen kleine Kuchen. Ihre Kinder warten auf uns, wenn wir von der Messe zurückkommen. Wir finden es wunderbar, dass muslimische Eltern ihren Kindern die Freiheit lassen, sich mit christlichen Kindern zu treffen, die auch ihre Nachbarn sind.
Inwieweit können die Kirche und Ordensleute eine vermittelnde Rolle spielen?
Zunächst einmal könnten die staatlichen Behörden in stark islamisierten Gebieten wie Djibo die Einrichtung einer „Brüderlichen Vereinigung der Gläubigen“ fördern, einer Vereinigung mit Sitz in Dori, die sich für Toleranz und religiösen Dialog einsetzt. Um intolerante und hasserfüllte Äußerungen zu bekämpfen, könnte eine minimale Regulierung des religiösen Diskurses in Betracht gezogen werden, bei der die religiösen und gewohnheitsrechtlichen Autoritäten eine Schlüsselrolle spielen könnten. Dies erfordert eine bessere Kenntnis der religiösen Landschaft, eine stärkere Unterstützung der islamischen Bildung und Investitionen in die Ausbildung von Imamen und muslimischen Gelehrten, um ihnen die Werkzeuge zur Bekämpfung von Ideen an die Hand zu geben, die Gewalt und Intoleranz fördern. Da die Legitimität von Geistlichen und Gewohnheitsrechtlern manchmal in Frage gestellt wird, geht es auch darum, sicherzustellen, dass sie ausreichend repräsentativ sind, dass sie nicht als kompromittiert oder vom Staat bezahlt wahrgenommen werden und dass die Jugend das Gefühl hat, dass ihre Interessen dort vertreten werden.
Welchen Beitrag zum Frieden kann die Kirche leisten?
Die Kirche im Allgemeinen und die Ordensgemeinschaften im Besonderen müssen ihre Schulen weiterhin für alle Religionen öffnen, ohne den Anspruch zu erheben, bekehren zu wollen. Sie sollten ihr Bemühen fortsetzen, das Menschliche und Spirituelle in allen Menschen zu formen, ohne die katholische Religion über eine andere zu stellen. Der interreligiöse Dialog ist eine Verpflichtung der Kirche in Burkina. Die religiösen Autoritäten müssen sich weiterhin gegenseitig besuchen und konsultieren, um Maßnahmen für den Frieden zu ergreifen. Schritte zur Befriedung der Nation werden immer mit unseren Bischöfen und den anderen religiösen Führern unternommen.
Was müsste getan werden, um den Islamismus einzudämmen?
Zunächst einmal: Die endgültige Lösung des Islamismus in Burkina hängt zum Teil von der Sicherheitsstabilisierung der Grenzländer sowie von der Umsetzung wirksamer Entwicklungspläne durch die Regierung und ihre Partner ab. Sie müssen Arbeitsplätze schaffen, um zu verhindern, dass junge Menschen islamistischen Gruppen beitreten und darauf achten, der Bevölkerung die notwendigen Mittel zum Überleben zur Verfügung zu stellen. Denn solange die lokale Sozialordnung weiterhin Frustration, extreme Armut und Konflikte aller Art hervorbringt, wird es schwierig sein, eine endgültige Lösung der Krise zu finden. Die Schaffung eines neuen sozialen Gleichgewichts und die Beilegung der derzeitigen Spaltung durch die lokale Bevölkerung ist dringend erforderlich, indem die Freigabe von Entwicklungsgeldern für die Ernährungssicherung beschleunigt wird und zusätzliche Programme zur Subventionierung oder direkten Lieferung von Grundnahrungsmitteln aufgelegt weren, um die soziale Unzufriedenheit zu verringern und die Kaufkraft der burkinischen Haushalte zu stärken. Auf organisatorischer Ebene: Intensivierung der Beziehungen zu den Muslimen durch Schaffung eines Rahmens für Treffen, Austausch und Meinungsbildung zu bestimmten für die Stadt wichtigen Themen.
Interview: Eva-Maria Werner
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