Hoffnungsträger: Anders als viele ihrer Altersgenossen sind diese Jugendlichen kirchlich aktiv. Foto: Franziskanerinnen Reute |
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Jugend zwischen Tradition und Moderne
Brasilien vor dem Weltjugendtag
Jugendliche in Brasilien machen die Erfahrung, in einer turbulenten Welt des Wandels zu leben. Aus Anlass des Weltjugendtags, der im Juli in Rio de Janeiro stattfindet, berichtet Schwester M. Petra Kappius über die Lebenswirklichkeit in dem lateinamerikanischen Land. Die Franziskanerin von Reute, die in Brasilien arbeitet, hört den Teenagern zu und überlegt gemeinsam mit ihnen, wie Kirche lebendig gestaltet werden kann.
Ein Freitag in der Fastenzeit: Mit drei Jugendlichen, zwei Gitarren und etlichen Gepäckstücken sitze ich im Auto, unterwegs auf einer Schotterstraße im Hinterland von Alto Alegre. Alto Alegre ist eine kleine Stadt im Nordosten, dem Armenhaus des inzwischen recht reichen Brasiliens. Sie liegt etwas weiter im Landesinneren und entstand in den 80er-Jahren aus einer Ansammlung von Farmarbeiter-Häusern. Da Alto Alegre günstig an einer Bundesstraßenkreuzung liegt, siedelten sich weitere Menschen an, die Stadt wuchs rasant und zählt heute etwa 30.000 Einwohner. Während der Süden des Landes entwickelt ist, bekommen die Menschen hier nicht viel vom Fortschritt zu spüren. Es ist kaum noch möglich, von der Landarbeit zu leben, und so ziehen die Menschen in die Städte, die aber die vielen Zugezogenen auch nicht ernähren können. Es gibt kaum Industrie. So herrscht eine große Arbeitslosigkeit, und viele Männer müssen in den Süden des Landes gehen, um auf den Zuckerrohrfeldern oder auf dem Bau Arbeit zu finden.
Schlechte Lebensbedingungen und die Tatsache, dass viele Kinder wegen der Arbeitsmigration ohne Väter aufwachsen, lässt die Familienstrukturen immer mehr auseinanderbrechen. Besucht man die Menschen hier, dann wohnt in fast jedem Haus ein Kind, das angenommen ist. Eine Frau erzählte, wie eine junge Mutter nach der Geburt zu ihr sagte: „Ich werfe das Kind auf den Müll.“ Also nahm die Frau das Kind zu sich und zieht es nun groß. Häufig kümmern sich Großeltern und Tanten, oft auch Fremde um die Kinder. Das hinterlässt Spuren in den Seelen der jungen Menschen. Durch die Bolsa Família, ein Sozialprogramm der Regierung, gelangt zwar mehr Geld in den Nordosten und der Mittelstand wächst. Gleichzeitig nehmen aber auch Kriminalität, Alkoholkonsum sowie Prostitution zu, und viele Mädchen werden oft ungewollt sehr jung schwanger.
Leben in einer Zeit des Wandels
Wir sind auf dem Weg nach São Pedro, wo wir ein Besinnungswochenende verbringen werden. Schon länger donnert es, und nun öffnen sich die Schleusen des Himmels, das Gewitter bricht los. Die meisten Jugendlichen fahren die Strecke, etwa drei Kilometer, mit dem Fahrrad und lassen sich auch von dem Unwetter nicht davon abbringen. Unser Besinnungswochenende beginnt also abenteuerlich. In São Pedro angekommen, richten wir uns zunächst ein. Wir sind zu Gast im Haus von Pedro, der hier Früchte und Gemüse anbaut und Hühner mästet. Das Leben ist einfach, das Haus halb aus Ziegelsteinen, halb aus Lehm. Gekocht wird auf dem Kohlefeuer, geschlafen in der Hängematte. Unsere klitschnassen Radfahrer duschen erst einmal und ziehen sich trockene Kleidung an. In mir macht sich das Gefühl breit, in eine andere Zeit zurückversetzt zu sein.
Da tönt laut die neueste Musik durch die Räume, die Jugendlichen haben schließlich ihre Handys dabei – und ich komme wieder im Heute an, in der realen Lebenswelt der Jugendlichen. Wir leben in einer Zeit des Epochenwandels, der Veränderung. Das Alte trägt nicht mehr und das Neue hat sich noch nicht stabilisiert. Am deutlichsten wird hier dieser Umbruch im Umgang mit den Massenmedien. Oft leben die Jugendlichen in einfachen Lehmhäusern, aber überall gibt es Fernsehen und Seifenopern, die einen anderen Lebensstil zeigen. Fast alle haben ein Handy, und wenn auch kaum jemand einen Computer mit Internetanschluss besitzt, so gibt es hier viele öffentliche Internetcafés, in denen die Jugendlichen ihre Facebook-Kontakte pflegen. Noch dominieren Computer und Internet nicht die Lebenswelt der Jugendlichen, aber es wird immer wichtiger. Viele junge Leute, gerade in den Dörfern im Hinterland, sind von dieser Lebenswelt ausgeschlossen, da sie keinen Zugang zur neuen Medienwelt haben. Pedro hat das Abendessen schon fertig. Während wir essen, kommen die letzten beiden Jugendlichen an, im Auto. Mit 13 Leuten sind wir nun komplett – eine kleine, aber engagierte Gruppe. Alle sind in irgendeiner Weise in der Kirche engagiert, in Jugendgruppen, als Katecheten, in der Liturgie.
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