Foto: Comboni-Press/D'Avolio |
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Der Heiler aus Kolumbien
In den 80er-Jahren war ich als Missionar in San Lorenzo, einem Küstenstädtchen Ekuadors. Zur Pfarrei gehörte ein Dorf auf einer Mangroveninsel mit etwa 300 afroekuadorianischen Einwohnern. Dort geschah etwas Merkwürdiges: Ein „Hermanito“, ein Heiler aus Kolumbien,
offerierte seine Dienste. Er gab an, mit Gottes Hilfe zu heilen, verordnete Medikamente und verlangte dafür sehr viel Geld. Jeden Tag fuhren mehrere große Boote mit Menschen, die Heilung suchten, in das Dorf.
Eine spanische Schwester, die sehr beliebt war, fuhr auch auf diese Insel und lud die Gemeinde am Abend zu einem Gebet in die Kapelle ein. Nach Gebet und Gesang sagte sie noch etwas zu dem „Hermanito“. Alles war mäuschenstill, die Schwester sehr nervös. Dann forderte sie die Leute auf, sich nicht hereinlegen zu lassen. Das Ganze sei Betrug. Die übelste Form der Ausbeutung sei die im Namen der Religion.
Die Schwester war auf einen Sturm der Entrüstung gefasst. Doch nichts davon geschah: Die Leute gingen genauso freundlich und friedlich nach Hause, wie sie gekommen waren. Und der „Hermanito“ machte noch einige Wochen genauso weiter wie zuvor.
Wir begriffen: Dass wir, die Patres und Schwestern der Mission, davon nichts hielten, war den Menschen von Anfang an klar. Was die Schwester sagte, hat sie nicht im Geringsten überrascht.
Nie zuvor und nie danach ist mir die Rolle, die wir ausländischen Missionare in den Augen dieser Menschen und in ihrem religiösen Kosmos spielen, so klar geworden. Sie unterscheiden zwischen unserem religiösen Verständnis und ihrem. Wir taufen ihre Kinder, beten in ihren Anliegen, haben ihrer Ansicht nach vielleicht einen direkteren Draht zu Gott. Wir sind Teil ihres religiösen Weltbilds, aber sie unterwerfen sich nicht dem unseren. Sie nehmen von uns an, was sie brauchen. Sie sehen sich auf Augenhöhe mit uns. Und sie haben Recht damit.
Von Pater Reinhold Baumann |