Text: Christina Brunner, Fotos: Bente Stachowske
Zitternd und mit versteinertem Gesicht stehen die zwei Frauen in den Kreisen, den der Hexendoktor um jede gezogen hat. Er umrundet sie mit Geschrei, schüttelt immer wieder die große Rassel, während sie eine kleine Plastikflasche schwenken müssen. Schneller, immer schneller, bis sich in einer Flasche das Wasser plötzlich lila färbt. Die Zuschauer schreien auf: Das ist die Schuldige, die Gefährliche, die Hexe. Die junge Frau stellt die Flasche schnell ab, und flüchtet barfuss aus dem Kreidekreis – nur weg! Dabei hat Mary gewusst, was auf sie zukommt. Denn Philip Lupiya ist kein Hexendoktor. Der 36-Jährige ist Zahntechniker und Mitglied der „Fingers of Thomas“. Einer, der die Finger in die Wunde legt – heute im Pfarrsaal von St. Faustina. Das Theaterstück will die Gemeindemitglieder über die Tricks der Hexendoktoren aufklären, und Mary hat sich bereit erklärt mitzuspielen. Aber unheimlich war es ihr trotzdem.
Hexendoktoren werben überall
„Hexerei ist die Religion Afrikas“, sagt der Afrikamissionar Pater Philip Meraba, der die „Fingers of Thomas“ in Sambias Hauptstadt Lusaka begleitet. Und selbst für getaufte Christen ist sie die einzig mögliche Erklärung für das Böse in der Welt. Zahlen dazu gibt es nur aus dem benachbarten Malawi: Vier von fünf Malawier geben an, an Hexen zu glauben. Zwischen 2019 und 2022 wurden 75 Beschuldigte getötet. Überall in Sambias Straßen hängen Werbeschilder der Hexendoktoren: Du hast Geld verloren? Dein Mann hat dich betrogen? Dein Kind ist tot? Ich finde den, der dir das angetan hat! „Wenn jemand einen Unfall hat, denkt er nicht, dass er zu schnell war, sondern dass ihn jemand verhext hat,“ erklärt Hexendoktor-Schauspieler Philip. „Wenn dann die Hexenjagd losgeht, verlieren Menschen ihr Leben. Das will ich verhindern.“ 2007 hat Pater Bernhard Udelhoven die „Fingers of Thomas“ gegründet, benannt nach dem kritischen Apostel, der nicht alles glauben wollte. Der Afrikamissionar aus Bitburg in der Eifel weiß, wie mächtig der Glaube an böse Mächte sein kann. Er hat sie selbst erlebt, als er im Zimmer eines Kindes wachte, das angeblich nachts von seiner Großmutter auf den Friedhof verschleppt wurde. „Plötzlich war ich komplett gelähmt und habe gespürt: Hier ist eine böse Präsenz. Es war eine schlimme Erfahrung.“ Was ihm in dieser Nacht passiert ist, weiß der 56-Jährige nicht. Aber es hilft ihm, den Glauben der Leute an Hexerei ernstzunehmen. „Wenn ich das nicht tue, dann nehme ich auch die Leute nicht ernst.“
Die große Angst, verhext zu sein
Wer mit seiner Angst, verhext zu sein, bei ihm Rat sucht, bittet oft um Gebet und Segnungen. Pater Udelhoven findet das wichtig. Aber er ist überzeugt, dass das Problem nur gelöst wird, wenn er die angebliche Hexe und den Bedrohten zusammenbringt. Denn häufig verbergen sich dahinter uralte Familienkonflikte und ungelöstes Unrecht. Hexerei zerstört Beziehungen. Verdächtigt wird die alte Oma, die angeblich schuld ist am Tod des jüngsten Kindes, weil sie sich „seine Jahre nehmen wollte“. Der psychisch kranke junge Mann wird im Garten angebunden, weil er verhext sei. Armut und Hunger machen die Schwachen zu Opfern.
Im Pfarrsaal von St. Faustina wissen alle, dass heute nur Theater gespielt wird. Und trotzdem ist die Angst in jedem Moment spürbar. Die Zauberobjekte, die in dem Kreidekreis lauern und von einem ehemaligen Hexendoktor stammen. Die weißgeschminkten Gesichter der beiden Schauspieler, die lärmende Rassel – all das kennen viele Zuschauer nur zu gut. „Hexendoktoren wollen, dass die Leute Angst bekommen. Das nutzen sie aus und machen damit viel Geld,“ erklärt Philip. „Wovor habt ihr Angst?“, ruft Christina Ndakasha, drittes Mitglied der „Fingers“, in den Saal. „Was ihr fürchtet, dem gebt ihr Macht! Wer ist stärker: Jesus Christus oder die Hexen? Wem wollt ihr vertrauen?“ Auch Christina hat sich als verhext erlebt. Sie sah sich in einem brennenden Sarg und hörte Stimmen, die ihr drohten: Morgen wirst du sterben! Die junge Frau glaubte, verrückt zu werden, landete mehrere Male in der Psychiatrie. Bis sie Pater Udelhoven begegnete, der sie verstand. „Er sagte mir: Schau auf Gott! Er liebt dich!“, erzählt Christina und wischt sich die Tränen aus den Augen. „Er betete mit mir und ging mit mir durch diese Hölle – vier Jahre lang. Then I broke free!“ Keine Übersetzung kann die Kraft und Freude wiedergeben, die in diesen Worten steckt. „Gott hat mich aus dem Dunkel geholt! Das möchte ich auch, und deswegen mache ich bei den Fingers of Thomas mit.“
Zwischen Lachen und Hysterie
Plötzlich erfüllen gellende Schreie den Pfarrsaal von St. Faustina, die Leute klettern in Panik auf die Stühle. Eine Schlange! Grinsend hält „Hexendoktor“ Kombe Kabole sie zwischen den Zähnen, schleudert sie herum und spuckt sie schließlich auf den Boden. Ein Gummitier, das wird schnell klar, aber es dauert lange, bis sich alle wieder hinsetzen können. Vor allem die jungen Zuschauer schwanken zwischen Lachen und Hysterie. Die „Fingers of Thomas“ wissen: Jetzt müssen sie aufhören. Und aufklären: Das verfärbte Wasser ist nur eine chemische Reaktion, die Schlange kann man gefahrlos anfassen. Die Kinder trauen sich zuerst, lachen vor Erleichterung. „Sie sollen nicht betrogen werden. Deswegen erklären wir, welche Tricks der Hexendoktor nutzt“, erklärt Kombe, der selbst als Mediziner in einem Krankenhaus arbeitet. Dann wischt er sich die weiße Farbe aus dem Gesicht, fegt den Kreidekreis zusammen, packt Rassel, Knochen und magische Flaschen in die Reisetasche zurück. Zwei Frauen sprechen ihn an, erzählen von ihrer Reise zu einem Schrein gegen Hexen – „das ist eine Lüge, ja?“ Mit dem Theaterstück machen die Fingers nur einen Anfang. Drei Tage lang werden sie in St. Faustina sein, mit den Familien über deren Probleme sprechen, zum Thema Alkohol und Drogen beraten. Acht bis zehn Workshops geben sie pro Jahr, manchmal müssen sie spontan in entlegene Dörfer fahren, um Beschuldigte zu schützen. „Wir investieren viel Zeit“, sagt Philip müde, „und manchmal fragt mich meine Familie, ob es das wert ist. Aber für mich ist es Verkündigung, mein Dienst für Gott.“
Die kleine Gruppe besteht nur aus acht bis zehn Mitgliedern, und das Problem ist riesig. Deswegen suchen die jungen Leute den Kontakt zu Verantwortlichen bei der Polizei: Polizisten sind überall und wären schnell vor Ort, wenn irgendwo wieder eine Hexe entdeckt wird. Aber die Ordnungshüter fürchten sich selbst und entlassen die Hexendoktoren meist schnell wieder aus den Arrestzellen. Und auch vielen Priestern ist das Thema unheimlich; der Pfarrer von St. Faustina wollte deshalb auf keinen Fall beim Spiel in seinem Pfarrsaal zusehen. „Von all dem muss man sich fernhalten“, sagt er nur. Pater Philip schüttelt den Kopf: „Es ist wichtig, dass die Kirche ihnen hilft. Denn sonst gehen sie zu den Evangelikalen und werden dann wieder betrogen. Wir als Priester können sie befreien aus ihrer Angst vor der Macht des Bösen. Aber nur, wenn wir wirklich Hirten sein wollen!“
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