Der Krieg in Gaza ist anders als die vielen Kriege in unserer Region. Er markiert eine Zeitenwende. Von einer Zwei-Staaten-Lösung, von Versöhnung und Hoffnung auf ein gemeinsames Leben zweier Völker in einem Land ist nicht mehr die Rede.

Gaza ist komplett zerstört

Wir werden alle Beziehungen neu aufbauen müssen, wenn der militärische Konflikt beendet ist. Der wird nicht mehr lange dauern, denke ich, auch wenn Israel seine Ziele nicht erreicht hat. Die Regierung Netanyahu wollte die Hamas zerschlagen. Das ist nicht gelungen. Aber Gaza ist komplett zerstört.

Zum Nothilfeprojekt

Es gibt keine Krankenhäuser mehr, keine Schulen, keine Elektrizität, dafür Hunger und Krankheiten. Die Transporte, die noch hereinkommen – auch unsere vom Patriarchat – reichen nicht aus, um zwei Millionen Menschen zu versorgen.

Totale Rechtlosigkeit

Oft vergessen werden die Palästinenser im Westjordanland. Sie können nicht mehr nach Israel zur Arbeit. Nur arabische Krankenschwestern und einige Lehrer bekommen die Erlaubnis, weil sie dringend in Israel gebraucht werden. Es kommen keine Touristen und Pilger mehr. Hunderte Palästinenser wurden dort bereits von bewaffneten Siedlern getötet, es herrscht die totale Rechtlosigkeit.

Interreligiöser Dialog ist am Ende

Juden und Palästinenser sind zutiefst traumatisiert. Der Angriff vom 7. Oktober war für jüdische Israelis eine kleine Shoah, die in ihrer Heimat, die doch ein sicherer Ort sein sollte, geschah. Und die Palästinenser, die 1948 in den Gazastreifen vertrieben wurden, hören nun wieder davon, dass sie in den Sinai umgesiedelt werden sollen. Mit diesem Schmerz auf beiden Seiten gibt es keine Verständigung und keine Versöhnung.

Auch der interreligiöse Dialog ist am Ende, wir Religionsführer treffen uns nicht mehr. Jetzt zeigt sich, dass der Dialog eigentlich nur zwischen Eliten stattgefunden hat, bei den Gemeinden kam er nie richtig an.

Wer regiert künftig Gaza?

Wenn der bewaffnete Konflikt in Gaza beendet ist, wird auch auf uns als katholische Kirche viel Arbeit zukommen. Die Arbeiter aus dem Westjordanland werden nicht an ihre Arbeitsplätze zurück können, da arbeiten jetzt Inder, Indonesier und Chinesen. Wir werden helfen müssen, dass sie sich selbst versorgen – auch eine Frage der Würde, die momentan so sehr mit Füßen getreten wird. In Gaza muss alles neu aufgebaut werden – und immer noch ist unklar, welche politische Autorität dafür zuständig sein wird.

Politische Treffen unmöglich

Das Ende des Gaza-Krieges ist nicht das Ende des Konflikts. Der wird noch viele, viele Jahre dauern. Deswegen sage ich: „Lösung“ und „Hoffnung“ ist nicht dasselbe. Hoffnung ist eine Haltung des Herzens. Was mir Hoffnung gibt, sind die Bewegungen von ganz unten. Menschen treffen sich – privat, nicht institutionalisiert –, weil sie wissen: Wir müssen neu anfangen, sobald der Krieg in Gaza zu Ende ist.

Politische Treffen zwischen den verfeindeten Völkern sind zur Zeit unmöglich. Aber wenn Juden und Muslime Kontakte knüpfen und Christen dabei sind, sind das Treffen von Gläubigen. Denn wir Christen haben keine politische Agenda, das hilft bei der Annäherung. Menschen an der Basis, nicht die Eliten, werden anfangen, die Mauer des Hasses niederzureißen.

Aufgezeichnet von Christina Brunner

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