Text und Interviews: Christina Brunner

Die Hexe ist noch ein Baby. Sie kam in Benin einen Monat zu früh zur Welt. Die Zahl 8 bringt in Benin Unglück. In Ghana wusste ein 86-jähriger demenzkranker Mann den Weg nach Hause nicht mehr. Er war wohl auf einem Hexensabbat, vermuten die Nachbarn. In Indien wehrte sich die Hexe gegen die sexuellen Angriffe eines reichen Großgrundbesitzers. Die Dorfbewohner schlugen sie halb tot und zogen einen Zaun rund um ihr Haus. Den Dorfbrunnen darf sie nicht mehr benutzen.

Wer glaubt an Hexen?

„Gesellschaftspolitische Veränderungen fördern Ängste. Diese Ängste können sich im Hexenglauben spiegeln. Wobei ich nicht gern von einem Glauben spreche, sondern lieber von einem Weltbild“, sagt Michaela Pelican. Die Professorin für Ethnologie an der Universität Köln forscht seit Jahren zu Hexerei, besonders in Kamerun. „Hexen und Zauberer sind Personifizierungen verborgener Kräfte. Diese Kräfte können positiv oder negativ sein und Menschen mit Macht ausstatten, zum Beispiel krank zu machen oder auch zu heilen. Man weiß nicht, wer Zugang zu diesen verborgenen Kräften hat und wer nicht.“

Hexenangst ist ein globales Phänomen. Jedes Jahr erstellt missio Aachen am 10. August, dem Internationalen Tag gegen Hexenwahn, eine Übersicht über die Länder, in denen der Glaube an schädliche Zauberei die Gesellschaft prägt. Und ständig kommen auf der Liste des Schreckens neue hinzu: in diesem Jahr Eswatini (früher Swasiland) im Süden Afrikas.

Angst vor dem Nicht-kontrollieren-Können

Überraschend ist das nicht. Der amerikanische Entwicklungsökonom Boris Gershman fand in einer weltweiten Studie 2022 heraus, dass der Glaube an Hexerei in Staaten mit schwachen Institutionen, hoher Korruption und geringer Innovationskraft besonders stark ist. Das heißt: Die Angst vor Hexen fördert das Misstrauen gegenüber Fremden und schädigt den Zusammenhalt der Gesellschaft. Das ist Gift für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung und auch eine Gefahr für die Demokratisierung.

Übrigens gaben in der Studie auch zehn Prozent der Deutschen zu, an magische Kräfte zu glauben. Während der Corona-Pandemie wurden sie dann auch sichtbar: Verschwörungstheoretiker gingen zu Demonstrationen mit angeblich schützenden Aluhüten. „Man kann Hexerei-Vorstellungen vergleichen mit Verschwörungstheorien“, erklärt Michaela Pelican. „Es ist die Angst vor dem Nicht-kontrollieren-Können, was mit einem passiert.“

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Interview mit Michaela Pelican

„Der Glaube an Hexen wird nicht verschwinden“

Prof. Michaela Pelican lehrt Ethnologie an der Universität Köln. Sie forscht unter anderem zu Hexerei, Migration und sozialer Ungleichheit.

Und warum äußern sich Verschwörungstheorien in Afrika als Hexerei?

In vielen afrikanischen Gesellschaften steht die Gemeinschaft im Zentrum. Alle sind abhängig voneinander. Das ist ein zweischneidiges Schwert: Die engen Verwandten sind Personen, die einen unterstützen, gleichzeitig können sie Schaden zufügen. Oft trifft der Verdacht nicht die Starken in der Familie, sondern eher die, die an den Rand geraten könnten oder es schon sind.

Verändern sich Hexereivorstellungen?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus Kamerun: Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Plantagenwirtschaft eingeführt wurde, bekamen Arbeiter Zugang zu persönlichem Reichtum. Plantagenarbeiter investierten in Wellblechdächer für ihre Häuser. Durch die Erfahrung kapitalistischer Ausbeutung kam eine neue Vorstellung von Hexerei kam auf: Dass sich die Leute mit Wellblechdächern Zombies halten, deren Lebenskraft sie aussaugen und nachts für sich arbeiten lassen – um sich so zu bereichern.

Wird der Hexenglauben irgendwann einmal verschwinden?

Das habe ich meine Zweifel. Die Vorstellung von Hexerei existierte schon in vorkolonialer Zeit. Es gibt aber traditionelle Mechanismen, wie man damit umgehen kann: Man geht zum traditionellen Doktor, der muss erst mal gucken, ob Hexerei vorliegt. Dann wird versucht, die Person von den verborgenen Kräften zu reinigen. Leider reichen diese traditionellen Verfahren in gesellschaftlich aufgeheizten Situationen nicht mehr. Wenn die Zahl der Verdächtigungen überhandnehmen und zu viele Ängste kursieren, dann werden verdächtigte Hexen aus dem Dorf ausgeschlossen oder sogar umgebracht.

Interview mit Bernhard Udelhoven

„An Hexen glauben Menschen vor allem in Krisenzeiten“

Pater Bernhard Udelhoven aus Bitburg ist Afrikamissionar und arbeitet seit vielen Jahren in Sambia. Die von ihm gegründete Jugendgruppe „Fingers of Thomas“ klärt mit Theaterstücken über Hexerei auf.

Woher kommt der Glaube an Hexen?

Menschen glauben an Hexerei, wenn sie in einer Krise sind, in denen die Kausalitäten für das gewöhnliche Leben nicht mehr greifen. Der Grund für das Unheil liegt dann auf einer Ebene, die für säkulare Logik unerreichbar ist. Dieser Grund hat aber immer ein menschliches Gesicht: Ein Mitmensch wird verantwortlich gemacht.

Auch Priester in Sambia glauben an Hexen. Das überrascht mich …

Die Priesterausbildung in Sambia gleicht der in Deutschland. Man kann auf derselben philosophischen und theologischen Ebene diskutieren. Aber da der Hexenglaube auf einer Ebene liegt, die man naturwissenschaftlich nicht erreichen kann, ist es kein Widerspruch, sein Leben nach den Naturwissenschaften zu gestalten, aber auch an Hexerei zu glauben. Oder aber den Hexenglauben im täglichen Leben zu verneinen, in Krisenzeiten aber danach zu greifen. Glaube liegt ja auf einer anderen Ebene, die über die Naturwissenschaften hinausgeht.

Sie haben ja viel mit diesem Problem zu tun – welche Antwort geben Sie?

Unser pastoraler Ansatz ist einfach: Ankläger und Angeklagte zusammenzubringen, um Streitpunkte auch außerhalb der Hexerei anzusprechen. Das ist zwar nicht einfach, aber sehr effektiv. Oft gehören beide Seiten derselben Großfamilie an, die Kirche wird oft von beiden Seiten als Vermittler anerkannt. In unserem Ansatz stellen wir nicht die Hexerei an sich in Frage, wohl aber ihre Objektivität.