Frau Gilles, Herr Rick: Wie wichtig ist Kirche für Ihren Glauben?
Gilles: Sie ist unverzichtbar. Schon als Kind habe ich die Kirche sehr positiv erlebt. Ich habe meine Eltern begleitet, die im Kirchenchor gesungen haben. Deren Auftritte und die Gottesloblieder habe ich geliebt. Kirche ist für mich auch wichtig als soziale Einrichtung. Sie macht gute Arbeit für Jugendliche, Alte, Menschen am Rande der Gesellschaft.
Rick: Auch ich bin katholisch sozialisiert: Ich bin zur Kommunion gegangen, war Messdiener, später sogar stellvertretender Pfarrgemeinderatsvorsitzender. Aber mittlerweile ist leider ein Bruch vollzogen. Ich habe gemerkt, dass diese Kirche mir nicht mehr weiterhilft auf meinem Weg zum Reich Gottes.
Wie kam es zum Bruch?
Rick: In mehreren Etappen. Ich habe mir zum Beispiel die Liturgie genauer angeschaut. Vieles, was in den Texten steht, verstehe ich nicht. Warum ist Jesus für unsere Sünden gestorben? Dort wird ein Gottesbild vermittelt, das nicht meins ist. Der Gott, an den ich glaube, liebt mich bedingungslos. Den muss ich nicht immer wieder um Vergebung bitten. Ich habe auch erlebt, dass Kirche engagierte Mitglieder fallen gelassen hat. Und irgendwann kam die Studie zum Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche. Ich sehe nicht, dass die Organisation gewillt ist, das konsequent aufzuarbeiten.
Gilles: Sind Sie aus der Kirche ausgetreten?
Rick: Nein, aber ich habe andere Formen gefunden, meinen Glauben zu leben.
Welche Form haben Sie gefunden?
Rick: Mit meiner Frau und einem Team von Mitgliedern unserer ursprünglichen Gemeinde machen wir einmal im Monat ein alternatives Angebot, den so genannten „Gemeinsam Gottesdienst“. Mit fröhlicheren Texten und Liedern. Vorher gibt es Kaffee und Kuchen, und die Menschen sprechen miteinander. Jeder kann sich einbringen. Glaube und Ge- meinschaft sind für mich eng miteinander verknüpft.
Gilles: Ich finde auch, dass wir Räume schaffen müssen, damit Gemeinschaft und Glauben ordentlich gelebt werden können. Was aber zum Beispiel die Liturgie in der katholischen Kirche angeht, mag ich die Herausforderung, mich den Texten, die jeweils für den Tag vorgeschrieben sind, zu stellen – auch wenn sie sperrig sind.


Sie sehen keinen Änderungsbedarf bei der Liturgie?
Gilles: Ich sage mir: Das Leben bringt es auch mit sich, dass ich in Situationen gestellt werde, die ich mir nicht ausgesucht habe. Mit denen ich nicht gut umgehen kann. Es macht mir Spaß zu sagen: Heiliger Geist, dieses Evangelium, das die Leseordnung vorgibt, scheint mir für die Firmung eine Zumutung zu sein. Hilf uns, dass wir einen Zugang finden. Das bedeutet, immer neu auf die Suche zu gehen. Dazu bin ich bereit.
Rick: Aber wenn immer weniger Leute zum Gottesdienst kommen, muss ich mich als Kirche doch fragen, ob die Menschen sich mir und meinen Regeln weiter anpassen müssen? Oder ob ich nicht an mir etwas verändern muss, um attraktiver zu werden?
Austritt-Statistik der katholischen Kirche
Verkündet die Kirche an der Lebensrealität der Menschen vorbei?
Gilles: Wenn ich die Botschaft nicht verstehe, dann möchte ich auf die Suche gehen, um verstehen zu können. Kirche muss sprachfähig werden. Sie ist für mich das Fallrohr für den Willen Gottes auf der Erde. Und was ist sein Wille? Er möchte, dass wir glücklich sind, Schmerzen heilen, Menschen befreien.
Rick: Ich habe nicht den Eindruck, dass der hauptamtliche Teil der Kirche sich um die Menschen bemüht und sich die Frage stellt, wie man sie wieder gewinnen kann.
Gilles: Ich frage mich schon, wie sicher ich in meinem Glauben stehe, wenn ich Angebote mache. Ich liebe Hausbesuche und werfe jede Terminplanung um, damit ich bei Krankenbesuchen Zeit für gute Gespräche habe und auf die Menschen eingehen kann.
Moderation: Eva-Maria Werner
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