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Wie viel To­le­ranz muss sein?

Der To­le­ranz-Vor­rat ist auf­ge­braucht. Ich se­he es mit Sor­ge. „Na und?“, sa­gen die drei Freun­din­nen, weil die Vier­te im Bun­de nicht zur Ge­burts­tag­s­par­ty kom­men darf. „Hät­te sich halt imp­fen las­sen sol­len.“ Kein Mit­leid, kei­ne So­li­da­ri­tät – als hät­te die min­der­jäh­ri­ge Toch­ter qu­er­den­ken­der El­tern ei­ne Wahl. Der Kol­le­ge schimpft, weil sei­ne Was­ser­gym­nas­tik we­gen der Frei­heit der An­ders­den­ken­den seit Mo­na­ten aus­fällt. Und nicht nur die Pan­de­mie macht uns gna­den­los: Die Oma lädt ins Re­stau­rant ein, und weil nichts Ve­ga­nes auf der Spei­se­kar­te steht, isst der En­kel eben gar nichts. Sie ist trau­rig, er hung­rig ...
Kom­pro­mis­se ma­chen? Wie­so, wenn ich doch recht ha­be?
„Wir hal­ten zu­sam­men“, hieß es noch vor zwei Jah­ren, als das klei­ne Vi­rus be­gann, un­se­re Ge­sell­schaft zu ve­r­än­dern. Lang­sa­mer wer­den, be­wuss­ter le­ben, so­li­da­risch sein – Wer­te, an die vie­le „da­mals“ glaub­ten. Wel­che gel­ten jetzt? Wie viel To­le­ranz muss sein? Und wie ge­fähr­lich ist es, wenn wir über die Un­fähig­keit der Po­li­ti­ker schimp­fen? Wird das un­se­re Kin­der mo­ti­vie­ren, die De­mo­k­ra­tie zu schät­zen und sich po­li­tisch zu en­ga­gie­ren? Vie­le Fra­gen, ich ha­be kei­ne Lö­sung. Vi­el­leicht soll­ten wir uns auch vor sch­nel­len Ant­wor­ten hü­ten? Und mit­ein­an­der ins Ge­spräch kom­men – lei­se, re­spekt­voll, mit dem Recht auf Un­si­cher­heit und Irr­tum. Ich fan­ge hier und jetzt da­mit an: Was den­ken Sie?

Chris­ti­na Brun­ner

Zu­rück zur Nach­rich­ten­über­sicht März/April 2022