Uganda: Eine gestohlene KindheitDer Autor Pater Gérard Chabanon ist ehemaliger Generaloberer
der Missionsgesellschaft der Afrikamissionare. Nach seiner Amtszeit in Rom
begann er eine Arbeit in Saint Paul Parish, Tapac, Uganda. |
Sie heißen Nabolya Acia und Namer Nadim. Am 25. Februar kamen sie zur Mission. Sie waren erschöpft und sehr verängstigt. Sie waren barfuß gerannt und waren vier Stunden unterwegs gewesen aus Lolopel, ihrem Dorf in den Bergen. Sie waren zusammen weggerannt und hatten nichts als nur die Kleidung, die sie trugen, ein zerrissenes T-Shirt die eine, ein abgenutztes Kleid die andere. Ende des vergangenen Jahres war die älteste, die neun Jahre alt ist, beschnitten worden. In den letzten Wochen hatte sie gemerkt, dass Vorbereitungen gemacht wurden, sie zu verheiraten. Mit ihrer jüngeren Schwester von etwa sieben Jahren floh sie. Heute besuchen sie beide die Grundschule in Tapac.
Ansichten und Traditionen
Wir sind es mittlerweile gewöhnt, Jugendliche aufzunehmen, die keine arrangierte Ehen eingehen wollen. Aber dass diese beiden zarten, zerbrechlichen, kleinen Mädchen dem Gutdünken der Erwachsenen und ihrer Traditionen ausgeliefert waren, schockierte uns. Als ich sie in der Schule traf, traute ich meinen Augen nicht. Wie konnten die Eltern so etwas zulassen? War es Hunger oder Gier? Wiederholten sie nur unterbewusst die Gewalt, die sie selbst erlitten hatten? Viele solcher Fragen gingen uns durch den Kopf vermischt mit dem Gefühl von Zorn. Zum Glück sind die beiden kleinen Mädchen jetzt in Sicherheit und können die Freuden und den Spaß der anderen Kinder ihres Alters erleben. Wir wissen aber auch, dass wir aufpassen müssen, weil die Familie sie nicht einfach so lassen wird, sondern versuchen wird, sie zurück zu bekommen.
Genitalverstümmelung
Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ist eine Tradition unter den Tepeth. Heute ist sie offiziell in Uganda verboten. Sie wird jedoch im Geheimen praktiziert. Trotz aller Aufklärungskampagnen durch Nichtregierungsorganisationen, durch Predigten in den Kirchen und trotz aller Drohungen von den örtlichen Behörden, wird Genitalverstümmelung weiter durchgeführt. Junge Mädchen werden von klein an überzeugt, dass dies ein notwendiger Übergangsritus ist, wenn sie eine Frau werden, heiraten und Kinder bekommen wollen. Die jungen Mädchen haben große Schwierigkeiten, sich den Forderungen der Beschneiderinnen zu widersetzen. Die Folgen sind oft dramatisch: Infektionen, Blutungen, Fisteln und Fehlgeburten.
Eine Hoffnung: Schule
Eine Lehrerin erzählte mir, dass unter den sechzig Mädchen, die regelmäßig zur Schule in Tapac kommen, keine verstümmelt worden sei. Es besteht kein Zweifel, Bildung ist ein Weg zur Freiheit. Aber dieser Weg ist lang und schwierig für die allermeisten von ihnen. Kinder, die um Hilfe bitten, um Schul- und Internatskosten bezahlt zu bekommen, haben mir oft gesagt: „Meine Eltern wollen nicht, dass ich zur Schule gehe.“ Wir müssen also auch mit den Eltern arbeiten. In diesem Jahr hoffen wir, einen Alphabetisierungskurs für Erwachsene zu beginnen. Über 15 Personen, die meisten von ihnen Frauen, haben sich angemeldet. Ich hoffe, wenn sie erst einmal etwas Freude am Lesen, Schreiben und Rechnen gefunden haben, werden die Eltern ein wenig verstehen, wie wichtig Bildung für ihre Kinder ist.
Kein leichtes Leben
Das Leben des Tapeth und Karamajong ist nicht leicht. Die geographische Umgebung ist rau weil der Boden nicht sehr fruchtbar ist, Regenfälle sind unregelmäßig und manchmal gewaltig, und während der Regenzeit bläst ein sehr kalter Wind. Die Sprache, Bräuche und Traditionen spiegeln diese Schroffheit. Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, Eltern und Kinder sind ebenfalls von dieser Härte gezeichnet. Seit der Unabhängigkeit haben aufeinander folgende Regierungen nicht viel in der Region investiert. Die Infrastruktur ist unterentwickelt; eine chinesische Firma baut derzeit die erste asphaltierte Straße nach Karimoja. Dies bedeutet, dass auch die Kommunikation schwierig ist. Karimojongs sind ein Hirtenvolk und ihre halb-nomadische Tradition und Lebensweise begünstigen die wirtschaftliche Entwicklung nicht. Und doch erleben wir bemerkenswerte Fortschritte und Veränderungen.
Menschen mit Vision bilden
Viele Familien sind aus den Bergen in die Ebene gezogen. Neue Dörfer entstehen und neue Landflächen werden gerodet. In diese Bewegung unter der Bevölkerung kommen plötzlich verschiedene Clans, die einst Feinde waren, zusammen. Männer und Frauen arbeiten zusammen. Entwicklung geschieht auch nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet. Integration geschieht auch auf der sozialen, kulturellen, religiösen, politischen Ebene und sogar bei historischen Angelegenheiten. Dies wird noch einige Zeit dauern. Dennoch, es sind auch charismatische Führer nötig, die eine Vision anbieten jenseits der engen, tief verwurzelten Vorurteile und der uralten Feindseligkeiten.
Wir arbeiten geduldig im Bereich der Ausbildung, bilden Männer und Frauen aus, die eine neue Vision haben und die sich für ihre Gemeinschaften engagieren. Wir kommen voran, aber es gibt immer auch wieder Rückschläge. So ist das Leben halt. Jedenfalls hoffen wir, Fortschritte zu machen und nicht entmutigt zu werden. Außerdem ist es diese Dynamik, die uns die positiven Werte dieser Kultur entdecken lässt und uns in die Lage versetzt, den negativen Elementen zu begegnen.
Von Gérard Chabanon
Dieser Artikel stammt aus dem Eigenteil der Afrikamissionare