Helfer in heilenden Händen |
Text: Beatrix Gramlich; Foto: Hartmut Schwarzbach
Sie gehen an Orte, um die andere einen Bogen machen. Sie bleiben, wo die Lage aussichtslos scheint, wenn es gefährlich wird und internationale Organisationen ihre Mitarbeiter längst abgezogen haben. In Bürgerkriegen bedeutet allein die Anwesenheit von Priestern und Ordensleuten Schutz für die Menschen, an deren Seite sie sich stellen. Oft richten sich alle Hoffnungen auf sie. Manchmal aber sind auch die Helfer hilflos.
Pater Peter Konteh aus Sierra Leone berichtet vom dritten Selbstmord unter irischen Priestern innerhalb von 18 Monaten. Seine E-Mail an missio ist zugleich ein verzweifelter Hilferuf. Denn viele Priester und Ordensleute in den Ländern des Südens sind Tag für Tag mit extremen Herausforderungen konfrontiert: Sie müssen mit ansehen, wie Mütter unter der Geburt sterben, Kinder verhungern und Krankheiten zum Tod führen, weil die einfachsten Mittel fehlen. Sie erleben, wie Menschen in Bürgerkriegen zerrieben werden, vor Gewalt und Naturkatastrophen fliehen. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung zählte 2012 neun Kriege in Afrika und 90 Konflikte allein südlich der Sahara. Fast 417 Millionen Menschen in dieser Region leben von weniger als einem Euro pro Tag. In manchen Ländern hat Aids eine ganze Elterngeneration ausgelöscht und Millionen Kinder zu Waisen gemacht. Inmitten all dieser Not stehen Priester und Ordensleute den Armen zur Seite, kämpfen im Namen Gottes für eine bessere Welt und gegen die Resignation. Sie helfen, trösten und haben ein offenes Ohr für andere – obwohl sie sich manch mal selber nach jemandem sehnen, der ihnen zu hört.
Keine Supermänner
Auch wenn sie mitunter schier Übermenschliches leisten: Priester und Ordensleute sind nicht die Supermänner, die manche in ihnen sehen, sondern Menschen mit denselben Gefühlen und emotionalen Bedürfnissen wie andere auch. Niemand weiß, wie viele ihre Berufung resigniert aufgeben – nicht etwa weil sie ihren Dienst an Gott und den Menschen in Frage stellen, sondern weil sie überlastet und ausgebrannt sind. Diese Männer und Frauen tauchen in keiner Statistik auf, weil es diese Statistiken nicht gibt. Denn dass auch Helfer irgendwann Hilfe brauchen, ist bis heute in der Kirche ein großes Tabu.
„Es ist sinnlos, erfahrene Leute gehen zu lassen und Junge auszubilden, um sie zu ersetzen. Wenn wir uns nicht um unser Personal kümmern, verkrüppelt unsere Mission.“ Der Mann, der so schonungslos Bilanz zieht, ist Ignatius Kaigama, Erzbischof von Jos im Norden Nigerias. Seit Jahren verbreitet die islamistische Terrorgruppe Boko Haram in seiner Diözese Angst und Schrecken. Immer wieder gibt es blutige Konflikte zwischen Einheimischen und Zuwanderern, Bauern und Nomaden, Christen und Muslimen. Und alle Seiten missbrauchen die Religion gerne für ihre Zwecke. Der Bischof setzt Hass und Gewalt Versöhnung entgegen. Zusammen mit islamischen Führern hat er zahlreiche Friedensinitiativen ins Leben gerufen. Er geht in Dörfer und Städte, stellt sich zwischen die Fronten, vor den aufgebrachten Mob und versucht, Frieden zu stiften. Der 55-Jährige ist ein Mann des Dialogs – mit dem unerschütterlichen Glauben, dass Heil und Heilung durch Christus schon hier auf dieser Welt möglich sind. Wenn Priester und Ordensleute ihn besuchen, gehen die Gespräche oft über das rein Dienstliche und den üblichen Small Talk über das letzte Fußballspiel hinaus.
Vor acht Jahren traf missio-Afrikareferent Toni Görtz den Erzbischof während einer seiner Länderreisen. Sie sprachen über die aufgeheizte Stimmung in Nigeria, über Projekte und Hilfsmöglichkeiten. Als die Zeiger auf Mitternacht vorrückten, offenbarte Kaigama etwas sehr Persönliches. Er erzählte, wie frustrierend es sei, dass er Priestern und Schwestern, die in persönlichen Krisen bei ihm Hilfe suchten, nichts anderes anbieten könne als ein paar Beratungsgespräche und für sie zu beten. Diese Nacht war die Geburtsstunde eines Projekts, das bald wie ein Leuchtturm auf Afrika ausstrahlen könnte: Ein psycho-spirituelles Institut mit professioneller Hilfe für ausgebrannte, traumatisierte Priester und Ordensleute. „Bei allen ist der Glaube, ihr Verhältnis zu Gott ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens“, erklärt Görtz. „Deshalb wollen wir die Erkenntnisse der modernen Psychologie mit spirituellen Ansätzen verknüpfen.“ Mit Ignatius Kaigama hat der 57-Jährige, der auch als psychologischer Berater tätig ist, diese Idee konsequent vorangetrieben. „Denn“, so Görtz, „abgesehen von wenigen Ausnahmen, ist das Therapieangebot in Afrika gleich Null.“ Jetzt können die beiden erste Erfolge verzeichnen.
Mit finanzieller Unterstützung von missio hat Görtz Partner auf dem Schwarzen Kontinent gesucht, eine Verwaltungsstelle eingerichtet, sich mit Fachleuten beraten und nach Standorten für das Institut Ausschau gehalten. Einer seiner wichtigsten Ratgeber ist bis heute der Millhill-Missionar und Psychologe Len Kofler, ein Vorreiter in der Traumatherapie für kirchliche Mitarbeiter. Vor 28 Jahren hat er in der englischen Grafschaft Kent mit dem Institut „St. Anselm“ einen Ort geschaffen, an dem Priester und Ordensleute aus aller Welt Hilfe finden. „Ohne St. Anselm gäbe es unser Projekt nicht“, gibt Görtz offen zu. Und das hat mittlerweile Gestalt angenommen: Nachdem Erzbischof Kaigama in Nairobi den Startschuss gab, werden dort nun elf Priester und Ordensleute weitergebildet, die bereits Psychologen oder psychologische Berater sind. Ab 2014 sollen sie dann in Zwei-Jahres-Kursen geeignete Kandidaten in lösungsorientierter Kurzzeittherapieschulen, die nicht nur die besondere Lebenssituation kirchlicher Mitarbeiter, sondern auch den afrikanischen Kontext berücksichtigt. Um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, werden dafür kirchliche Zentren in Kenia, Uganda und Ghana ge nutzt. Die künftigen Ausbilder jedenfalls sind hoch motiviert. Sie wissen, dass sie Pioniere für einen neuen missionarischen Ansatz sind. Denn auch wenn Psychotherapie in Afrika bis heute ein Tabu ist: Der Leidensdruck ist groß. „Ich habe mit mehr als 100 Bischöfen über das Projekt gesprochen“, berichtet Görtz. „Sie alle waren begeistert.“
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