Erfahrungsbericht Dezember 2011
Als ich kurz nach Allerheiligen des vergangenen Jahres nach Candé komme, hat das Jahr schon seit eineinhalb Monaten begonnen. Meine Eltern, die ich eine Woche zuvor ins Bild gesetzt habe, begleiten mich nach Frankreich. Das ganze Wochenende regnet es fürchterlich und die Stimmung ist gedrückt. Ich sitze gewissermaßen zwischen den Stühlen, auf der einen Seite meine wenig begeisterten Eltern, auf der anderen die künftigen Mitbrüder, die mir alle noch fremd sind. Den Anfang hatte ich mir fröhlicher vorgestellt…
Die Mitbrüder meines Jahrgangs kennen sich also schon einige Zeit und haben die ersten Wochen im Seminar bereits gemeinsam erlebt, als ich als letzter hinzustoße, Nummer vierzehn. Unter den Mitbrüdern gleichen Jahrgangs verbringen wir viel Zeit gemeinsam. Sowohl die Vorlesungen am Morgen und das Studium am Nachmittag, die Mahlzeiten am selben Tisch und zwei freie Abende pro Woche. An diesen Abenden erzählen wir uns auch die Geschichten unserer Berufung. Alle kommen aus ganz unterschiedlichen Motiven, die einen sind stark geprägt von der eucharistischen Anbetung, anderen steht das Bild eines beeindruckenden Priesters vor Augen; für die einen hat sich der Ruf schon von Kindheit an ins Leben eingeschrieben, bei andern scheint er plötzlich unweigerlich sich aufzudrängen.
Unterschiedlichkeit der Charaktere
Kurzum, man kommt sich also leicht nahe und kennt sich wechselseitig bald rundum. Bei all der Unterschiedlichkeit der Charaktere wird da freilich jeder gute Wille schnell auf die Probe stellt.
In der Gemeinschaft Sankt Martin sollen wir in erster Linie nicht zu erfolgreichen Theologen, sondern zu Männern in Gemeinschaft ausgebildet werden. Wenn es ein hervorstechendes Charisma gibt, dann ist es dieses. Es geht nicht nur darum, sich gegenseitig zu stärken und die Arbeit zu erleichtern, auch nicht nur, gemeinsam wirksamer als die Summe aller Einzelnen zu sein. Sondern das Ziel des Gemeinschaftslebens ist es auch, sich bei aller Predigt vom Gott der Liebe und von der Hingabe Christi am Kreuz stets an der Realität der konkreten Gemeinschaft messen zu lassen, am Leben selbst. Durch das ständige Miteinander wird jedem ohne Unterlass vorgespiegelt, dass an der eigenen Nächstenliebe noch hart gearbeitet werden muss. So zwingt die Gemeinschaft, immer mit den Füßen fest auf dem Erdboden stehen zu bleiben und verhindert, dass man sich einbildet, eigentlich schon ein Heiliger zu sein. Gerade die Wirklichkeit der eigenen Person ist freilich häufig ernüchternd, gerade wenn man die eigene Armut und die eigenen Schwächen immer besser kennenlernt.
Zwischen dem freien Studentenleben ohne schwere Pflichten und Verantwortung und dem Seminaralltag, in dem jede Stunde ihre feste Bestimmung hat, ist der Kontrast groß. In den ersten Wochen macht mir diese scheinbare Einengung schon zu schaffen – wie soll ich mich hier ganz entfalten? Bin ich nicht in der Ausbildung und Entfaltung meiner Person eher gehemmt als bestärkt? Aber tatsächlich liegt in der Regelmäßigkeit der Tage ein großer Gewinn an Freiheit: Mit jeder Woche fällt es ein bisschen einfacher, im hier und jetzt ganz da zu sein, dass heißt nicht nur körperlich, sondern auch in Gedanken und mit dem Herzen gegenwärtig zu sein. Was ich tun muss, lerne ich hier, kann ich von ganzem Herzen und mit ganzer Kraft tun.
Zweifel und Gewissheiten
Aber schwerer als das menschliche Wohlbefinden wiegt im Seminar natürlich das Auf und Ab des geistigen Lebens. Beim Eintritt war ich überzeugt, ich hätte mit einem großen Schritt mich ganz dem Herrn gegeben und alles abgeschüttelt, was mich von ihm noch fernhielte. Um wie viel schmerzhafter drängen sich schließlich ganz existenzielle Fragen auf: Ist es eigentlich vernünftig, ins Seminar einzutreten und auf Familie zu verzichten? Ist das nicht völlig irrealistisch und eigentlich egoistisch? Bin ich dem Gott, der mich hierher ruft, so sehr verpflichtet, dass ich mein Leben tatsächlich ganz ändern muss? Kann ich nicht einfach auch in einem christlichen Leben nach meinen eigenen Vorstellungen ihm ausreichend treu sein? Ja, glaube ich eigentlich so recht an den unsichtbaren Gott, für den ich in der sichtbaren Welt alles umstürzen will? Und schließlich gar: Was wäre, wenn es ihn gar nicht gäbe? Warum sollte ich ihn besser gehört haben, als so viele andere, die nicht an ihn glauben wollen?
Aber zutiefst weiß ich, dass ich aus all diesen Fragen mit Christus als Sieger hervorgehen kann. Im Zweifeln und Verzweifeln ist er immer da. Wenn nötig, lässt er sich spüren, macht seine Gegenwart im Tabernakel und in meinem Herzen fast greifbar. Selbst in der größten scheinbaren Taubheit für Gottes Stimme leuchten im Herzen dennoch Freude und ein tiefer Frieden mit der Welt und mit Gott. Christus steht zu denen, die sich ihm geben wollen, und lässt sie auch in der Erprobung nicht alleine. Er ist da, er ist mit mir und mit uns allen. Wie viel tiefer hat er sich über alle Abgründe hinweg mir schon zum Freund gemacht!
Einer der Höhepunkte des Jahres war die Reise unserer deutschsprachigen Gruppe zum Papstbesuch nach Freiburg. Mittlerweile sprechen so viele Seminaristen deutsch, dass wir zu sechst reisen konnten, begleitet von einem Schweizer Priester. Ich war sehr bewegt, Papst Benedikt “daheim” predigen zu hören, zumal er in Freiburg auch den Seminaristen wieder mit besonders viel Herzlichkeit zugesprochen hat. Was für eine Freude, in den Dienst der Kirche unter diesem Papst einzutreten!
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