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November 2015
Den Schicksalsschlag akzeptieren lernen
Schwester Doris ist zu Beginn des Jahres aus Deutschland in ihr Heimatland Sambia zurückgekehrt. Das Leben in der Schwesterngemeinschaft von Ndola und die Vorbereitung auf den Realschulabschluss prägten seither ihren Alltag – bis im September ein schwerer Schicksalsschlag ihre Familie heimsuchte…
An alle Leserinnen und Leser der „kontinente“ Serie „Um Himmels willen“ schicke ich herzliche Grüße und wünsche Ihnen allen Gottes Liebe und Segen!
In meinem letzten Artikel habe ich Ihnen über meine Erfahrungen in Deutschland berichtet. Heute möchte ich Ihnen erzählen, wie mein Leben seit meiner Rückkehr nach Sambia am Jahresanfang aussieht. Ich lebe in der Schwesterngemeinschaft der Fatima-Mission, die nahe der Stadt Ndola liegt, im Norden des Landes.
Am 2. Januar 2015 verließ ich Deutschland; mit Tränen in den Augen verabschiedete ich mich von meinen Schwestern in der Strahlfelder Gemeinschaft. Am 3. Januar kam ich um die Mittagszeit auf dem kleinen Flughafen von Ndola an. Wir wurden am Flughafen mit einem herzlichen Willkommen von unseren Schwestern empfangen. Ich kann mich gut erinnern, wie sehr ich geschwitzt habe, denn aufgrund des kalten Wetters in Deutschland war ich sehr warm angezogen.
Miteinander als große Hilfe erlebt
Die Fatima-Mission liegt in den Außenbezirken von Ndola, rund 400 Kilometer entfernt von Lusaka, der Hauptstadt Sambias. Es ist ein sehr schönes weites Gelände mit viel Begrünung und herrlichen Blumen überall, besonders in der Regenzeit. Die Mädchen-Sekundarschule zählt mit ihrem hohen akademischen Niveau zu den besten des Landes und es ist bekannt dafür, dass den Schülerinnen Werte vermittelt werden und moralisch einwandfreies Verhalten erwartet wird. Die Schwesterngemeinschaft setzt sich aus 22 sambischen Schwestern und einer deutschen Schwester zusammen. Beruflich ist sie bunt gemischt: Lehrerinnen, Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen und junge Schwestern im Studium.
Von Januar bis August 2015 studierte ich zusammen mit den Schülerinnen und Schülern und bereitete mich auf das O-Level Examen (Ordinary level, vergleichbar mit Abschluss der Realschule) vor. Das war einerseits eine große Herausforderung für mich, mit den Mädchen und Jungen der Klasse auf einer Stufe zu stehen, andererseits war es aber auch eine gute Erfahrung für mich, da sie mir beim Lernen sehr viel helfen konnten. Der Kontakt mit ihnen machte folglich mein Leben leichter, da ich mich mit allen Schulfragen an sie wenden konnte. Ich erlebte das Miteinander als große Hilfe im Verständnis meiner Studienfächer und es machte mich sicherer. Die erste Zeit war allerdings sehr schwer für mich, das gebe ich gerne zu.
Da ich für die Schuluniformen und die Sportbekleidung verantwortlich bin, bot sich mir eine weitere Gelegenheit, mit den jungen Leuten in Kontakt zu kommen, Geschichten zu erzählen und auszutauschen, aber auch das Wort Gottes miteinander zu teilen. Bei allen Veranstaltungen bin ich stets bereit, mich dem Chor anzuschließen und mitzusingen.
Es gefällt mir sehr, wenn wir als Schwestern zusammen kommen und miteinander beten, singen, trommeln, essen, arbeiten oder auch die freie Zeit gemeinsam verbringen. Innerhalb der Gemeinschaft ist mir die Sakristei anvertraut. Dazu gehört die Vorbereitung für die Eucharistiefeier, die Gestaltung des Blumenschmucks und das Putzen der Kapelle. Bei dieser Arbeit helfen mir einige der Schülerinnen. Ich bin dem Herrn für all diese lebendigen Erfahrungen sehr dankbar.
Gott hat dennoch einen Plan für meinen Bruder
Ich möchte bei dieser Gelegenheit aber auch ein sehr trauriges Ereignis mit Ihnen teilen, das im September 2015 geschah. Am Vorabend meiner Ferien, die ich zuhause verbringen wollte, war ich voller Vorfreude auf das Wiedersehen mit meiner ganzen Familie und den vielen Verwandten. Am Morgen des 15. September, als ich mich für die Heimfahrt auf den Weg machen wollte, erreichte mich ein Anruf meines jüngsten Bruders. Der teilte mir mit, dass mein älterer Bruder Emmanuel in einen Autounfall verwickelt war. Ich konnte es nicht fassen und fragte ihn nur: Was hast du gesagt?
Dann kam die schreckliche Nachricht, dass man Emmanuel das linke Bein oberhalb des Knies amputieren musste. Es war wie ein Schock für mich. Schnell erzählte ich meinen Mitschwestern von diesem tragischen Unfall und wir verloren keine Zeit mehr, holten meine Koffer und machten uns sofort auf den Weg zum Krankenhaus.
Als wir am Krankenhaus ankamen, saßen dort viele Leute, die alle über diesen schweren Unfall sprachen. Wir gingen gleich zur Station, auf der Emmanuel lag. Sobald er mich sah, setzte er sich auf und schrie: „Komm her, Schwester, und sieh dir das an. Ich habe mein Bein verloren.“ Mir wurde das Herz ganz schwer, als ich das hörte und seinen Schmerz sah. Ich bemühte mich aber, in seiner Gegenwart nicht zu weinen. Als ich es jedoch nicht mehr ertragen konnte, ging ich aus dem Zimmer und brach dann in Tränen aus. Es war einfach so schrecklich. Nach einiger Zeit schaffte ich es, wieder ins Zimmer zu gehen und ich setzte mich zu Emmanuel ans Bett. Obschon diese Situation sehr schmerzhaft für mich war, dankte ich Gott trotzdem, es hätte ja noch schlimmer ausgehen können. Ich glaube auch, dass alles einen Sinn hat und in Gottes Plan einbezogen ist.
Nach zwei Wochen musste auch das rechte Bein oberhalb des Enkels amputiert werden. Als ich das sah, erschütterte mich das dann doch sehr und ich dachte, nun sei für Emmanuel alles zu Ende. Wie sollte er in diesem eingeschränkten Zustand noch etwas tun können? Plötzlich wurde mir aber klar, dass sein Leben doch viel mehr wert ist als einzelne Teile seines Körpers. Auch mit dieser körperlichen Behinderung kann er noch etwas arbeiten. Ich glaube ganz fest, dass Gott für meinen Bruder auch in dieser Lebenssituation einen Plan hat. Es kann gar nicht anders sein. Allmählich gelingt es meinem Bruder und der ganzen Familie, sich der Realität zu stellen und sie nach und nach zu akzeptieren. Gott wird die nötige Kraft dazu geben, davon bin ich überzeugt.
Emmanuel ist noch im Krankenhaus (November, Anm. d. Red.). Meine zwei Ferienwochen habe ich bei meinem Bruder im Krankenhaus verbracht. Ich bin sehr froh, dass ich am Unfalltag gleich bei ihm sein konnte. Ich bin überzeugt, dass Gott Emmanuel heilen wird, wenn es auch Zeit brauchen wird und bestimmt länger dauert, als wir uns wünschen.
Ich möchte meinen Mitschwestern, meinen Verwandten und den Freunden unserer Familie für ihre Unterstützung in dieser für uns so schweren Zeit danken. Das Gebet und die Ermutigung dieser Menschen hat dazu beigetragen, dass wir alle – besonders aber mein Bruder Emmanuel – lernen, diesen Schicksalsschlag zu akzeptieren.
Gott segne Sie alle in dem Jahr, das Papst Franziskus als das Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat.
Herzliche Grüße aus Sambia,
Sr. Doris Chembo OP
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