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Selbstoptimierung_Wortwechsel

Fo­to: is­tock­pho­to.com

Das är­gert mich

Sch­nel­ler, bes­ser, sc­hö­ner

Ich ma­che kei­ne Diät. Mein Schal passt noch. Doch spä­tes­tens beim nächs­ten Fri­seur­be­such wird mir wie­der ei­ne die­ser Frau­en­zeit­schrif­ten in die Hän­de fal­len, die mit un­er­schüt­ter­li­cher Be­harr­lich­keit Jahr für Jahr ge­gen den Weih­nachts­speck zu Fel­de zie­hen und den neu­en, ulti­ma­ti­ven Weg zur Biki­ni­fi­gur wei­sen.

Ich kann auf die tau­send bes­ten Tipps für den idea­len Bo­dy-Maß-In­dex ger­ne ver­zich­ten – ge­n­au­so wie auf die in­fla­tio­nä­re Rat­ge­ber­li­te­ra­tur zur Selb­st­opti­mie­rung. Al­le sol­len stän­dig bes­ser, sch­nel­ler, ef­fi­zi­en­ter wer­den. Denn Chan­cen, sich ge­gen die Kon­kur­renz zu be­haup­ten, hat an­geb­lich nur, wer ge­stylt, sport­lich ge­stählt und im­mer gut drauf ist. Diä­ten, Work-Outs, Kar­rie­r­e­coachs, Kof­fein­ta­b­let­ten – für je­des ver­meint­li­che De­fi­zit ver­spricht die Opti­mie­rungs­ma­schi­ne­rie das rich­ti­ge Mit­tel. Haupt­sa­che, der Mensch funk­tio­niert und ent­spricht der Norm.

Mich stört, dass ich je­de freie Mi­nu­te zur Selbst­ver­bes­se­rung nut­zen soll. Ich ha­be kei­ne Lust, mir auf ei­nem Bein die Zäh­ne zu put­zen, um mein Gleich­ge­wicht zu trai­nie­ren oder in der Schlan­ge vor der Su­per­markt­kas­se Vo­ka­beln zu wie­der­ho­len. Nichts ge­gen gu­te Vor­sät­ze. Aber wir sind Men­schen und kei­ne Ma­schi­nen: Ge­sc­höp­fe mit Schwächen und Feh­lern, Ma­keln und Ma­cken, die uns lie­bens­wert und un­ver­wech­sel­bar ma­chen. Wir brau­chen Zeit zum Nichts­tun, zum In­ne­hal­ten, zur Mu­ße. Nur in die­ser Frei­heit kann der Mensch sich ent­fal­ten, Krea­ti­vi­tät wach­sen und Neu­es ent­ste­hen. Wenn nichts ge­schieht, ge­schieht manch­mal viel.

Von Bea­trix Gram­lich

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