Endlich selbst entscheidenMangelhafte Ausbildung, kaum Arbeit, Gewalt gegen Frauen. Kein Wunder, dass Mädchen
auf Sumba nur eines wollen: weg von der Insel. Sie sind leichte Beute
für Menschenhändler. Und als ahnungslose Hausangestellte im Ausland gehen
sie unter. Mutige Schwestern helfen ihnen, aus dem Teufelskreis Patriarchat auszubrechen. |
Von Eva-Maria Werner (Text) und Fritz Stark (Foto)
Gekicher im Raum. Kristina hält unsicher eine Babypuppe im Arm, die sie baden soll. Keine leichte Aufgabe. Die 13-Jährige prüft die Wassertemperatur und stützt gleichzeitig das Köpfchen ab. Vorsichtig wäscht sie den leblosen Körper, nimmt ihn aus der Wanne, trocknet ihn mit einem weichen Tuch ab und versucht, eine Windel anzulegen. Nicht alles gelingt auf Anhieb. Eine Puderdose kippt um, die Windel rutscht. Zwölf Mädchen im Unterrichtsraum lachen. Sie haben Spaß beim Kinderpflege-Kurs, beim Kochen, Backen, Waschen und Bügeln.
Kristina und ihre Mitschülerinnen besuchen die Haushaltsschule der „Schwestern der Liebe vom kostbaren Blut“ in Weetebula auf Sumba. Dort können sie in einem Jahr alle wichtigen Dinge lernen, die man wissen muss, um einen Haushalt zu führen. Auch Unterricht in Indonesisch gehört dazu und das Wissen darüber, welche Rechte und Pflichten ein Hausmädchen hat. „Viele glauben, mit dem Verlassen der Insel die Zukunft gewonnen zu haben“, sagt Schwester Mathilde Franke. „Ein Trugschluss.“ In Malaysia seien beispielsweise so viele Hausmädchen durch „Fenstersturz“ ums Leben gekommen, dass es dort nun ein Gesetz gebe, das ihnen das Nutzen einer Leiter verbietet.
Ohne Ausbildung sind die ahnungslosen Mädchen Menschenhändlern und Arbeitgebern hilflos ausgeliefert. Sie sind gutgläubig und finanziell von ihnen abhängig. Dass ein Gehalt pünktlich gezahlt werden muss und Sex nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages ist, ist ihnen oft nicht bewusst. Von manchen Töchtern hören die Eltern nie wieder.
Frauen haben keine Stimme
Seit über 40 Jahren fördern die „Schwestern der Liebe vom Kostbaren Blut“ Frauen und Mädchen auf Summa. Die kleine, überwiegend christlich geprägte Insel liegt im Osten des indonesischen Inselreiches. Und sie scheint von der Hauptstadt Jakarta vergessen zu sein. Es gibt kein Geld für Bildung, keine Arbeit, keine Zukunftsperspektive. In der patriarchalen Kultur haben Frauen und Mädchen keine Stimme. Paulina braucht lange, bis sie ihre leise erhebt. Sie sitzt auf einer Holzbank im Hof der Haushaltsschule. Während sie erzählt, blickt die zierliche Frau zu Boden. Die rechte Hand hält ihren dicken geflochtenen Zopf umklammert. „Ich will mein Leben selbst regeln. Meine Mutter wollte mich zwingen, einen alten Mann zu heiraten, der schon andere Frauen hat. Ich mag ihn nicht. Ich sperre mich nicht gegen eine Heirat, aber nur, wenn es ein guter Mann ist.“
Als ihr klar wird, dass sie gegen den Willen der Mutter nichts ausrichten kann, läuft sie eines Nachts davon – zur Haushaltsschule der Schwestern. Die ist nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch eine sichere Zufluchtsstätte. Fast alle Mädchen und jungen Frauen, die hier leben, haben nie die Schule besucht oder sie vorzeitig abgebrochen. Manche können nicht mal ihren Namen schreiben. Und sie haben Schlimmes erlebt: Schläge, Vergewaltigungen durch Familien- oder Clanmitglieder, Zwangsheiraten im jungen Alter. Meist werden die Probleme totgeschwiegen.
Doch die Schwestern stellen sich kompromisslos auf die Seite der Mädchen. Zwar haben sie keine psychologische Ausbildung, aber sie hören zu. Und sie wimmeln aufdringliche Familienmitglieder ab und erstatten Anzeige, wenn nötig. Obwohl die Regierung freie Partnerwahl zusichert, existiert dieses Gesetz nur auf dem Papier. Die Herausforderungen für die Arbeit der Schwestern sind in den vergangenen Jahren größer geworden. Früher lebten die Mädchen relativ abgeschlossen in ihren Dörfern. Dankbar nahmen sie die Möglichkeit zur Ausbildung an. Jetzt wollen alle nur so schnell wie möglich weg, schnelles Geld verdienen, am liebsten im Ausland.
Die modernen Medien vermitteln Traumbilder, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen, von Kindern wie Kristina aber gerne übernommen werden. Außerhalb Sumbas gibt es ein steigendes Jobangebot in den Haushalten der zunehmenden Mittelschicht. Ein Leben in Jakarta, in Malaysia oder den Golfstaaten: ein Traum für viele Mädchen. „Wir haben schon häufig Teenager am Flughafen aufgegriffen, die kurz davor waren, mit Hilfe von Schleppern die Insel zu verlassen“, sagt Imelda Seda von Donners.
Die Stiftung der Redemptoristen macht ebenso wie die Schwestern der Liebe vom Kostbaren Blut auf die prekäre Situation von Mädchen und Frauen aufmerksam. Sie bietet Bildungsprojekte an und warnt vor Ausbeutung. Währung Wasserbüffel Kristina besucht ihr Heimatdorf Kleronga an der Westküste der nur 150 Kilometer langen Insel. Auf der Fahrt dorthin wird sie im Auto durchgeschüttelt. Die Straße, die an grünen Reisfeldern vorbeiführt, ist übersät mit Schlaglöchern. Hin und wieder grüßen Bauern, wenn sie das Auto sehen. Auf brachliegenden Feldern weiden Wasserbüffel. Sie haben große Bedeutung für die Sumbanesen – als Nahrungslieferanten Nahrungslieferanten, Arbeitstiere und Mitgift bei Hochzeiten. Wer nach dem Wert einer Sache fragt, bekommt als Antwort die entsprechende Anzahl Wasserbüffel als Währungseinheit genannt.
Während die Menschen im Osten der Insel von Viehzucht leben, ernähren sie sich im Westen von dem wenigen, was auf ihren Feldern wächst. Die Straße nach Kleronga wird immer schmaler, zum Schluss ist sie nur noch ein Pfad. Äste schlagen gegen die Scheiben. Aber plötzlich lichtet sich das Gestrüpp und gibt den Blick frei auf ein kleines Dorf. Acht Hütten stehen im Kreis um den Dorfplatz. Sie sind einfach gebaut: aus Bambus und Steppengras. Aufgeschnittene Bambusrohre leiten das Regenwasser in ein Becken. Es gibt weder fließendes Wasser noch Strom. Die Menschen schlafen auf dünnen Bastmatten in den Hütten.
Einen Großteil des Tages verbringen sie betelnusskauend im Schatten der Terrasse. Die Nüsse sind beliebt: Sie haben hungerstillende und berauschende Wirkung. Und sie lassen für kurze Zeit das Elend vergessen, denn die Bauern führen ein hartes Leben. Sie bauen Reis, Mais, Maniok und Bohnen an. Doch oft vernichten Schädlinge die Ernte. Dann gibt es nicht genügend zu essen. So wie in diesem Jahr. „Ich habe Kristina gesagt, sie soll zu den Schwestern gehen. Dort hat sie es gut. Sie kann lernen, wird satt und hat ein sauberes Bett“, sagt ihre Mutter Regina Loghe Kodi, die vom beschwerlichen Leben gezeichnet ist. Müde Augen schauen aus einem ausgezehrten Körper. Kein Lächeln kommt über die Lippen der sechsfachen Mutter. Sie ist so erschöpft, dass sie ihre Tochter zur Begrüßung nicht mal in die Arme schließen kann.
Der Nachbarsjunge aber freut sich über Kristinas Besuch. Er läuft zum nächsten Kokosnussbaum und klettert in Windeseile hinauf. Ohne Seil, in Schwindel erregende Höhe. Oben schlägt er mit seinem Messer eine dicke Kokosnuss ab und klettert flink mit ihr in der Hand hinunter. Geschickt öffnet er sie, der Saft schmeckt köstlich und erfrischt.
Pft, pft, pft, pft.... ein merkwürdiges Geräusch lockt hinter die Hütte. Zwei kleine Jungen kauern in Froschhaltung am Boden und pusten sich Gummiringe zu. „Tiup Karet heißt das Spiel“, erklärt Kristina. Das bedeutet „Ringe blasen“. Derjenige, der seinen Ring am schnellsten über den des Mitspielers pustet, hat gewonnen. An den dünnen Unterarmen der Kinder reihen sich rote, grüne und blaue Gummiringe. Sie sind das einzige „Spielzeug“ in Kleronga. Die Jungen hüten sie wie einen Schatz. Hier, in den weit abgelegenen Dörfern der Insel kann noch längst nicht jedes Kind die Schule besuchen. Barfuß und in zerschlissenen Kleidern laufen sie den ganzen Tag umher und sind überwiegend auf sich allein gestellt. Die Familien haben im Durchschnitt acht Kinder. Da bleibt keine Zeit, sich ausgiebig um die Bedürfnisse jedes einzelnen zu kümmern.
Als Kristina zu den Schwestern kam, war sie unterernährt. Schmerzen im linken Arm machen ihr noch immer das Leben schwer. Bliebe sie in Kleronga, wäre ihre Zukunft vorgezeichnet: als Bäuerin und Mutter einer Großfamilie. Ausgeliefert dem Willen der Männer, die über jeden Schritt ihrer Frauen bestimmen.
Endlich ein eigenes Bett
Kein Wunder, dass Kristina glücklich über die neue Wende in ihrem Leben ist. „Alle Mitschülerinnen sind Freundinnen geworden“, sagt sie, die im traditionellen Dorfleben keine Perspektive für sich sieht. Auch sie möchte als Hausmädchen arbeiten. Kochen und backen macht ihr am meisten Spaß. Bei den Schwestern hat sie zum ersten Mal Törtchen gegessen und in einem richtigen Bett geschlafen. Der Gemeinschafts-Schlafsaal ist sehr einfach. Vorhänge trennen die einzelnen Parteien voneinander. Jeweils ein Hochbett, ein Schreibtisch, zwei Stühle und ein kleiner Schrank – mehr nicht. Doch für die Mädchen ist es ihr eigenes Reich, das sie selbst sauber halten.
Kristina ist katholisch. Die Schülerinnen haben die Möglichkeit, sich taufen zu lassen, wenn sie möchten. Manche kommen in der Haushaltsschule, die von missio gefördert wird, zum ersten Mal in Kontakt mit dem Christentum. Neben der Vermittlung von praktischen Fähigkeiten geht es den Schwestern auch um die Persönlichkeitsbildung der ihnen anvertrauten Mädchen. Gespräche über den Glauben und spirituelle Angebote gehören dazu. In einer Kultur, in der die traditionelle Marapu-Religion mit dem Glauben an Geister, Götter und Ahnen eine wichtige Rolle spielt, gehen die Schwestern sehr behutsam mit den Erfahrungen der Mädchen um.
Unbeschwert und mit großem Eifer arbeiten Kristina und ihre Freundinnen in der Küche. Heute gibt es ein Festessen. Die Mädchen tischen alles auf, was sie vorbereitet haben. Besonders gut sind die Onde-Onde-Klößchen, eine lokale Spezialität: Die kleinen Kugeln aus Linsen werden in Sesam gewendet und in Öl gebraten. „Enak!“ – lecker! Und später am Abend tanzen die Mädchen, in selbst gestalteten Kostümen. Begleitet von heftigem Trommelwirbel der Jungen aus der Nachbarschaft.